Heilbäder sind vor allem in ländlichen Gemeinden ein zentraler Wirtschaftsfaktor. Auch Hotellerie und Gastronomie profitieren von den Gästen. Wegen der Coronapandemie sind die Thermen geschlossen – doch die Betreiber arbeiten an innovativen Konzepten und planen Investitionen für die Zeit danach. Wir stellen drei Heilbäder in der Region beispielhaft für die Branche vor.
Jetzt, in den Winterwochen und -monaten des neuen Jahres, wäre eigentlich die ideale Zeit, sich im warmen Wasser einer Thermalquelle zu entspannen, den Blick über die schneebedeckten Gipfel des Schwarzwalds wandern zu lassen, einen Saunagang anzuschließen oder eine Massage – wäre da nicht Corona. Die Pandemie hat den zahlreichen Thermen in der Region einen so kräftigen Strich durch ihre Rechnungen gemacht, dass manche von ihnen sogar ihre Existenz bedroht sehen. Dabei sahen die Zahlen vor dem ersten Lockdown eigentlich gut aus: Der Heilbäderverband Baden-Württemberg verweist auf gestiegene Ankunfts- und Übernachtungszahlen in den Heilbädern, wie die speziell ausgewiesenen Kurorte mit einer Thermal- oder Mineralquelle heißen (siehe Definition).
Heilbäder stehen heute nicht mehr in erster Linie für das arg verstaubte Kurort-Image, sondern arbeiten seit Jahren an unterschiedlichen Angeboten, die Megatrends wie Natur, Wellness und Gesundheit aufgreifen – vom Kurzurlaub für gestresste Städter bis hin zu „Biohackers Heimat“, wie sich Bad Dürrheim in einer neuen Kampagne nennt. Damit sind die Bäder wichtige Wirtschaftsfaktoren für Hotels und Pensionen, Gasthäuser und Geschäfte im Umfeld. Während der coronabedingten Schließungen läuft immerhin die Arbeit an Konzepten weiter, zumal bei einigen Bädern in den nächsten Jahren größere Sanierungen anstehen.
So zum Beispiel bei den Balinea Thermen in Bad Bellingen, Landkreis Lörrach. Die Geschichte des Heilbads reicht zurück in die 1950er-Jahre, erzählt Dennis Schneider, Geschäftsführer der gemeindeeigenen Bade- und Kurverwaltung Bad Bellingen GmbH – und damit Thermen-Chef. Damals habe die Wintershall AG in der Oberrheinebene erfolglos nach Erdöl gebohrt; in Bad Bellingen stießen die Arbeiter stattdessen in 592 Meter Tiefe auf Thermalwasser. Alte Fotos zeigen, wie das Wasser aus einem Metallrohr in einen Holzbottich fließt, in dem vergnügt vier Herren sitzen. 1957 begann der provisorische Badebetrieb im fast 40 Grad warmen Wasser der Natrium-Calcium-Chlorid-Quelle. Es entstanden Gebäude und weitere Angebote für Gäste, 1968 bekam der Ort Bellingen das Prädikat „Heilbad“ verliehen, seit 1969 darf er den Zusatz „Bad“ im Namen tragen.
Die Therme sei „die Lebensader“ von Bad Bellingen, sagt Schneider. Bevor die Gemeinde zum Kurort wurde, sei sie ein kleines Fischerdorf gewesen. „Und man kann provokant fragen, was heute von dem Ort noch übrig bliebe, wenn die Therme geschlossen wäre.“ Die Bedeutung für die Wirtschaft in der Region belege auch eine aktuelle Erhebung: „Unsere Tätigkeit als Kurverwaltung mit der Therme im Zentrum sorgt für 50 Millionen Euro Bruttoumsatz im Jahr und etwa 1.000 Arbeitsplätze.“ Die jährliche Besucherzahl der Balinea Thermen liege zwischen 320.000 und 360.000. Und Bad Bellingen zählt pro Jahr rund 200.000 Gästeübernachtungen, keine geringe Zahl für einen Ort mit gut 4.500 Einwohnern.
