Wirtschaft im Südwesten
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bilisierung, was Konjunktur und Stellenaufbau angehe. Krisen wie
diejenige aus den Jahren 2008/2009 hätten schnell weggesteckt
werden können. Als ein deutsches Charakteristikum hob Hüther
den hohen und stabilen Industrieanteil Deutschlands von etwa 23
Prozent (England und Frankreich erreichen nur knapp über zehn
Prozent) und den dazugehörigen Dienstleistungssektor von rund
zehn Prozent hervor. Ein Grund dafür sei die politisch kleinräumige
Struktur des Deutschen Bundes zu Beginn der Industrialisierung. So
seien regionale Strukturen und Netzwerke entstanden, die es heute
noch gebe. Eine weitere Ursache für die Stärke Deutschlands liegt für
den IW-Direktor in der seit 100 Jahren bestehenden Tarifautonomie,
die Kompromisse zu geringen Kosten möglich mache und soziale
Ausgewogenheit gewährleiste. Als Drittes führte Hüther die duale
Berufsausbildung an, die im 19. Jahrhundert eingeführt wurde und die
mittelalterliche Zünfte zum Vorbild hat. „Nur so kann man verstehen,
warum sich in Deutschland so eine stabile Lage ergeben hat“, sagte
Hüther zu den Unternehmern. „Sie können darauf wetten, in dieses
stabile System weiterhin investieren zu können.“
Gleichwohl müsse sich die deutsche Wirtschaft mit der Demo-
grafie und der Digitalisierung auseinandersetzen. Die Menschen
würden älter, also müsste in ihre Beschäftigungsfähigkeit inves-
tiert werden. Die Lebensarbeitszeit müsse flexibler gestaltet, die
Zuwanderung aktiv gesteuert werden. Hüthers Ansatz angesichts
der Digitalisierung: eine differenzierte Produktion mit einem hohen
Technologiegehalt, eine Weiterentwicklung unter Einbindung des
Nutzerverhaltens. „Das ist, was die deutsche Wirtschaft kann“, be-
tonte der Wirtschaftswissenschaftler und warnte davor, alles allein
über Apps regeln zu wollen. „Deutschland kann hochqualifizierte
Produktion besser als die USA.“ Und er warnte davor, Angebote
wie Uber und Airbnb nur als Bedrohung zu sehen. „Früher gab es
die Mitwohnzentrale. Das ist eigentlich das gleiche.“ Durch Airbnb
könnten es sich zudem mehr Menschen leisten zu verreisen. Auch
sei noch unklar, wie sich die Bedeutung der Arbeitskräfte entwickeln
werde – „aber auch Roboter müssen hergestellt werden“, sagte
Hüther, der erneut den langen Atem der deutschen Volkswirtschaft
hervorhob und die Unternehmen dazu aufrief, Neuerungen in be-
stehende Unternehmen zu integrieren und nicht – wie die USA – in
immer neue Betriebe.
„Ein gesundes Maß an Selbstbewusstsein ist manchmal gar nicht so
schlecht“, meinte Hüther. Demokratie koste eben Zeit. In China, so
führte er an, würden Flughäfen schneller gebaut, und das Land sei
bei der E-Mobilität weiter - habe angesichts seines Drecks aber auch
keine andere Wahl. „Da geht alles schneller, aber sie akzeptieren die
Menschenrechte nicht“, mahnte Hüther. „Ist das dann ein Vorbild
für uns?“
mae
Ehrengast und Festredner: Michael Hüther.