Ein Lösungsansatz für den Fachkräftemangel in der Region ist die Gewinnung ausländischer Arbeitskräfte: Ob als Auszubildende oder qualifizierte Talente können sie die heimische Industrie unterstützen. Gewusst wie!
Was Cynthia aus Indonesien ganz besonders gut gefällt: dass sie in ihrem Ausbildungsbetrieb viel Gelerntes direkt ausprobieren kann und in verschiedenen Bereichen eingesetzt wird. Im vergangenen Jahr hat die 30-Jährige im Elztalhotel in Winden ihre Ausbildung zur Restaurantfachfrau begonnen und ist dafür extra nach Deutschland gezogen.
Ein großes Glück nicht nur für Cynthia, sondern auch für die Betreiberfamilie des Hotels. Denn nicht nur, aber ganz besonders Hotellerie und Gastronomie suchen händeringend nach Fach- und Nachwuchskräften. Und da erweist sich die Suche auch jenseits des europäischen Auslands als ein zunehmend attraktiver Lösungsansatz.
In der Region und im Bund: Nach dem aktuellen Fachkräftereport der DIHK hat heute nahezu jedes zweite Unternehmen Probleme, Stellen zu besetzen. In der Region Hochrhein-Bodensee fehlen aktuell schon 2.000 Fachkräfte. In der Region Schwarzwald-Baar-Heuberg sind es bereits 6.000, am südlichen Oberrhein ist das Fachkräfteminus bereits auf satte 7.000 angewachsen – gefragt sind vor allem Kräfte für technische Berufe.
Tendenz steigend. Denn laut Prognosen wird der Fachkräftemangel insbesondere aufgrund des demografischen Wandels und des Renteneintritts der geburtenstarken Jahrgänge in den kommenden Jahren noch stark zunehmen. Bis 2030 könnten dann allein in der Region Hochrhein-Bodensee 25.000 Arbeitskräfte fehlen.
Kurzum: Neues Personal wird dringend benötigt und immer häufiger im Ausland gesucht und gefunden: 2023 sind rund 213.000 Menschen nach Deutschland gekommen, um eine Ausbildung zu machen. Etwa ein Viertel (49.000) stammen aus einem EU-Staat, rund zwei Drittel (164.000) aus einem Land außerhalb der EU. Dabei hat sich laut Agentur für Arbeit die Anzahl der Auszubildenen aus dem außereuropäischen Ausland, also aus sogenannten Drittstaaten, in den vergangen zehn Jahren mehr als verdoppelt. Denn ausländische Berufsabschlüsse werden immer noch viel zu selten anerkannt: Allein 2022 hat es in Deutschland gerade mal 52.000 Anerkennungen von ausländischen Abschlüssen gegeben – davon rund zwei Drittel aus dem medizinischen Bereich (Quelle: Statistisches Bundesamt).
Anwerbung ausländischer Azubis
Die Anwerbung von Auszubildenden aus Drittstaaten ist für die Unternehmen mit sehr viel Aufwand verbunden. Für deren Vermittlung engagieren Unternehmen, wie etwa die Betreiber des Elztalhotels, Agenturen, die sich um den oft aufwändigen Papierkram vor der Ankunft kümmern. Gefunden hat die Familie Tischer ihre Agentur über eine Empfehlung von Hotelkollegen. Spezialisiert ist diese auf die Vermittlung von Arbeitskräften aus Indonesien. Inzwischen tummelt sich eine Vielzahl derartiger Agenturen auf dem Markt für heiß begehrte Fachkräfte. Doch natürlich arbeiten nicht alle professionell, warnt etwa der für diesen Bereich verantwortliche Geschäftsführer der IHK Südlicher Oberrhein, Simon Kaiser. In den vergangenen Jahren hat es immer wieder Berichte von Vermittlern gegeben, die ausländischen Arbeitskräften unrealistische Versprechen zum Leben in Deutschland gemacht haben. Oder sie haben versucht, bei Unternehmen dafür abzukassieren.
Und wie läuft es mit einer seriösen Agentur ab? Das Elztalhotel führt mit potentiellen Azubis zunächst digitale Bewerbungsgespräche, das erste Mal persönlich treffen sie die Nachwuchsmitarbeiter dann in Deutschland zum Ausbildungsstart. Dann ist noch viel zu tun: Anmeldung auf dem örtlichen Bürgeramt oder der fristgerechte Antrag für die Verlängerung des Visums – für diese und ähnliche Aufgaben brauchen die ausländischen Azubis Unterstützung – vom lokalen Betrieb. Ulrike Tischer rät Unternehmen, sich auf diesen Mehraufwand einzustellen und Aufgaben wie die Anwerbung abzugeben. Neben dem Papierkram sollten sich Unternehmen, die Menschen aus dem Ausland anwerben, auch mit den Fragen nach Wohnraum und gerade im ländlichen Raum auch nach Mobilität vor Ort beschäftigen.
