Wirtschaft im Südwesten - Ausgabe Februar'22 -Schwarzwald-Baar-Heuberg

53 2 | 2022 IHK-Zeitschrift Wirtschaft im Südwesten Themen & Trends Ab 2022 sind zunächst große Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern betroffen; was ist mit dem Mittelstand? Welche Auswirkungen kommen für kleine und mittelgroße Unternehmen? Die explizite Offenlegungspflicht laut Taxonomie- Verordnung betrifft Unternehmen, die laut EU-Recht über ihre Nachhaltigkeit Bericht erstatten müssen. Dies sind laut aktueller Rechtslage in der Tat vor allem größere, kapitalmarktnahe Unternehmen. Die Europäi- sche Kommission hat jedoch im vergangenen Frühjahr vorgeschlagen, die Berichtspflichten auszuweiten. Da- durch würden viel mehr Unternehmen über ihre Nach- haltigkeit und damit auch ihre Taxonomie-Konformität berichten müssen. Darunter befänden sich vermehrt kleine und mittlere Unternehmen. Praktisch kommt aber hinzu: Die aktuell bereits be- richtspflichtigen Unternehmen reichen die an sie ge- stellten Anforderungen auch an ihre Zulieferer weiter. Denn um die eigene Taxonomie-Konformität umfassend beurteilen zu können, brauchen sie natürlich diese Da- ten. Dazu kommen noch die konkreten Auswirkungen der Berichtspflicht der Banken. Die können ihre Kenn- zahlen nur berechnen, wenn sie wissen, ob die Unter- nehmenskredite für wirtschaftliche Tätigkeiten genutzt werden, welche die Taxonomie-Kriterien einhalten. Der Kreditnehmer muss also genau dies offenlegen. Was raten Sie diesen kleinen und mittelgroßen Unternehmen? Die Taxonomie wird viel weitreichendere Folgen haben als gemeinhin behauptet, weil auch kleine und mittlere Unternehmen wie erläutert über die Einbindung in eine Wertschöpfungskette oder aufgrund der Anforderungen der Finanzinstitute oder Kapitalgeber immer öfter Daten zur eigenen Nachhaltigkeit vorlegen werden müssen. Es ist deshalb wichtig, sich möglichst frühzeitig mit der eigenen Klima- und Umweltbilanz zu beschäftigen. Auch die Verbesserung dieser sollte in den Fokus rücken, denn perspektivisch ist zu erwarten, dass der Zugang zu Finanzierungen und die Konditionen davon abhängen werden. Erklärtes Ziel der Taxonomie ist neben der Schaffung von Transparenz, Kapital in als nachhaltig definierte Wirtschaftsbereiche umzulenken. Ist der EU mit der Taxonomie-Verordnung tatsäch- lich der große Wurf gelungen, oder kommt ein neues Bürokratiemonster auf uns zu? Mit der Taxonomie kommt auf Unternehmen aller Grö- ßenkategorien viel Aufwand zu. Es ist zugleich frag- lich, inwieweit sich damit die angestrebten klima- und umweltpolitischen Effekte erreichen lassen. Denn in der Praxis lässt sich wirtschaftliche Tätigkeit oft nicht trennscharf in nachhaltig und nicht nachhaltig eintei- len, wie sich viele das vorgestellt haben: Unternehmen, die heute beispielsweise noch viel CO 2 emittieren, ma- chen sich nun auf den Weg, ihre Produktionsverfahren und Energieversorgung umzustellen. Dieser Wandel hin zur Klimaneutralität sollte nicht ausgebremst werden, indem der Zugang zu Finanzierungen für den Wandel erschwert wird. Zudem gilt: Viele heute noch emissionsintensive Branchen tragen mit ihren Waren zur Herstellung von Klimaschutztechnologien bei. So werden in jeder Wind- kraftanlage große Mengen Stahl oder Kupfer verbaut. Zudem scheiden sich bei manchen Aktivitäten die Geister. So ist noch nicht klar, ob Investitionen in Gaskraftwerke als nachhaltig gelten können. Deutsch- land wird hierauf aber in den nächs- ten Jahren angewiesen sein, um durch Atom- und Kohleausstieg wegfallende Kraftwerkskapazitäten zu ersetzen. Im schlechtesten Fall könnte die Taxo- nomie die deutsche Energiewende ausbremsen und verteuern. Zuletzt ist die Taxonomie ein lebendi- ges Regelwerk, das ständig weiterent- wickelt und ausgeweitet werden soll. Die Komplexität nimmt also tenden- ziell zu. Zudem zeigt sich bereits, dass die Taxonomie nicht wie ursprünglich geplant nur für den Finanzmarkt als Richtschur gelten wird. Bei staatlichen Förderregeln werden bereits Verweise auf die Taxonomie erwogen. Das Interview erschien zunächst in „Wirtschaft in Main- franken“, dem Magazin der IHK Würzburg-Schweinfurt. ZUR PERSON Julian Schorpp ist Referatsleiter Europäische Energie- und Klimapolitik bei der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) in Brüssel. » Auch kleine und mittlere Unternehmen werden immer öfter Daten zur eigenen Nachhal- tigkeit vorlegen müssen « Bilder: Adobe Stock; Paul Aidan Perry

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