Wirtschaft im Südwesten - Ausgabe März'23 -Schwarzwald-Baar-Heuberg

52 IHK-Zeitschrift Wirtschaft im Südwesten 3 | 2023 THEMEN & TRENDS P aketboten müssen seit einigen Monaten immer seltener die Rheingasse 19 in Konstanz ansteu- ern. Denn Bestellungen bei überregionalen On- linehändlern werden hier kaum noch getätigt. „Über jedes Paket, das wir nicht geliefert bekommen, freue ich mich“, sagt Martin Bantle. Der Versicherungskauf- mann und Leiter einer Zurich-Agentur in der Konstanzer Altstadt lässt sein Team lieber vor Ort einkaufen. „Nur so stärken wir als Unternehmen den heimischen Markt und den Standort, an dem unsere Kunden wirtschaften“, lautet seine Erklärung. Der Einkauf ist eine von vielen Betriebsroutinen, die in den vergangenen Monaten ei- ner Veränderung unterworfen waren. Der Unternehmer hat seine Agentur nach den Kriterien des Gemeinwohls bilanzieren lassen und die Prozesse innerhalb des Be- triebs danach ausgerichtet. Ein Auslöser für diesen Schritt war ein Buch: „Reinventing Organizations“ von Eric Laloux: „Der Autor beleuchtet darin, wie fruchtbar es für ein Unternehmen ist, wenn man den Menschen in den Mittelpunkt stellt, und erläutert, warum ein Un- ternehmen besser dem Menschen dienen sollte – und nicht umgekehrt“, erklärt Bantle. Einen zusätzlichen Abschluss anfertigen, der noch dazu komplett freiwillig und zudem umfangreich ist? „Ja, das geschieht. Und das Interesse daran wächst“, sagt Stefanie Aufleger. Seit 2012 befasst sich die Che- fin der Konstanzer Unternehmensberatung Steauf mit der Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ) und begleitet als GWÖ-Beraterin Unternehmen bei der Erstellung ihrer Gemeinwohl-Bilanz. Eines davon war die Agentur von Martin Bantle. Den Sinn der Arbeit dokumentieren „Eine Gemeinwohl-Bilanz hat einen immensen Einfluss auf das Unternehmen und die Mitarbeitenden“, sagt Nico Tucher, ein Mitstreiter aus dem dreiköpfigen Grün- dungsteam von Wetell. Der Freiburger Mobilfunkanbie- ter ist seit 2020 auf dem Markt und hat sich für eine Gemeinwohl-Bilanz entschieden. Der Ursprungsgedan- ke war, Transparenz zu schaffen – sowohl nach außen als auch nach innen. Durch die Offenlegung von Pro- zessen, Lieferanten und Verfahren will Wetell Vertrauen gegenüber potenziellen Kunden schaffen. „Wir stehen für Klimaschutz und Nachhaltigkeit im Mobilfunk, also wollen wir dokumentieren, wie wir das machen – also wo zum Beispiel unser Strom herkommt oder wie wir CO 2 einsparen“, erläutert Tucher. Die Orientierung des Unternehmens am Gemeinwohl hat zusätzliche Wirkungen: „Wenn Mitarbeitende in ihren Tätigkeiten einen Sinn erkennen, wirkt sich das auf alle Bereiche einer Firma aus.“ Er lächelt und hält kurz inne: „Aus der klassischen Unternehmersicht könnte man auch formulieren: Stell Dir vor, alle Deine Mitarbeitenden ziehen voll mit. Was könntest Du alles mit Deinem Un- ternehmen erreichen?“ Gemeinwohl-Bilanzierung Wie sich Ethik in Zahlen fassen lässt Was, wenn nicht allein Gewinn und Verlust etwas über den Erfolg eines Unternehmens aussagen? Was, wenn Faktoren wie regionale Ausrichtung, Nachhaltigkeit und Mitbestimmung in die Bilanz einfließen? Was macht das mit einem Unternehmen, was mit den Menschen dahinter? Es eröffnet neue Perspektiven. Bild: Adobe Stock/liliya

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ2MDE5