Bis Mitte der 1990er-Jahre seien es allerdings mehr als doppelt so viele gewesen, sagt Schneider – und verweist damit auf den tiefen Einschnitt, den die ab 1996 umgesetzten Gesundheitsreformen für alle Heilbäder bedeuteten: Die traditionellen, drei Wochen dauernden und überwiegend von den Krankenkassen bezahlten Badekuren verschwanden weitgehend, Gästezahlen brachen ein, und die Kurorte mussten sich neu erfinden. Laut Heilbäderverband Baden-Württemberg schrumpfte in Deutschland die Zahl der abgerechneten ambulanten Vorsorgeleistungen – so heißen Kuren inzwischen offiziell – seither von rund 600.000 auf nur noch 31.763 im Jahr 2019. Für Heilbäder und andere Kurorte bedeutete das, sich stärker auf selbst zahlende Gäste mit kürzeren Aufenthalten einzustellen und neben den medizinischen Angeboten Themen wie Erholung, Wellness und Fitness ins Zentrum zu stellen.
Das sei den baden-württembergischen Heilbädern im vergangenen Jahrzehnt erfolgreich gelungen, sagt der Verband: Zwischen 2009 und 2019 sind laut Statistischem Landesamt die touristischen Ankünfte von 1,2 auf 1,7 Millionen gestiegen, die Übernachtungen von 6,3 auf knapp 7 Millionen. Auch Dennis Schneider in Bad Bellingen sagt, seine Mitarbeiter und er hätten den Thermenbetrieb in den vergangenen Jahren „entrümpelt“, alles vom Versicherungsvertrag bis zum Marketing sei überprüft worden, auch im Umfeld habe die Bade- und Kurverwaltung manches modernisiert. „Ein klassisches Beispiel ist die Kurkapelle, die wir durch Sommerkonzerte mit jungen Musikern aus der Region ersetzt haben“, berichtet er. „Das Angebot ist vielfältiger und kostet mich nur einen Bruchteil.“ 2019 seien die Gästezahlen auch in der Therme von Bad Bellingen gestiegen.
Umso bitterer waren und sind die coronabedingten Schließungen. „Ohne einen einmaligen Zuschuss der Gemeinde hätte ich im Februar Insolvenz anmelden müssen“, sagt Schneider. Die Landesregierung hat 15 Millionen Euro Unterstützung für die Thermal- und Mineralbäder im Land zugesagt, ausgezahlt worden sei ihm davon aber noch nichts. „Um zu retten, was zu retten ist, haben wir extreme Maßnahmen getroffen“, sagt der Kurgeschäftsführer und meint damit auch Entlassungen: Die Zahl seiner Mitarbeiter sank von 74 vor Corona auf 48 Ende des Jahres 2020.
Auf Dauer könne eine Therme einer kleinen Kommune finanziell nicht zur Last fallen, meint Schneider, trotzdem hofft er langfristig auf weitere Investitionen, die dann auch wieder dem Ort zugute kämen. Eine neue Quelle, die fünfte, ist schon erschlossen; sie soll die Versorgung mit Thermalwasser in den nächsten Jahrzehnten sicherstellen. Die Arbeit an einem Masterplan zur baulichen Erweiterung und Modernisierung läuft – und einen neuen Namen soll die Therme demnächst auch bekommen, kündigt Schneider an: „Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass es eine gute Perspektive gibt.“
Betrieb, Erhaltung und Modernisierung von Heilquellen und Bädern können schon in normalen Zeiten eine enorme Kraftanstrengung für kleine Kommunen bedeuten, die meist Gesellschafter der Bäder-GmbHs sind. „Corona bringt manche von ihnen an ihre Grenze“, sagt Fritz Link, Präsident des baden-württembergischen Heilbäderverbands und im Hauptberuf Bürgermeister des Kurorts Königsfeld im Schwarzwald. Er geht für 2020 von einem Rückgang der Gästezahlen in den Bädern um 50 Prozent aus. Andererseits sind die Quellen nicht nur Voraussetzung für das Prädikat „Heilbad“. Sondern sie sind „gerade im ländlichen Raum ein zentraler Wirtschaftsfaktor“, so Link, das werde oft unterschätzt.
Laut einer vom Verband in Auftrag gegebenen Studie des Deutschen Wirtschaftswissenschaftlichen Instituts für Fremdenverkehr (DWIF) wurden – vor Corona – in den Heilbädern und Kurorten im Bundesland jährlich 3,5 Milliarden Euro Gesamtumsatz erwirtschaftet, für den sowohl Übernachtungsgäste als auch Tagesbesucher sorgten. Am meisten profitierte das Gastgewerbe, gefolgt von Dienstleistungsbetrieben und dem Einzelhandel. 2019 seien knapp ein Viertel aller im Bundesland getätigten Übernachtungen auf die Heilbäder und Kurorte entfallen, so der Verband.
