Wirtschaft im Südwesten - Ausgabe März'23 -Schwarzwald-Baar-Heuberg

53 3 | 2023 IHK-Zeitschrift Wirtschaft im Südwesten Hilfreich auch als Verkaufsargument „Unternehmen werden heute nicht mehr nur nach ih- ren Finanzdaten bewertet. Investoren, Unternehmen sowie Verbraucherinnen und Verbraucher verlangen zu Recht mehr und bessere Informationen. Dazu zählen Arbeitnehmer-, Sozial- und Umweltbelange genauso wie die Achtung der Menschenrechte oder Konzepte zur Korruptionsbekämpfung“, formulier- te es 2016 der damalige Justizminister Heiko Maas (SPD). Anlass war die Umsetzung des „Gesetzes zur Stärkung der nichtfinanziellen Berichterstattung der Unternehmen in ihren Lage- und Konzernlageberich- ten“, des sogenannten CSR-Richtlinie-Umsetzungs- gesetzes. CSR steht für Corporate Social Responsi- bility – zu Deutsch „gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen“. Damit, so merkt Stefanie Auf- leger an, „greift der Gesetzgeber erstmals tief in die Wertekultur von Unternehmen ein und setzt die Auseinandersetzung mit Werten und Ethik auf die Wirtschaftsagenda.“ Auch deshalb geht Alexander Graf, Geschäftsführer der IHK Hochrhein-Bodensee, davon aus, dass die Gemeinwohl-Bilanz „aufgrund der zunehmenden Be- deutung der Themen Nachhaltigkeit und CSR zukünf- tig eine größere Rolle spielen könnte“. Für Jil Munga vom Geschäftsbereich Innovation und Umwelt der IHK Südlicher Oberrhein ist die Gemeinwohl-Bilanz ein Werkzeug, das viele Ressourcen benötigt, „wes- halb ich es vor allem Unternehmen empfehlen würde, die im B2C-Bereich tätig sind, wo Zusatzqualifikatio- nen die Kaufentscheidung von Kunden beeinflussen können.“ In der Gemeinwohl-Bilanz werden fünf für ein Unter- nehmen relevante Gruppen – das sind Lieferanten, Eigentümer und Finanzpartner, Mitarbeiter, Kunden und Mitunternehmen sowie das gesellschaftliche Umfeld – in den Kriterien Menschenwürde, Solida- rität und Gerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit sowie Transparenz und Mitbestimmung bewertet. Die Punkteskala, mit der bewertet wird, reicht von minus 3.600 bis maximal plus 1.000. Für Praktiken oder Faktoren, die sich negativ auf das Gemeinwohl aus- wirken, werden Punkte abgezogen. Ein Unternehmen, das alle gesetzlichen Vorschriften einhält, aber keinen positiven Beitrag zum Gemeinwohl leistet, macht die Nulllinie aus. Mit jedem weiteren Engagement arbeitet sich das Unternehmen also ins Positive. Startpunkt für Veränderungen „Es war nicht immer einfach“, gibt Martin Bantle zu. Doch der Aufwand zur Erstellung der Gemeinwohl- Bilanz hat sich aus seiner Sicht gelohnt. Rund 150 Ar- beitsstunden sind in den Prozess geflossen. Darunter waren Workshops, in denen er sich als Unternehmer seinem Team gestellt hat. „Ich dachte, ich bin ein toller Chef“, berichtet er lächelnd, „aber meine Mitarbeiter sahen das nicht in jeder Hinsicht so.“ Kein Problem aber, denn genau diese Art des Umgangs miteinander helfe ihm weiter. „Ich will ja ein guter Chef sein, und durch diesen Prozess kenne ich nicht nur den Stand der Dinge, sondern weiß auch, welche Schritte in die richtige Richtung führen.“ Ganz ähnlich beschreibt es Hartmut Schäfer. Der Lörra- cher Maschinenbauingenieur und Logistiker unterstützt als GWÖ-Berater Unternehmen und Institutionen auf ih- rem Weg zur Gemeinwohl-Bilanz: „Mit der Gemeinwohl- Bilanz erfährt das Unternehmen einerseits, wo es steht. Es erhält gleichzeitig einen Kompass an die Hand, um konkrete Veränderungsprozesse anzustoßen.“ Ob und wie diese genutzt und welche Verbesserungen erzielt werden sollen, „das entscheidet jedes Unternehmen idealerweise im Rahmen seiner Strategie“, sagt Schäfer, dem es wichtig ist, dass sich Firmen gezielt auf den Weg machen, mehr Verantwortung zu übernehmen. Eine Bilanz, die Kreise zieht „Wir sind noch nicht da, wo wir sein wollen, aber jetzt wissen wir, wie das Ziel aussieht – und welche Wege wir einschlagen“, sagt Nico Tucher von Wetell. Bezogen auf die Gemeinwohl-Bilanz heißt das für ihn und die beiden anderen Köpfe hinter Wetell, Alma Spribille und Andreas Schmucker, von derzeit 470 Punkten mittelfristig auf 600 Punkte zu kommen. 120 Seiten umfasst der Bericht, der auf der Website des Mobilfunkunternehmens zu finden ist. Dort werden alle Indikatoren beleuchtet und zudem Verbesserungsmöglichkeiten aufgelistet, die bewusst angegangen werden und teilweise schon umgesetzt wurden, berichtet Tucher. Zurich-Agentur-Chef Martin Bantle (4.v.r.) mit seinem Team. Manche Themen bei der Gemein- wohl-Bilanzierung erarbeitete man sich spielerisch. »Wir stehen für Klima- schutz und Nachhaltigkeit im Mobilfunk, also wollen wir dokumen- tieren, wie wir das machen« Nico Tucher Gründer und Geschäfts- führer Wetell, Freiburg

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