Jedes vierte Bauwerk in Baden-Württemberg wird aus Holz errichtet. Immer mehr spektakuläre Konstruktionen im Südwesten zeigen, was man mit dem nachwachsenden Baustoff alles auf die Beine stellen kann.

Genau 286 Treppenstufen geht’s hinauf. Eine Art umgekipptes Riesenrad liegt hier oben, hoch über den Dächern von Konstanz, auf einem zylindrischen Rundbau, der an die Gasometer in Pforzheim und Oberhausen erinnert. Nur dass hier alles aus Holz besteht. Gehalten wird das Dach von 40 vertikal aufgerichteten Langholzstützen. Jede davon 32 Meter hoch, 6,3 Tonnen schwer und pure Fichte. Herkunft: Vorarlberg. Die schwarzblaue Wand selbst besteht aus Baubuche, Dämmung und Schutzfolien. „Die Farbe braucht es, um Licht zu absorbieren und Reflexionen zu vermeiden“, erklärt Bauleiter Mike Vivas, der alle Zahlen parat hat: „90 000 Schrauben halten den Baukörper zusammen.“ Nur als Beispiel.

„Wir könnten jede Woche eine Führung machen“, erklärt Johannes Schweizer, Geschäftsführer von Panorama Konstanz. Seine Begeisterung ist mit Händen zu greifen, auch wenn erst nächstes Jahr Besucher ins neue Panorama-Gebäude hinein dürfen. „Es gibt eine Resonanz, mit der wir selbst nicht gerechnet haben“, sagt der Bauherr, dessen Vorhaben schon jetzt die Silhouette der Stadt prägt: 50 Meter hoch, geplant in Hybridbauweise mit Stahlbetonsockel, Holztragwerk und farbenfroher Metallfassade, entworfen vom Berliner Architekturbüro Sauerbruch Hutton. Investitionen in zweistelliger Millionenhöhe hat das Projekt ausgelöst. Dazu zählen Aufträge für Fundament- und Gerüstbauer, Kranverleiher, Installateure, Planungs- und Ingenieurleistungen.
Ziel ist es, einen Ausstellungsraum zu schaffen für ein Panoramagemälde des Künstlers Yadegar Asisi, eine Zeitreise ins Spätmittelalter mit Motiven des Konstanzer Konzils, das dort von 1414 bis 1418 tagte. Industriekletterer werden das 32 Meter hohe und 110 Meter breite, aus Stoffbahnen bestehende Panoramabild demnächst aufhängen. Wenn die Besucher das Kunstwerk im Gebäudeinneren von einer 15 Meter hohen Treppenkonstruktion aus betrachten, würden Stützen den Blick nur stören. Also gibt es keine. Stattdessen erbringt die freitragende Statik mit den spektakulären Balken – richtig, das Riesenrad – den Nachweis, welche Spannweiten und Bauhöhen mit Holz inzwischen möglich sind.

Die Strahlkraft von Holz – perfekt für Konstanz
„Eigentlich ist das Bauwerk ein Bilderrahmen“, sagt Bauleiter Vivas. Das Bild wirken lassen, darauf ist es ausgelegt. Deswegen auch die dunkle Wandverkleidung. Was aber gab den Ausschlag für den Baustoff Holz? „Auf dem schwachen Untergrund am Seerhein hätte man mit Stahlbeton nur schwer gründen können“, sagt Schweizer, der auf Bohrpfähle baut. 50 Stück, jeder 1,50 Meter dick und bis zu 45 Meter weit in den Boden gerammt. Schweizer weiter: „Holz ist innovativ und hat eine große Strahlkraft – in architektonischer, aber auch ökologischer Hinsicht. Das passt zur Nachhaltigkeitsstrategie der Stadt Konstanz.“ So ist das Gebäude nicht nur die Kulisse für ein Kunstwerk. Es ist selbst eins.
Dass Holz als Baustoff Perspektive hat, ist im Südwesten keine Überraschung. „Bauen mit Holz hat in unserer Region eine lange Tradition – vom Schwarzwaldhaus bis hin zu modernen Architekturkonzepten für Wohnen und Gewerbe“, weiß Alwin Wagner, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der IHK Südlicher Oberrhein. Gerade aktuell zeige sich das Potenzial im Holzbau: „Holz ist ein nachwachsender, regional verfügbarer Baustoff mit hoher Vorfertigungstiefe. Das reduziert Bauzeiten und schafft neue Perspektiven für bezahlbares, klimafreundliches Bauen. Für den Südwesten sehe ich deshalb nicht nur eine starke Relevanz, sondern auch einen klaren Wachstumspfad.“