Raum für persönliche Entwicklung
Der Pulverbeschichter EOM in Offenburg sucht seine Fachkräfte bisher nicht im Ausland, sondern in Deutschland. Einer davon: Mohammad Etemadi. Der 35-jährige Iraner ist vor gut zehn Jahren nach Deutschland geflohen. Seinen ersten Job fand er in einer Metzgerei. Im Iran hatte er Elektronik studiert. „Die Sprache ist schwierig, aber im Kontakt mit den Leuten habe ich viel gelernt“, erzählt er. Nachdem die Metzgerei schließen musste, begann Etemadi als Pulverbeschichter bei EOM. Inzwischen ist er aufgestiegen – zum Anlagenführer und auch zum Leiter eines Teams. Sein Chef beschreibt ihn als ruhig, aufmerksam und lernwillig. „Ich mag meine Arbeit, ich verdiene gut“, erzählt Etemadi. „Mit den Kollegen aus anderen Ländern gibt es kein Problem. Ich komme mit allen klar.“ In diesem Jahr hat er geheiratet und will auch langfristig in der Region bleiben.
Für sein Engagement bei der Integration von Fachkräften ist EOM in diesem Jahr beim Wettbewerb „Jobmotor in Südbaden“ unter dem Motto „Arbeitskräfte Finden und Binden“ ausgezeichnet worden. Neben EOM wurden der Zahnradhersteller „Franz Morat“ und die „Holzhaus Fabrik“ ausgezeichnet.
Unterstützung durch örtliche IHKs
Bei der Integration von ausländischen Fachkräften sowie zukünftigen Fachkräften unterstützen die IHKs im Südwesten mit verschiedenen Angeboten in ihren Welcome Centern in Freiburg und in Villingen-Schwennigen. Ramona Shedrach arbeitet im Welcome Center der regionalen Wirtschaftsförderungsgesellschaft und der IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg. „Gesundheitseinrichtungen, Gastronomie und Hotellerie werben schon länger Kräfte aus dem Ausland an, mittlerweile hat auch die Industrie das Potential erkannt“, sagt sie.
Eine besonders erfolgreiche Initiative, mit der IHKs die Integration von ausländischen Auszubildenden fördern, sind dabei die sogenannten „Kümmerer“ – sie sollen ohne große bürokratische Hürden zwischen Zugewanderten, Unternehmen und Behörden vermitteln. Christiane Möller, Teamleiterin Fachkräfte Service bei der IHK Südlicher Oberrhein, erklärt: „Das Kümmerer-Projekt hilft jungen Menschen dabei, das duale Ausbildungssystem zu verstehen.“ Vielen Menschen aus dem Ausland seien eher Training im Job als ein dezidiertes Ausbildungssystem gewöhnt – mit dem Kümmerer-Projekt helfen die IHKs in Baden-Württemberg dann bei der Orientierung zwischen mehr als 350 Ausbildungsberufen, sie unterstützen bei der Suche nach Praktika und Ausbildungsplätzen und, falls nötig, auch bei dem einen oder anderen Behördengang. All der Aufwand lohnt sich aus ihrer Sicht: „Ausländische Jugendliche bringen viele Werte und Kernkompetenzen mit, die bei den Unternehmen sehr gut angekommen“, weiß Möller. Oftmals brächten die Menschen einen hohen Respekt vor dem Arbeitgeber sowie viel Motivation anzupacken mit.
Die IHK Hochrhein-Bodensee unterstützt junge Menschen bei der Ausbildungssuche unter anderem mit dem Projekt „Integration durch Ausbildung – Perspektiven für Zugewanderte“. „Ich gebe dort Menschen mit Migrationshintergrund Hilfe zur Selbsthilfe“, erklärt Projektleiterin Hina Raza. Sie gibt Bewerbungstipps, berät dazu, wie Abschlüsse anerkannt werden können, und motiviert, Eigeninitiative zu zeigen. Unternehmen unterstützt sie bei rechtlichen Fragen und berät sie beispielsweise zu Fördermöglichkeiten zum Spracherwerb. „Weil Geflüchtete und Migranten oft schon ein bisschen älter und reifer sind, können sie als Auszubildene ein echter Gewinn fürs Unternehmen sein“, meint sie. Aktuell ist Raza noch auf der Suche nach Unternehmen, die sich bereit erklären, ausländische Fachkräfte mit einer Anpassungsqualifizierung weiterzubilden, Interessierte können sich dafür auf der Website der IHK Hochrhein-Bodensee registrieren.
