Online-Shopping boomt. Doch der stationäre Handel kann mit etwas anderem punkten: Sinnhaftigkeit. Wie das funktioniert, zeigen drei Beispiele aus St. Blasien, Todtnau und Konstanz.

Christian Keemss nennt es „Analogisierung“. Er lächelt. „Das klingt vielleicht ein bisschen seltsam.“ Hinter diesem Begriff versteckt sich aber keine Technikfeindlichkeit. Keemss geht es vielmehr darum, die richtigen Mittel im jeweiligen Unternehmensbereich einzusetzen. Gemeinsam mit seiner Frau Veronika und Tochter Judith leitet er das Modehaus Schmidt Arkaden in St. Blasien mit insgesamt 1700 Quadratmetern Ladenfläche. „Wenn es um die Organisation im Verkaufsraum geht, ist mir eine analoge Checkliste lieber, die von jedem Mitarbeiter schnell, einfach und effektiv abgearbeitet werden kann“, sagt Keemss. Eine digitale Archivierung werde im Nachgang angestoßen.

Gelebte Umarmungsmentalität
Wer als Kunde bei Schmidt Arkaden durch die Tür tritt, wird mit einem Lächeln begrüßt. Die „Umarmungsmentalität“ ist wichtiger Bestandteil im Familienunternehmen. „Sie bringt Kunden dazu, sich bei uns wohlzufühlen und so Stammkunden zu werden – inklusive personalisierter Kundenkarte“, sagt Judith Keemss. Christian Keemss ergänzt: „Selbst sogenannte Digital Nerds nehmen die haptische Kundenkarte gerne an.“
Touristen sind für die Händler und Gastronomen in St. Blasien ein wichtiges Klientel. Wer hierherkommt, macht das vor allem wegen des „Schwarzwälder Doms“. Und nach der Besichtigung? Stadtbummel! Daher sind die zehn Schaufenster wichtig, sagt Veronika Keemss, deren Großvater Gustav Schmidt das Bekleidungshaus 1933 eröffnete. „Sie sind unser Aushängeschild.“ Mindestens einmal pro Saison lässt das Unternehmen die zehn Fenster von einem externen Gestalter komplett neu dekorieren. Weitere Veränderungen nehmen die Mitarbeiter mit Liebe zum Detail selbst in die Hand.

Geschichten hinter Glas
„Ein gutes Schaufenster verkauft keine Produkte, es erzählt Geschichten. Es weckt Emotionen, lässt Menschen stehenbleiben und schafft einen Moment der Neugier.“ Das sagt Diana Mosler. Sie ist Visual Merchandiserin und kümmert sich um das Thema optische Verkaufsförderung. Anders ausgedrückt: Sie ist Expertin für die Gestaltung von Verkaufsräumen und Schaufenstern und ist überzeugt, dass analoges Erleben heute wichtiger ist als jemals zuvor: „In einer Welt, in der nahezu alles digital verfügbar ist, wird das Echte und Spürbare zu etwas Besonderem.“
Ein Bestandteil dieser Analogisierung ist das „echte“ Schaufenster. Hier wird nicht durch beliebig viele Artikel gescrollt, sondern es werden ausgewählte Produkte ins richtige Licht gesetzt. Das Schaufenster hat eine Aufgabe, sagt Diana Mosler, die zuvor mehrere Jahre als Modedesignerin gearbeitet hat. „Ein Schaufenster ist wie ein Bühnenbild. Es lädt dazu ein, hineinzuschauen und sich etwas vorzustellen.“
Die Sinne ansprechen
Serdar Kokal setzt auf einen anderen Sinn als das visuelle Wahrnehmen. Bei ihm geht es ums Riechen: „Duft war für mich schon immer wichtig. Duft schafft Präsenz.“ Nach mehreren Jahren als angestellter Manager nahm sich Serdar Kokal eine Auszeit, um anschließend seine Leidenschaft in einem kleinen Laden umzusetzen. Vor wenigen Wochen öffnete Nischengold in der Konstanzer Innenstadt zum ersten Mal. Der Name ist Programm. Serdar Kokal setzt auf besondere und exklusive Düfte aus allen Regionen der Welt. Die Preise rangieren zwischen 80 und 900 Euro pro Flakon.
Serdar Kokal und sein kleines Team setzen auf intensive Beratung und Ausprobieren. „Düfte durchlaufen mehrere Stadien, wenn man sie aufgetragen hat. Das sollte man bei der Auswahl einfach wissen und sich Zeit lassen, bevor man sich entscheidet.“ Der Anfang ist vielversprechend. An manchen Tagen hat sich vor dem Ladengeschäft sogar eine Schlange gebildet. „Mein Ziel ist es, Menschen zu ‚ihrem‘ Duft zu verhelfen. Das geht nur, wenn man miteinander ins Gespräch kommt, und dafür braucht es Raum“, sagt der 43-Jährige.
Todtnau hat weder Hafen noch Münster, setzt als Gemeinde allerdings auch auf Tourismus. Der Luftkurort unterhalb des Feldbergs lockt vor allem Ausflügler und Outdoorbegeisterte an. Für Keller Bürsten ein Grund, hier aktiv zu werden. Die Geschichte der Bürstenfabrik reicht mehr als 150 Jahre zurück – man fühlt sich dem Heimatort verbunden. Es entstand ein kleiner Laden mit eigenen Produkten und hochwertigen Souvenirs: Todtnow Concept. Das Projekt liegt in den Händen von Luca Soukup. Wer hier reinkommt, darf die Bürsten und andere Artikel nicht nur anschauen. „Anfassen ist definitiv erlaubt“, sagt die 26-Jährige. Schließlich gehe es bei Bürsten um das Gefühl auf der Haut und in der Hand.
Auf dem großen Tisch in der Ladenmitte liegen Haarbürsten in den verschiedenen Formen und Designs, dazu kleine Feger für den Tisch, Frühstücksbrettchen aus Holz und Dinge, die Touristen mit dem Schwarzwald verbinden. Sie wollen förmlich berührt und in die Hand genommen werden. „Das Berühren, das Anfassen ist wichtig.“ Und dabei bleibt es meist nicht. „Oft kommt man darüber in ein Gespräch über Bürsten, den Schwarzwald oder Todtnau“, sagt Soukup. „Dafür nehmen wir uns dann auch gern Zeit, denn das schafft Verbundenheit.“
Offline schlägt online
„Bei jedem ‚echten‘ Einkauf nimmt man erzählenswerte Geschichten mit“, sagt Victoria Arens, Innenstadtberaterin bei der IHK Hochrhein-Bodensee. Sie entwickelt gemeinsam mit Unternehmen Konzepte, um die in den Onlinehandel abgewanderte Kundschaft wieder für den stationären Handel zu begeistern. „Alle Betriebe und Kommunen, die die Weiterentwicklung ihrer Innenstadt gezielt angehen möchten und für neue Impulse offen sind, dürfen sich gerne an uns wenden“, ergänzt IHK-Handelsreferent Eckhart Fink. Patrick Merck
IHK-Ansprechpartner
Victoria Arens,
Projektleitung Innenstadtberatung
0 75 31/ 28 60-1 32
victoria.arens@konstanz.ihk.de