Moderne Holzbauten gibt es daher immer mehr. So hat der 2021 in Freiburg fertiggestellte Buggi 52 gezeigt, wie sich ein Wohngebäude mit acht Etagen in Holzbauweise realisieren lässt. Erd- und Untergeschoss bestehen aus Stahlbeton, alles darüber ist – bis in 25 Metern Höhe – als Holzrahmenbau entstanden: ein ressourceneffizientes, kleines Hochhaus, mehrfach geadelt, unter anderem mit dem Deutschen Holzbaupreis. Ein anderer Hingucker: Der im September 2023 eingeweihte Neubau der Bergrettungswache in Hinterzarten, ein Schmuckstück für 1,7 Millionen Euro. Mit dem Bau hat die Bergwacht Schwarzwald ein Signal gesetzt für die innovative und traditionsverbundene Holzbauweise öffentlicher Einrichtungen in der Region.

Auch die Statistik untermauert die Relevanz des Baustoffs Holz. 30 Prozent aller Nichtwohngebäude wurden 2023 in Baden-Württemberg mit „überwiegend verwendetem Baustoff Holz“ genehmigt. Das ist so viel wie in keinem anderen Bundesland. Der Durchschnitt liegt bei 23,4 Prozent. Im Wohnungsbau hat The Länd noch deutlicher die Nase vorn, mit 35,2 Prozent (Durchschnitt bundesweit: 22 Prozent). Kein Wunder: Holz ist gut fürs Gemüt und für die Gesundheit, argumentiert die Interessenvertretung Pro-Holz-BW. Der „Champion unter den Bauformen“ atme und reguliere auf natürliche Weise Raumklima und Luftfeuchtigkeit. Ökologisch schlägt zudem die gute Klimabilanz zu Buche: CO2 wird im Holzbau gebunden, während Zement als Großverursacher anthropogener Treibhausgase gilt. Und: Der Baustoff-Vorrat direkt vor der Haustür ist prall gefüllt: 1,4 Millionen Hektar sind in Baden-Württemberg mit Wald bedeckt, das sind etwa 38 Prozent der Landesfläche. Auf dieser Fläche wachsen jährlich 15 Millionen Kubikmeter Holz nach – rechnerisch ist das mehr als genug für 300 000 Häuser jährlich.
Letztes Ziel unserer Holzbaureise ist die Scheffelhalle in Singen. 2020 fiel sie einem Brand zum Opfer – ein Schock für die Stadt am Hohentwiel. „Die alte Halle aus dem Jahr 1925 war im Holzfachwerk errichtet worden“, berichtet Christian Kezic, der bei der Stadt das Gebäudemanagement leitet. „Im Gemeinderat entstand dann die Idee, erneut Holz als Baustoff zu verwenden und dafür eine Förderung aus dem Holz Innovativ Programm der Landesregierung zu beantragen.“
Holzbau und Brandschutz? Machbar!
Architekt Ben Nägele, Chef von Solar-System-Haus, schaffte den Spagat, den gewünscht rustikalen Charme der Halle mit moderner Technik zu verknüpfen. Mit einer Hochdruckwassernebel-Löschanlage gelang es, die Brandschutzauflagen zu erfüllen. Denn: „Eigentlich baut man eine mehrgeschossige Versammlungsstätte nicht aus Holz“, erklärt Nägele. Hier aber wurde die Anlage so ausgelegt, dass das Tragwerk einem Brand mindestens 90 Minuten standhält und das Gebäude in diesem Zeitraum evakuiert werden kann. Doch daran will niemand denken, in der guten Singener Stube aus Holz, die im September wieder eröffnet wurde.
Benedikt Brüne
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Ihr Ansprechpartner bei der
IHK Südlicher Oberrhein: Markus Loh,
Referent für Nachhaltigkeit und Klimaschutz
07 61 / 38 58-2 63,
markus.loh@freiburg.ihk.de