Thermal- und Mineralbäder spielen dabei eine besondere Rolle: 35 von ihnen gibt es in den 56 sogenannten höher prädikatisierten Kurorten Baden-Württembergs. Die Gäste der Heilbäder kämen inzwischen nur noch zu rund 30 Prozent aus einem rein medizinisch-therapeutischen Anlass, bei rund 70 Prozent seien Gesundheit und Erholung die Motive, wobei die Anteile je nach Klinikstruktur vor Ort variieren. Auf den anhaltenden Wellnessboom hat der Verband reagiert, indem seine Tochtergesellschaft, die Heilbäder und Kurorte Marketing GmbH Baden-Württemberg, 2004 das Qualitätssiegel „Wellness Stars“ entwickelte. Der Imagewandel sei geschafft, Heilbäder stünden heute „für den Dreiklang von Gesundheit, Erholung und Natur“ – und das vor der Haustür, sagt Link. Und er prognostiziert: „Das wird nach Corona umso mehr ein Trend sein.“
Den erkennt auch Markus Spettel, Geschäftsführer der Kur- und Bäder GmbH Bad Dürrheim: „Wir wollen das Thema Kurort neu spielen und zur ersten Biohacking-Destination werden“, sagt er. Trotz Corona startete im Dezember die Kampagne mit eigener Website, für dieses Jahr ist der erste „Biohacking Bad Dürrheim Congress“ geplant. Bei dem Gesundheits- und Lifestyle-Trend geht es darum, den eigenen Körper und Geist möglichst gut zu verstehen und das bestmögliche Potenzial zu entfalten – zum Beispiel durch bewusste Ernährung, Bewegung und Stressbewältigung. „Wir können glaubwürdig sagen, dass wir so etwas schon seit 150 Jahren machen“, sagt Spettel. „Eigentlich war Sebastian Kneipp der erste Biohacker.“ Die neue Kampagne ist stark digital angelegt und soll etwa über Tipps in sozialen Netzwerken junge, gesundheitsbewusste Zielgruppen ansprechen.
Bad Dürrheim besitze als einziger Kurort in Baden-Württemberg die drei Prädikate Soleheilbad, Heilklimatischer Kurort und Kneippkurort. „Unser touristisches Herzstück ist das Solemar“, sagt Spettel. Die Heilsoletherme zählte 2019 rund 650.000 Besucherinnen und Besucher – inklusive Sauna, Wellnessbereich, Fitnesscenter und Reha-Abteilung. „Wir sind auch einer der großen Anbieter für ambulante orthopädische Reha mit eigenem Physiotherapeuten-Team und angestellten Ärzten“, sagt Spettel. „Das ist für uns weiter wirtschaftlich wichtig.“ Für den Tourismus in der Region stehe aber der Freizeitbereich im Zentrum.
Neben der gezielten Ansprache verschiedener Zielgruppen – siehe Biohacking – setzt er auf die Zusammenarbeit mit Hotels, Kliniken, Gastronomie und Handel. So biete zum Beispiel eine von Tourismusbetrieben per Umlage finanzierte Gästekarte Besuchern bestimmte Leistungen kostenlos an. 2019 zählte Bad Dürrheim laut Spettel 671.000 Übernachtungen, bei den Ankünften sei mit 97.500 sogar ein Rekord erreicht worden: „Die Gästeankünfte haben sich in den vergangenen fünfzehn Jahren verdoppelt.“ Der Tourismus rund um das Solemar sei für Bad Dürrheim enorm wichtig: „Er hat Effekte auf vielen Wertschöpfungsstufen, bis hin zu Lieferanten und Handwerkern.“
Eine Therme sei „ein wichtiger Baustein im touristischen Gesamtkonzept“, bestätigt Alexander Vatovac. Er leitet bei der IHK Hochrhein-Bodensee das Geschäftsfeld Existenzgründung und Unternehmensförderung und ist auch zuständig für das Thema Tourismus. Ihm ist wichtig, nicht nur auf die Bäder zu schauen: „Ein Heilbad ist schon ein Pfund – aber es geht darum, ein Gesamterlebnis zu bieten.“ Dafür brauche eine Gemeinde auch eine passende Infrastruktur, also etwa gute Hotels verschiedener Klassen, Wellnessangebote, einen attraktiven Einzelhandel und Gastronomiebetriebe, die für die Gäste interessant seien. Kooperieren diese Akteure, so Vatovac, könnten sie spannende Angebote machen sowohl im wachsenden Bereich des Gesundheitstourismus als auch für Kurzurlaube als „Retreat“ vom stressigen Alltag.
