Wirtschaft im Südwesten - Ausgabe September'22 - Hochrhein-Bodensee

55 9 | 2022 IHK-Zeitschrift Wirtschaft im Südwesten D as Land Baden-Württemberg hat Mitte August durch den Erlass konkreter, landeseigener Anwendungshinweise zum aktuellen Aufenthaltsgesetz die Bleibeperspektiven für gut integrierte, aber an sich ausreisepflichtiger Ausländer verbessert. Die Ausländerbe- hörden sollen gemäß dieser Anwendungshinweise ihre gesetzlichen Spielräume bei der individuellen Fallentscheidung landeseinheitlich zugunsten eines Bleiberechts gut angekommener Flüchtlinge nutzen, teilte das Staatsministerium mit. Zudem sollen die Empfehlungen der Härtefallkommission künftig in der Regel umgesetzt werden. Das Land bereitet mit seinem Erlass schon mal der vom Bund angekün- digten Neuregelung des §25b des Aufenthaltsgesetzes den Weg. Diese erste Reform des Migrationsrechtes hatte das Bundeskabinett Mitte Juli in Form eines Gesetzentwurfs auf den Weg gebracht. Der baden-württembergische Erlass soll jenen Menschen ein dauerhaftes Bleiberecht verschaffen, die „seit vielen Jahren in Baden-Württem- wo man sich die Freiheit nicht mehr nimmt und die Erfahrung nicht mehr machen kann, dass man auch im Ausland zurechtkommt.“ Den Bewerbungsprozess beschreibt sein Azubi Luca Fröhlin als aufwendig, aber machbar. Für ihn ging es in ein Architekten- büro in Brescia, Italien. Angesprochen auf das Thema Eigenständigkeit, muss der an- gehende Bauzeichner ein bisschen grinsen: „Das stimmt schon mit der Selbstständigkeit, weil ich das von zu Hause nicht in diesem Ausmaß gewohnt bin, jeden Tag selber zu kochen, Wäsche zu waschen und den ganzen Rest. Das war echt nicht schlecht.“ Vor allem aber habe ihm gefallen, seine Sprachkenntnisse auf- zupolieren. Erasmus gibt es auch für Azubis Ob auch sie tatsächlich „selbstbewusster“ zurück- gekehrt sei, könne sie nicht beurteilen, meint Vanessa Bösch. Aber alle Rückmeldun- gen aus ihrem Umfeld deuten darauf hin. „Sie ist richtig strahlend durch die Gänge ge- laufen“, sagt Bettina Schuler- Kargoll, Geschäftsführerin der Schuler Rohstoff GmbH, über ihre 19-jähre Auszubilden- de, die Anfang Juli aus ihrem vierwöchigen Praktikum in Irland zurück nach Deisslingen gekommen ist. Bösch befindet sich bei dem Entsorgungsfachbetrieb und Sekundärroh- stoffhändler gerade im zweiten Lehrjahr zur Groß- und Außenhandelsmanagerin. In ihrer Zeit in Irland hat Bösch zunächst an einem einwöchigen Englischsprachkurs teilgenom- men und anschließend in der Buchhaltung einer Catering-Firma mitgearbeitet. „Das war interessant zu vergleichen, welche Dinge wir gleich und welche wir anders in Deutschland machen.“ Bettina Schuler-Kargoll ist stolz auf die 70-jährige Ausbildungstradition ihres Fa- milienbetriebs. „Wir sehen unsere Auszu- bildenden nicht einfach als billige Arbeits- kräfte, sondern wollen den jungen Menschen in diesen drei Jahren was fürs Leben mitgeben.“ Soziale Umgangs- formen, weniger Ellenbogen, mehr Interesse für andere, gerade auch andere Kultu- ren – all diese Softskills will die Geschäftsführerin ihren Schützlingen vermitteln. „Und es geht auch darum, den ‚europäischen Gedanken‘ zu leben“, betont die ehema- lige Lehrerin und überzeugte Europäerin. Der Betrieb nutzt die Unter- stützung des EU-Programms „Erasmus+“, das seit 2014 nicht mehr nur Studierenden dazu verhilft, Lebenserfah- rung im Ausland zu sammeln, sondern auch Auszubilden- den. Ein Praktikum über Erasmus+ kann zwischen zwei Wochen und zwölf Monaten dauern. Die Auszubildenden können wäh- rend oder auch kurz nach ihrer Ausbildung ins Ausland gehen, als Gruppe oder allein. Kosten für Reise, Unterkunft, Praktikums- vermittlung sind durch das „Erasmus+“- Stipendium gedeckt. Selbstverständlich sei so ein Angebot für Azubis nicht, weiß Va- nessa Bösch. Viele ihrer Mitschüler lernen bei Unternehmen, bei denen Auslandserfah- rung während der Lehrzeit kein Thema ist. Ioannis Grizis, Ausbildungsleiter bei Schuler, hält das Angebot eines Auslandsaufenthal- tes auch für ein geeignetes Instrument, den Ausbildungsberuf interessanter zu machen. „Wenn man beim Bewerbungsgespräch er- zählt, dass es die Möglichkeit gibt, einen Mo- nat ins Ausland zu gehen, werden alle sofort hellhörig“, sagt er. Für Bösch sei das Ange- bot zwar nicht das entscheidende Kriterium gewesen, den Betrieb auszuwählen, „aber es war auf jeden Fall ein Pluspunkt“. In der Gesamtschau ziehen Bösch und Fröhlin das gleiche Fazit zu ihrem Europa-Trip: „Absolut empfehlenswert“. db »Wir wollen unseren Azubis was fürs Leben mitgeben« Bettina Schuler-Kargoll Geschäftsführerin Schuler Rohstoff GmbH, Singen INFORMATION  Austauschprogramm der baden- württembergischen Wirtschaft Go.for.Europe www.goforeurope.de Ansprechpartner: Michael Uriot, c/o IHK Südlicher Oberrhein (Lahr), 07821 2703 659 michael. uriot@freiburg.ihk.de  EU-Programm Erasmus+ www.erasmusplus.de berufsbildung Durch neuen Landeserlass Bessere Bleibeperspektiven berg leben, Deutsch sprechen, gut integriert sind, einen Arbeitsplatz haben und ihren Lebensunter- halt selbst verdienen“, erklärt Florian Hassler, Staatssekretär für politische Koordinierung und Europa im Staatsministerium. Damit soll auch der Wirtschaft, insbesondere Branchen, die vom Ar- beitskräftemangel besonders und akut betroffen sind, unter die Arme gegriffen werden, teilt das Staatsministerium mit. uh Anwendungshinweise des Landes zu § 25b Aufenthaltsgesetz: Bild: Adobe Stock - REDPIXEL

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