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Wirtschaft im Südwesten

4 | 2016

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DIE LETZTE SEITE

Tapeten aus Breisach

Vlies für die Wand

Früher war mehr Tapete, könnte man frei nach Loriot sagen. In den

vergangenen Jahrzehnten haben sich vor allem in Süddeutschland

weiße Wände durchgesetzt. Von den über fünfzig Tapetenherstellern,

die es im Nachkriegsdeutschland gab, haben nur fünf diesen Trend

überlebt. Einer davon ist die Tapetenfabrik Erismann in Breisach.

Text: kat, Bild: Erismann

Von der Rolle ...

Die abgebildeten Tapeten zählen zur Kollektion „Fashion Wood“, für die Erismann jüngst beim

German Design Award nominiert wurde. Ihre Basis besteht aus einem Vlies, das außer Zellstoff

auch Polyesterfasern enthält. Dieses Trägermaterial bezieht Erismann von Papierherstellern welt-

weit. In Breisach wird es auf vier Druckstraßen veredelt. Dabei werden auf den weißen Grund-

strich nacheinander mit Schablonen im Sieb- und Flexodruck Farben und Schäume aufgetragen.

Zwischen den Drucken fährt das Vlies durch Trockenöfen. Nach der letzten Schicht wird es bei

180 Grad gebacken, damit der Schaum aufgeht und die Tapete ihre Struktur bekommt. Am

Ende der Produktionsstraße wird sie geschnitten und aufgerollt. Die genormte Eurorolle misst

53 Zentimeter in der Breite und 10,05 Meter in der Länge. In Kartons verpackt verlassen zehn

Millionen Rollen pro Jahr die Tapetenfabrik in Breisach.

... an die Wand

Vlies hat das Tapezieren verändert. Tapeten wie „Fashion Wood“ müs-

sen nicht eingekleistert werden und einweichen – es reicht, den Kleis-

ter auf die Wand zu streichen und die Tapete draufzulegen. Umgekehrt

lässt die Tapete sich Jahre später wieder einfach von der Wand abzie-

hen. Dem höheren Komfort für Heimwerker zum Trotz verwenden die

Deutschen immer weniger Tapete. Denn Rauhfaser ist genaugenommen

keine Tapete. Gegen den Trend des rückläufigen deutschen Marktes

konnte Erismann in den zurückliegenden Jahren seinen Inlandsumsatz

konstant halten. Gewachsen ist das Unternehmen allerdings im Aus-

land. Über die Hälfte der Tapeten geht in den Export, die aktuelle Quo-

te liegt bei annähernd sechzig Prozent. Denn außerhalb Deutschlands

schätzt man farbige Wände und kennt Rauhfaser kaum. Der wichtigste

Markt für exportierende Hersteller ist Russland.

Breisacher Traditionsbetrieb

Seit 1838 produziert Erismann in Breisach Tapeten. Bis 1858

arbeitete man im Breisacher Rheintor und bezog dann die erste

Fabrik in der später nach dem dritten Chef benannten Richard-

Müller-Straße. Der Neubau schaffte die Voraussetzung für die Me-

chanisierung. 1862 übernahm die erste Maschine den bisherigen

Handdruck. Um die Jahrhundertwende blühte das Tapetengeschäft.

Die Fabrik überstand den Zweiten Weltkrieg, brannte jedoch in

den Nachkriegswochen völlig ab. Der damalige Geschäftsführer

Hermann Glattes baute Erismann wieder auf. In den 1970er-Jahren

stieg der heutige Inhaber Peter Bercher in den Traditionsbetrieb

ein, holte ihn aus den Schulden und expandierte. 1993 wurde die

Produktion in der Breisacher Hafenstraße, 2003 das Werk in Russ-

land gebaut. Seit Anfang 2016 teilt sich Berchers Sohn Maximilian

die Geschäftsführung mit Martin Slotty. Erismann beschäftigt aktu-

ell etwa 550 Mitarbeiter, davon 180 in Breisach, und erwirtschaftet

einen Jahresumsatz von rund 100 Millionen Euro.

Für den Tapetenwechsel

Geschmäcker sind von Land zu Land sehr unter-

schiedlich. Deshalb entwerfen die drei Designer

im Erismann-Kreativstudio für jeden Markt

andere Tapeten. Während in Deutschland na-

türliche Motive wie die der Kollektion „Fashion

Wood“ gut gehen, mögen es beispielsweise

Russen deutlich pompöser. Rund 5.000 verschie-

dene Artikel zählen bei Erismann zum Sortiment

– Struktur-, Vinyl- und Prägetapeten, auf Vlies

oder Papier. Tapeten sind ein Modeprodukt, das

Angebot verändert sich ständig. Um die dreißig

neue Kollektionen gibt es jedes Jahr, und jede

Kollektion bleibt durchschnittlich zwei Jahre auf

dem Markt. Erismann ver-

kauft über Fachhändler,

Baumärkte (Hornbach,

Globus) und

– insbeson-

dere im Ex-

port – über

Großhänd-

ler. Einen

eigenen Onlinever-

trieb gibt es (noch) nicht, aber

einen Werksverkauf in Breisach.