Bei uns haben es sich die Römer schon vor 2.000 Jahren im Thermalwasser gut gehen lassen – das beweisen unsere römischen Badruinen“, sagt Doris Räuber, Geschäftsführerin der Badenweiler Thermen und Touristik GmbH. 2019 hatte die Cassiopeia-Therme in Badeweiler rund 250.000 Gäste, fast 70 Prozent von ihnen kamen aus Frankreich. Auch Räuber berichtet von steigenden Besucherzahlen im Januar und Februar 2020, bevor der Lockdown kam. Im Coronajahr änderte sich dann auch die Eigentümerstruktur der Therme: Im Sommer übernahm die schon vorher beteiligte landeseigene Bäder- und Kurverwaltung Baden-Württemberg die Mehrheit der Anteile, seit Beginn dieses Jahres ist das Bad komplett ein „Staatsbad“; die Bereiche Touristik und Ortsmarketing gingen auf die Gemeinde über.
Hintergrund ist neben Corona die für 2023/24 geplante „Riesensanierung“, so Räuber: Die Therme soll bei weiter laufendem Betrieb im Bestand modernisiert werden. „Wir wollen unsere Alleinstellungsmerkmale stärken“, sagt sie. Das sei vor allem das römisch-irische Bad. Ihre Philosophie: unterschiedlichen Besuchergruppen eine Nutzung des Bades zu ermöglichen, ohne dass diese sich gegenseitig stören – von der Gymnastikgruppe über Familien bis zu Ruhe suchenden Wellness-Gästen. Die Sanierung werde noch mal einen „Schub“ bedeuten, und den könne man besonders nutzen, wenn alle Akteure noch kräftiger an einem Strang zögen, um Gäste nach Badenweiler zu locken: „Wir sehen manchmal gar nicht, was für ein Potenzial wir vor unserer Nase haben – darauf sollten wir schauen und es gemeinsam ausschöpfen.“
Text: Thomas Goebel
Bilder: Bade- und Kurverwaltung Bad Bellingen GmbH; Michael Ruder;Kur- und Bäder GmbH Bad Dürrheim; Privat; IHK Hochrhein-Bodensee;BTT GmbH
Definition
Ein Heilbad ist eine spezielle Form eines Kurorts und hat dafür ein sogenanntes höheres Prädikat erhalten, das es zum Beispiel auch für Heilklimatische Kurorte gibt („einfache Prädikate“ gibt es etwa für Luftkurorte und Erholungsorte). Kurorte werden von den jeweiligen Bundesländern anerkannt; die Kriterien und Qualitätsstandards hierfür haben der Deutsche Heilbäderverband und der Deutsche Tourismusverband aufgestellt. Voraussetzung für ein Heilbad ist, dass vor Ort sogenannte natürliche Heilmittel genutzt werden. Es gibt Mineral-, Thermal-, Sole- und Moorheilbäder. Neben dem jeweiligen natürlichen, wissenschaftlich anerkannten und bewährten „Heilmittel des Bodens“ muss der Ort auch eine geeignete Lage und Witterung, verschiedene Einrichtungen zur Anwendung des Heilmittels sowie einen „dem Kurbetrieb entsprechenden Ortscharakter“ aufweisen. Der Heilbäderverband Baden-Württemberg zählt 35 Thermal- und Mineralbäder (davon liegen sechs im Regierungsbezirk Freiburg: Bad Bellingen, Badenweiler, Bad Dürrheim, Bad Krozingen, Bad Peterstal-Griesbach und Bad Säckingen) in den 56 höher prädikatisierten Kurorten des Landes – und bewirbt Baden-Württemberg daher als „Bäderland Nummer eins“.
thg