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1 | 2018

Wirtschaft im Südwesten

7

titel

W

enn man Frank Reinauer fragt, welche neuen

Möglichkeiten die Technologie des 3D-Drucks

bietet, dann erzählt er ein Beispiel. Der Inge-

nieur ist Leiter Innovation und Produktion Biomaterialien

beim Tuttlinger Medizintechnikunternehmen KLS Martin,

und das Beispiel geht so: Einem Menschen fehlt ein Stück

seines Kieferknochens wegen eines Unfalls oder einer

Tumoroperation. Die Ärzte wollen die Lücke durch ein

Stück Knochen aus seinem Wadenbein füllen. Mithilfe

von Computertomografiebildern des Patienten konstru-

ieren Reinauers Kollegen am Bildschirm eine Schablone

mit Sägespalten. Sie soll genau auf den Wadenknochen

des Patienten passen und dem Chirurgen helfen, das

Ersatzstück präzise zu entnehmen. Außerdem entwer-

fen die Techniker ein passgenaues Implantat, das den

geflickten Kiefer fixieren soll. Beide Einzelstücke kön-

nen nun im Unternehmen innerhalb weniger Stunden

gedruckt werden, die Sägeschablone aus Polyamid, das

Implantat aus Titanpulver. Der Chirurg bekommt eine

Art Baukasten mit patientenspezifischer Sägeschablo-

ne und individuellem Implantat in den Operationssaal

geschickt. Passende Schrauben und Werkzeug samt

Anleitung liefert das Unternehmen gleich mit.

Ein solches Angebot passt genau zum aktuellen Trend

der personalisierten Medizin. „Die Zahl der Indikatio-

nen wächst fast ungebremst“, sagt Reinauer. Voraus-

setzung seien die digitalen Daten der Computerto-

mografie – und eben die Technologie des 3D-Drucks.

Dabei mag er den Begriff eigentlich nicht: „Denn es

gibt keinen Drucker, der einfach ein fertiges Produkt

auswirft.“ Reinauer spricht lieber von „additiver Ferti-

gung“ (siehe auch Kasten). Die läuft so ab: Ärzte und

Techniker planen die Operation über eine vom Unter-

nehmen entworfene App. „Wir konvertieren die Dateien

des Computertomografen in die technische Welt“, sagt

Reinauer. Die Implantate, die seine Mitarbeiter dann

dreidimensional am Computer modellieren, sind viel-

fältig – zum Beispiel ein Augenhöhlenboden oder eine

Art Gitter aus Titan, das nach einer Schädelverletzung

den fehlenden Teil des Knochens ersetzt. „Das ist sehr

komplex“, sagt Reinauer, „wir haben an unserem Körper

ja keine rechten Winkel oder konzentrischen Kreise.“

20 Entwickler designen im Unternehmen ausschließlich

individualisierte Implantate. Ihre digitalen 3D-Modelle

werden als Druckauftrag direkt an eine 3D-Anlage ge-

schickt, die sie Schicht für Schicht fertigt. Die Ergeb-

nisse müssen dann noch von Hand nachbearbeitet wer-

den: Mitarbeiter entfernen zum Beispiel mitgedruckte

Stützstrukturen und überarbeiten Oberflächen.

Im Jahr 2000 hat KLS Martin den ersten 3D-Drucker

gekauft, zunächst nur für Kunststoffmodelle etwa von

Schädeln. Seit knapp zehn Jahren stellt das Unter-

3D-Drucker für zuhause kosten nur noch wenige hundert Euro und sind meist eher

eine Spielerei. Produktionsbetriebe setzen die sehr viel teureren industriellen Anla-

gen immer öfter ein, vor allem für Prototypen - aber nicht nur: Experten sehen vor

allem in der Möglichkeit, Produkte zu individualisieren, ein großes Potenzial der

digitalen Technologie. Wir haben Unternehmen in der Region besucht, bei denen

bereits 3D-Drucker stehen, und mit Experten gesprochen.

»Es gibt kei-

nen Drucker,

der einfach ein

fertiges Produkt

auswirft«

WAS IST 3D-DRUCK?

3D-Druck

ist ein Herstellungsverfahren, bei dem Ge-

genstände nach einer dreidimensionalen digitalen

Vorlage Schicht für Schicht aufgebaut werden. Man

spricht deshalb auch von „

additiver

Fertigung

“. DasWerkstück wird also

nicht – wie bei herkömmlichen Ver-

fahren – aus Material herausgefräst

oder gegossen. Stattdessen wird das

Objekt in einem 3D-Drucker je nach

Technik zum Beispiel aus flüssigem

Kunststoff schichtweise aufgebaut.

Oder es entsteht aus Kunststoff-,

Keramik- oder Metallpulver, das von

einem Laserstrahl Schicht für Schicht

punktuell erhitzt und zusammengeschmolzen wird.

Manchmal müssen Stützstrukturen mitgedruckt und

anschließend wieder entfernt werden.

Mit solchen Techniken lassen sich Gegenstände mit

komplexen Strukturen

wie Hinterschnitten, Hohl-

räumen, Material sparenden feinen Gittern und auch

beweglichenTeilen herstellen, die mit herkömmlichen

Verfahren nicht zu fertigen wären. Daneben können

Einzelstücke oder Kleinserien

re-

lativ günstig und schnell hergestellt

werden, etwa für verschiedene

Pro-

totypen

(„Rapid Prototyping“). Lie-

gen die entsprechenden digitalen

Daten vor, können Produkte auch

einzeln

individualisiert

werden,

vom Sportartikel bis zum medizini-

schen Implantat.

Bisherige

Anwendungsfelder

von

3D-Druck sind neben Design- und

Funktionsmodellen für die Produktentwicklung oder

Architekturmodellen auch einzelne Leichtbauteile im

Fahr- und Flugzeugbau, Produkte der Medizin- und

Zahntechnik,Werkzeuge und Ersatzteile, Spielzeuge,

Requisiten und Kunstwerke.

thg

Bilder: blackday/Kirsty Pargeter Fotolia