Wirtschaft im Südwesten - Ausgabe Mai'22 - Hochrhein-Bodensee

7 5 | 2022 iHK-Zeitschrift Wirtschaft im Südwesten titel A uf Socialmediaplattformen wie insta- gram und tiktok versucht Melissa Vö- gele, Personalleiterin beim Sanitär-, Heizungs- und Solarexperten Walter Vögele GmbH in Freiburg, gegen das vermeintlich ver- staubte image des Anlagenmechanikers an- zuposten. „Das ist ein hochtechnologisierter Beruf, der im Zuge der energiewende immer wichtiger wird und große Zukunft hat“. Vöge- le, die mit dem Familienunternehmen auch in diesem Jahr wieder zu den Gewinnern des Jobmotor-Wettbewerbs gehört (mehr dazu Seite 9), macht das, um potenziellem Nach- wuchs das richtige Bild vom Arbeitsalltag der jungen Monteure und Auszubildenden beim Unternehmen zu vermitteln. „Ausbildung ist das einzige, was wirklich hilft. es bringt nichts, wenn wir uns hier gegenseitig die Mitarbeiter abwerben“, so ihre Meinung. Seit 2020 bildet der 50-Mitarbeiter-starke Betrieb deshalb jährlich drei statt zwei Azubis aus. Fachkräftemangel ist in der Region schon lange thema. „Dennoch konnte man viel Personalwachstum der vergangenen Jahre immer noch mit Kandidaten aus der näheren Gegend stemmen. Das wird aber zunehmend schwieriger“, weiß Alexander Graf, leiter des Geschäftsfelds Standortpolitik bei der iHK Hochrhein-Bodensee. Denn der demografi- sche Wandel verschärft die Fachkräftesitua- tion immer weiter. Selbst in den „düstersten Zeiten der Pandemie“, also im April und Mai 2020, gab es in der Region immer deutlich mehr Ausbildungsplätze als Bewerber, be- richtet auch Simon Kaiser, Geschäftsführer Aus- und Weiterbildung bei der iHK Südlicher Oberrhein. „Wir können schon seit einer Weile beobachten, dass sich der Arbeitsmarkt von der Konjunktur entkoppelt hat“, sagt er. Wie dem begegnen? Das Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung (Kofa) hat in einer ge- meinsamen Studie mit der Jobbörse indeed und der Fachzeitschrift Personalwirtschaft im Jahr 2019 über 400 Unternehmen, die bereits unter dem Fachkräftemangel leiden, dazu be- fragt, wie sie neue Mitarbeiter suchen. Strategische Personalplanung für den Blick in die Zukunft Demnach betreiben lediglich 43 Prozent der befragten Unternehmen eine strategische Per- sonalplanung. Vorausschauende Annahmen über Personalengpässe, talentbedarf, Fluk- tuation und Pensionierungen werden nur von einer Minderheit getroffen. Doch Unterneh- men müssten unter den heutigen Bedingun- gen langfristig planen und können nicht mehr erwarten, dass der gezielte Recruitingprozess ein Selbstläufer ist, so die Autoren der Studie. Strategische Personalplanung ist natürlich kei- ne neue Methode. „Durch die immer stärkere Personalknappheit muss aber eine Profes- sionalisierung auch im instrumentenset des HR-Bereichs stattfinden“, sagt Jutta Rump, Geschäftsführerin des instituts für Beschäftigung und employa- bility (iBe) in ludwigshafen. inzwi- schen gibt es zahlreiche kosten- freie Softwares, um die einzelnen Schritte abzuarbeiten. „Das ist kein Hexenwerk“, sagt Rump. letztlich geht es darum, einen qualifizierten Blick in die nähere Zukunft zu werfen: Welche tech- nologische, demografische, sozio- ökonomische und gesellschaftli- che entwicklung erwartet ein Unternehmen in seiner Region und global für die nächsten drei Jahre? Was tut sich im Produktbereich? Diese Analyse sollte man dokumentieren, mit dem Mitarbeiterbestand abgleichen und entsprechend den Bedarf in jedem Unterneh- mensbereich festlegen, rät die expertin. Für mittelgroße Unternehmen veranschlagt sie für den gesamten Prozess etwa zwei tage. Stärken offensiv verkaufen ist die Bedarfsanalyse erfolgt, gilt es, um die gesuchten Mitarbeiter zu werben. Am besten frühzeitig. Viele Unternehmen bieten laut dem Kofa stark umworbenen „engpass-talenten“ monetäre und nicht-monetäre extras an, wie etwa Umzugshilfen. Allerdings macht derzeit nur jedes vierte befragte Unternehmen seine besonderen leistungen und Vorzüge auch öffentlich, etwa in der Stellen- ausschreibung. 41 Prozent der befragten Unternehmen benen- nen diese speziellen Anreize im ersten persönlichen Gespräch, weitere 16 Prozent in einem Folgetermin und 13 Prozent der Unternehmen nur auf explizite Anfrage. Dabei wäre es wichtig, diese Anreize auch nach außen zu kommunizieren, damit poten- zielle Bewerber aufmerksam wer- den, so die Autoren der Studie. egal, ob klein oder groß, es sei nötig, die eigenen Stärken als Arbeitgeber herauszuarbeiten und sie offensiv zu kommunizieren, rät auch Alexander Graf. Und das gelte nicht nur für Benefits, die die Firma bietet, sondern auch die der Region. Mit allen Vorzügen werben Schöne Gegend, aber keine hochqualifizierten Jobs? Das ist ein Vorurteil, dem der Schwarz- wald wie die Bodenseeregion oft ausgesetzt sind. Auch, wenn etwa hiesige Medizintech- nik- und Automobilcluster eine ganz andere Sprache sprechen und die Jobmotorgewinner »Der Arbeits- markt hat sich von der Konjunktur entkoppelt« Simon Kaiser Zwischen Wunsch und Wirklichkeit Diese Benefits bieten deutsche Unternehmen aktuell am häufigsten an 50,6% 38,5% 33,7% 27,4% 26,7% 17,9% Impfangebote Kantinenessen Mitarbeiterrabatte Snacks und Obst Dienstwagen Benefits aus diesen Kategorien finden Mitarbeiter am wichtigsten 46% 12% 12% 9% 7% Betriebliche Altersvorsorge Work-Life-Balance* Mobilität Gutscheine & Rabatte Gesundheit Finanzen & Recht * Familienfreundliche Freizeit- gestaltung, Kinderbetreuung, Pflege von Angehörigen, Unterstützung in besonderen Lebenslagen Quelle: Umfrage des HR-Start-ups voiio unter 109 deutschen Arbeitgebern und 1.500 Arbeitnehmern. Durchschnittsalter der Befragten: 43 Jahre. Stand: 1/2022

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