Sprachkenntnisse als Schlüssel zum Erfolg
Wie gut die Integration der zukünftigen Fachkräfte in deutsche Teams gelingt, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Voraussetzung für eine erfolgreiche Ausbildung in Deutschland sind aus Möllers Sicht vor allem ausreichende Deutschkenntnisse: „Ein B2 oder ein sehr gutes B1 – sonst schaffen die Leute die Berufsschule einfach nicht.“ Aufgrund des wachsenden Fachkräftemangels gebe es aber auch immer wieder Unternehmen, die das nicht so eng sehen. Außerdem, so erklärt Möller: „Wie gut die Integration ausländischer Arbeitskräfte funktioniert, hängt maßgeblich vom Engagement der Betriebe ab.“ Ein Unternehmen könne nicht erwarten, dass alles genauso reibungslos verläuft, wie mit einem deutschen Azubi, der sowohl Ausbildungssystem als auch Kultur kennt. In solchen Situationen können Unternehmen auf die Beratung der IHK zurückgreifen.
Die Erfahrung, dass Verständigung eine Herausforderung ist, macht auch Cynthia aus Indonesien: „Die Sprache ist wirklich schwierig.“ Inzwischen komme sie aber sowohl im Hotel als auch in der Berufsschule gut zurecht. Bevor sie ihre Ausbildung starten konnte, hat sie sieben Monate Deutsch gelernt und die B1-Prüfung bestanden – die Voraussetzung für eine Ausbildung in Deutschland. Über eine Agentur fand sie dann ihre Ausbildungsstelle im Elztalhotel.
Was Cynthia motiviert hat, nach Deutschland zu kommen? Hier könne sie eine solide Ausbildung machen und ihr eigenes Geld verdienen, sagt sie. Langfristig erhofft sie sich davon ein besseres Leben als in Indonesien. Neben der Sprache macht ihr manchmal Heimweh zu schaffen – Familie, Freunde und alles Gewohnte hat sie hinter sich gelassen.
„Chapeau, was die Azubis aus Indonesien für ein besseres Leben auf sich nehmen“, sagt Cynthias Chefin Ulrike Tischer. Was sie und Tochter Julia allerdings nicht begeistert: der bürokratische Aufwand. Oftmals bekommen die Azubis nur Visa für wenige Monate, Verlängerungen dauern lange und sind aufwendig. Für das Hotel der Supergau: Wenn Arbeitskräfte wegen noch nicht ausgestellter Visa zwischenzeitlich nicht arbeiten dürfen. „Das kommt immer wieder vor“, sagt Julia Tischer. Gerade in der Hochsaison sei das wirklich ärgerlich.
Das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz – Was hat sich verändert?
Wer ausländische Fachkräfte einstellen will, kommt um das Fachkräfteeinwanderungsgesetz (FEG) nicht herum – seit dem vergangenen Jahr gab es dabei verschiedene Neuerungen. Seit November 2023 erhalten ausländische Beschäftigte leichter eine sogenannte „Blue Card“. Die soll dauerhafte Zuwanderung von Fachkräften nach Deutschland erleichtern. Seit diesem März gilt eine Regelung, mit dem Berufsabschlüsse in Verbindung mit Berufserfahrung leichter anerkannt werden können, und seit dem 1. Juni 2024 gibt es die sogenannte „Chancenkarte“. „Besonders wichtig ist die Chancenkarte, die es Menschen aus dem Ausland ermöglicht, in Deutschland einen Job zu suchen“, so Alexander Kritikos vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. „Früher war das nur begrenzt möglich, das ist ein wesentlicher Fortschritt.“ Ausländische Fachkräfte können dadurch ein einjähriges Visum erhalten.
Mit der DAB-Bescheinigung – die digitale Auskunft zur Berufsqualifikation – können ausländische Arbeitskräfte schon in Deutschland in ihrem Beruf arbeiten, während das Anerkennungsverfahren noch läuft. Ob das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz langfristig mehr Fachkräfte anlockt, ist noch unklar – viele Experten haben aber Zweifel.
