Wirtschaft im Südwesten - Ausgabe Mai'22 - Hochrhein-Bodensee

46 IHK-Zeitschrift Wirtschaft im Südwesten 5 | 2022 THemen & TrendS Kreative Gastrokonzepte Gegessen wird um sieben Hat auch Sie ein kreatives Gastronomiekonzept durch die Pandemie getragen oder sind Sie mit so etwas nach Corona wieder durchgestartet? Dann schreiben Sie uns: wis@freiburg.ihk.de W er die Steintreppe der schmucken Grün- derzeitvilla im Freiburger Stadtteil Wiehre hinaufsteigt und die eingangshalle mit dem kunstvollen mosaikfußboden betritt, kommt sich auf seiner Suche nach dem restaurant etwas deplatziert vor. Im erdgeschoss eine Psychotherapiepraxis, im dritten Stock ebenfalls ein Arzt. Kann das hier richtig sein? die Verwirrung gehört zum Konzept. dinieren, dort, wo man sicher kein zweites mal speisen wird. Für drei Wochen im April ist dies nun eine ehemalige – und künftige – Arztpraxis im ersten Stock, mit hohen decken und raucherbalkönchen. Bis sie demnächst wieder ihrer Bestimmung übergeben wird, tischen hier die Hawaras – altösterreichisch für „Freunde“ – auf. die Hawaras sind die beiden Köche Yannik Spielmann und nicolai Heuer sowie Sommelière Sonja Wagner. Sie bieten gehobene produktbezogene Pop-up-Gas- tronomie. dafür hat das Trio zwei Zimmer der Praxis mit Tischen – gusseiserne nähmaschinengestelle mit montierten Holzplatten – und alten Gasthausstühlen bestückt. 32 Gäste bekommen sie unter. eine raumho- he dunkelblaue Holzrahmenkonstruktion gibt dem Gan- zen einen gewissen Tavernencharakter, dazwischen Pflanzen und großformatige Kunst an den Wänden. Auf der anderen Seite vom Flur wurde eigens eine Küche eingebaut, mit mehreren Kochstellen und pro- fessioneller Abzugsanlage. Spül- und Waschmaschine sind ebenfalls mitgebracht. Alles in allem ausreichend ausgestattet, um gehobene Küche servieren zu kön- nen, aber noch Praxis genug, um als Location etwas Besonderes zu sein. Punkt 19 Uhr geht es los, bis etwa elf Uhr, jeweils mitt- wochs bis freitags. Zehn bis 15 Gänge, festes menü, für 130 euro plus Getränke. es wird gegessen, was auf den Tisch kommt, für Vegetarier, Pescetarier und bei Unverträglichkeiten gibt es Ausnahmen. Im September 2020 zunächst als Testballon gestartet und seit Herbst 2021 regelmäßig am Start, sind die Hawara-Abende stets ausgebucht, ohne Werbung und Webseite. Infos gibt es per newsletter und Instagram, angemeldet wird per e-mail oder Telefon. ein Konzept, das auf dauer funktionieren kann? Sonja Wagner im Gespräch über ihre erfahrungen mit dieser Form der Gastronomie und wo sie damit noch hinwollen. Frau Wagner: Hawara macht vieles anders, von der schrägen, wechselnden Location bis zum festen Zehn-Gang-Menü. Um was davon geht es im Kern? Sonja Wagner: die Grundpfeiler unseres Selbstver- ständnisses sind da noch gar nicht aufgeführt. das ist der saisonale und der regionale Ansatz. Und die Idee, Tiere ganz zu verwerten. Was nicht auf dem Teller landet, wird anderweitig verarbeitet. Wir ver- suchen die Kreisläufe zu schließen. Und reduziert zu kochen, mit wenig Komponenten, ohne Schnick- schnack. die wechselnden Locations sind eher aus der not geboren. Das müssen Sie erklären. An sich suchen wir tatsächlich eine feste Location, um unser Konzept des „nose to tail“ besser leben zu kön- nen. Aber weil wir etwas möchten, das in der Vergan- genheit nicht schon mal gastronomisch bespielt wurde, und aktuell nichts in Aussicht ist, haben wir für 2022 aus der not eine Tugend gemacht. Und probieren uns derweil noch ein bisschen aus. Von großen menüs über Bistrokleinigkeiten bis Streetfood. nix is fix bei uns. Man nehme: Zwei junge Köche aus der Sternegastronomie, eine Sommelière, drei Dutzend experimentierfreudige Gäste und immer wieder eine coole Location. Ein Rezept für die Gastronomie der Zukunft? die drei Hawaras (v.l.): nicolai Heuer, Sonja Wagner und Yannik Spielmann »Wir wollen uns eine Lebensrealität schaffen, auf die wir Lust haben«

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