Indien ist nicht einfach – aber chancenreich, wenn man gut vorbereitet ist, sagt Indien-Experte Stefan Halusa.

Als Generaldirektor der deutsch-indischen Handelskammer ist Stefan Halusa erster Ansprechpartner für bereits 2000 deutsche Unternehmen, die schon in Indien aktiv sind. Warum es in den nächsten Monaten noch mehr werden dürften und was einen in Indien erwartet, erläutert Halusa im Interview mit Ulf Tietge.
Sie trommeln so laut wie noch nie für eine Verbesserung der deutsch-indischen Wirtschaftsbeziehungen – weil der neue Trump’sche Protektionismus uns Deutsche zwingt, neue Freunde zu finden?
Ich freue mich, dass Sie das Trommeln hören! Indien ist die fünftgrößte Volkswirtschaft der Welt und weist das dynamischste Wachstum unter den großen Volkswirtschaften auf. Wer nach neuen oder zusätzlichen Wachstumsmärkten sucht, kommt an Indien nicht vorbei. Das war schon vor der Wahl Trumps so und ist sicher noch wichtiger geworden.
Frau von der Leyen war gerade in Indien – wie stehen aus Ihrer Sicht die Chancen für ein indisch-europäisches Freihandelsabkommen?
Da war ich zunächst nicht sehr optimistisch. Das europäische Verhandlungsmandat sah ein allumfassendes Abkommen vor, inklusive Nachhaltigkeitskapiteln. Die indische Seite will ein reines Handelsabkommen und Bereiche wie die Landwirtschaft ausklammern. Ein Kompromiss war bisher nicht in Sicht, obwohl er im Interesse beider Seiten wäre. Gerade in Zeiten, in denen Zollschranken aufgebaut werden, wäre ein erfolgreicher Abschluss ein enorm wichtiges Zeichen.
Bisher beläuft sich das deutsch-indische Handelsvolumen auf 30 Milliarden Euro. Nur ein Neuntel dessen, was mit China umgeschlagen wird. Ausbaufähig, oder?
Na klar. Aber ich halte das Handelsvolumen mit China für den falschen Maßstab. Zum einen ist die chinesische Wirtschaft 4,5-mal größer als die indische, zum zweiten wollen wir doch neue Abhängigkeiten vermeiden. Im Handel mit unseren größten Partnern weisen wir entweder einen zweistelligen Überschuss aus (USA, Niederlande, Frankreich) oder ein Riesendefizit wie mit China. Der Handel mit Indien ist fast ausgeglichen, eine sehr gute Basis für weiteres Wachstum.
Was wäre denn aus Ihrer Sicht ein mögliches Handelsvolumen im Jahr 2030?
Schwer zu sagen. Es hängt stark von der Wirtschaftsentwicklung in Deutschland und der Weltwirtschaft ab. Grundsätzlich sehe ich ein Wachstumspotential von zehn Prozent pro Jahr. Das würde uns Richtung 50 Milliarden Euro im Jahr 2030 bringen.
Wie sehen Sie in Indien die Chancen für deutsche Unternehmen? Ist es einfach, auf diesem Markt als Anbieter Fuß zu fassen?
Indien ist nicht einfach, schon auf Grund seiner Größe und kulturellen Diversität. Das Wichtigste ist, sich zu Beginn einen guten Überblick zu verschaffen über die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in den einzelnen Bundesstaaten. Wo sitzen Kunden, mögliche Geschäftspartner, Mitarbeitende? Wie sehen die infrastrukturellen und regulatorischen Rahmenbedingungen aus? Wir raten allen Firmen dazu, sich gut beraten zu lassen, Teil des Netzwerks zu werden. Der weitaus größte Teil der deutschen Unternehmen in Indien ist zufrieden mit dem Geschäft und plant für die kommenden fünf Jahre mit Wachstum bei Umsatz, Gewinn, Investitionen und Beschäftigung.
Für welche Branchen ist Indien als Absatzmarkt besonders interessant?
Es gibt kaum eine Branche, für die Indien nicht interessant ist. Das geht von der Automobilindustrie über Maschinen- und Werkzeugbau, hin zu Chemie, Pharma und Medizintechnik sowie erneuerbaren Energien. Indien baut seine Infrastruktur rapide aus, die Bautätigkeit ist erheblich. Da sehe ich viele Möglichkeiten.
Es muss einen Grund geben, warum die Handelsbeziehungen noch so spärlich sind. Auf welche Art von Kulturschock muss man sich gefasst machen, wenn man als Unternehmer nach Indien geht?
Natürlich gibt es Gründe, auf beiden Seiten. Ich würde aber keinen Schock erwarten. Sie werden sehr viele offene, freundliche, bestens gebildete, sehr gut Englisch sprechende Menschen treffen, die das Ankommen in Indien leicht und angenehm machen werden. Und dann werden Sie jeden Tag feststellen, dass die Dinge anders sind, als Sie es gewohnt sind. Dass Sie sich kaum auf Prozesse verlassen können, dass alles bis ins Detail besprochen und dann doch anders gemacht wird. Sie werden auf Preisvorstellungen treffen, die für Sie überhaupt nicht nachvollziehbar sind und auf Forderungen, die Sie für nicht erfüllbar halten. Und Sie werden auf Wettbewerber treffen, die dennoch profitabel arbeiten – und dann geht die Arbeit los