Um deutlich mehr Fachkräfte anzuwerben, braucht es aus der Sicht von Alexander Kritikos in dem Bereich eine „Verantwortungsumkehr“. Damit meint er, dass Behörden die Verantwortung übernehmen sollten: Anstatt wie bisher bürokratische Prozesse an Unternehmen oder Individuen auszulagern, sollen diese von den Behörden selbst so weit wie möglich erfolgreich umgesetzt werden. Um in Zukunft tatsächlich mehr Fachkräfte aus dem Ausland anzuwerben, müsse Deutschland außerdem daran arbeiten, welches Bild es nach außen vermittele – ausländerfeindliche Tendenzen in Politik und Gesellschaft hätten auf die Fachkräfte eine abschreckende Wirkung. Auch andere Faktoren wie Bürokratie oder sozialer Anschluss werden von ausländischen Fachkräften eher negativ bewertet. Deshalb wird aktuell politisch immer wieder darüber diskutiert, wie Deutschland für sie attraktiver werden kann. Ein Vorschlag, der diesen Sommer für viel Aufsehen gesorgt hatte: Die Bundesregierung plant für Fachkräfte in ihren ersten Jahren in Deutschland Steuererleichterungen.
Für Detailfragen stehen in den örtlichen IHKs Ansprechpartner zur Verfügung. Umfassende Informationen gibt es hier.
Anerkennung weiterhin schwierig
In der Vergangenheit hat das Elztalhotel auch versucht, Fachkräfte mit Arbeitserfahrung nach Deutschland zu holen – einmal bezahlte das Unternehmen sogar für ein beschleunigtes Fachkräfteverfahren, um eine Frau aus Indien anzustellen. Gebracht hat das wenig, das Verfahren zog sich trotzdem so lang hin, dass das Visum der Frau ablief und sie ausreisen musste, bevor ihr Verfahren abgeschlossen war. Als „sehr frustrierend“ beschreibt Julia Tischer diese Erfahrung.
Der Europa-Park Rust hat mehr Erfahrung und auch mehr Man- beziehungsweise Womenpower, um die Anerkennung von ausländischen Abschlüssen voranzutreiben. „Wir forcieren dafür von vornherein immer das beschleunigte Verfahren“, erklärt Frederik Mack, Direktor Human Resources. „Einfach, damit wir mehr Planungssicherheit haben.“ Trotzdem müsse man mit sieben bis zwölf Monaten Bearbeitungszeit rechnen. Während Mack die Zusammenarbeit mit den regionalen Ausländerbehörden als positiv wahrnimmt, habe man gerade auf die Arbeit von Botschaften im Ausland wenig Einfluss. Er wünscht sich, dass im Bereich Fachkräfteanwerbung ein Stück weit mehr Verantwortung in die Hände der Unternehmen gelegt wird – diese hätten selbst das größte Interesse daran, dass alles reibungslos funktioniert.
Aufgrund der bürokratischen Hürden – aber auch, weil eine Ausbildung eine gute Möglichkeit ist, das Leben in Deutschland kennenzulernen -, setzen viele Unternehmen eher auf die Rekrutierung von Azubis statt von bereits ausgebildeten Fachkräften. So beobachtet auch Ramona Shedrach von der IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg, dass die Anerkennung von ausländischen Abschlüssen oft langwierig ist. Abschlüsse aus dem Ausland können auch teilweise anerkannt werden, im deutschen Betrieb sei dann nur noch eine Anpassungsqualifizierung nötig. Häufig seien die Menschen aus dem Ausland gut qualifiziert und es fehle eigentlich nur an Kleinigkeiten.
Unternehmen, die gern Fachkräfte gewinnen wollen, und bereit sind, diese im Rahmen einer Anpassungsqualifizierung anzustellen, können sich dafür beispielsweise für das Pilotprojekt „UBAconnect“ von „Unternehmen Berufsanerkennung“ registrieren, initiiert von der Deutschen Industrie- und Handelskammer und dem Zentralverband des Deutschen Handwerks.
Die Hotelfachauszubildende Cynthia ist inzwischen gut angekommen: Sie mag in Deutschland, dass es eine öffentliche Verkehrsinfrastruktur gibt und sie mit dem Zug verschiedene Orte erreicht. Auch dass sie als Frau offen ihre Meinung sagen kann, freut sie. Aber nicht alles nimmt sie positiv wahr: „Das Wetter mag ich wirklich nicht“, erzählt sie. Es sei viel zu kalt, aus ihrer Heimat ist sie ganzjährig Temperaturen zwischen 25 und 35 Grad gewöhnt. Auch an das Essen der Region musste sie sich erst gewöhnen. Nach ihrer Ausbildung will sie aber bleiben. Lisa Kuner