Wirtschaft im Südwesten - Ausgabe März'21 -Südlicher Oberrhein

7 3 | 2021 IHK-Zeitschrift Wirtschaft im Südwesten TITEL Einzelhandel „Es ist ein Desaster – insbesondere für Bekleidungs- sowie Schuhgeschäfte und Parfümerien, aber auch für Kauf- und Warenhäuser und Sportgeschäfte, die in der Innenstadt angesiedelt sind.“ Mit diesen Worten be- schreibt Peter Spindler, Hauptgeschäftsführer des Han- delsverbands Südbaden, die Lage des Einzelhandels. Während die Branche 2020 deutschlandweit vor allem wegen des boomenden Online- und Versandhandels um 3,9 Prozent zulegte, verbuchten die stationären Mode- und Schuhhändler einen Umsatzrückgang von 23,4 Prozent. Der erste Lockdown im März 2020 sei für die Händler ein Schock gewesen, allen voran für die Mode- geschäfte, die ihre Lager mit der neuen Frühjahrsware gefüllt hatten, die sie später im Jahr, wenn überhaupt, dann nur mit Abschlägen verkaufen konnten. Während es im Sommer für die Branche wieder einigermaßen lief, „fing es ab Oktober erneut an, schwierig zu werden“, sagt Spindler und nennt den Appell von Bundeskanzle- rin Angela Merkel, Kontakte zu reduzieren, als Grund. Verschärft wurde die Situation ab November: Mit dem „Lockdown light“ ging die Zahl der Kunden deutlich zurück, bis sie ab Mitte Dezember mit den verordneten Schließungen auf null sank. „Ganz schlimm ist, dass das Weihnachtsgeschäft gänzlich weggebrochen ist und dass die Aussichten, 2021 mit einem vernünftigen Ergebnis rauszukommen, von Tag zu Tag schwinden“, so Spindler. Die Mode- und Schuhhändler stehen zudem vor demselben Problem wie vor einem Jahr: Wieder sind die Lager voll, da sie bereits im Herbst die aktuelle Frühjahrsmode bestellen mussten, und wieder wissen sie nicht, wann oder ob sie diese verkaufen können. Auch wenn die meisten weniger als sonst bestellt ha- ben, sind viele derzeit gezwungen, sich mit Krediten über Wasser zu halten, berichtet Spindler. Der Impfstoff sei ein Hoffnungsschimmer gewesen, der sich aber – angesichts der Dauer des zweiten Lockdowns – im- mer mehr zerschlagen habe. Die Möglichkeit, bei ihnen vorab bestellte Waren abzuholen, sei für viele Händler nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Spindler rechnet „mit erheblichen Ladenschließungen in Südbaden und Problemen, die auf alle Innenstädte zukommen“. Industrie Natürlich ist auch die regionale Industrie von den Fol- gen der Pandemie betroffen, allerdings weniger stark als beispielsweise die Veranstaltungsbranche oder der Handel, wie Christoph Münzer betont. Der Hauptge- schäftsführer des Wirtschaftsverbands industrieller Unternehmer Baden (WVIB) sagte Anfang Februar vor der Presse: „Corona trifft die Industrie hart, aber nicht frontal.“ Der Umsatz der Mitgliedsunternehmen ging 2020 durchschnittlich um 8,42 Prozent zurück. Das ist das Ergebnis einer Umfrage, an der sich 400 der über 1.000 Mitgliedsunternehmen beteiligten. Be- reits im Vorjahr meldeten sie einen – allerdings klei- nen – Rückgang von 0,12 Prozent vor allem wegen der Transformation der Automobilindustrie. 2020 indes erlebte die Industrie, so wie das Gros der Wirtschaft, ein Auf und Ab: Nach einem Umsatzrückgang um zwölf Prozent im ersten Halbjahr gab es „eine Aufholjagd, die durch den zweiten Lockdown gebremst wurde“, so Münzer. Die stärksten Rückgänge verbuchte die Mess- und Regeltechnik, gefolgt von Automotive, Me- tallverarbeitung sowie Maschinenbau, Konsumgüter und Medizintechnik. Allerdings sind die Unternehmen der einzelnen Branchen unterschiedlich betroffen. Medizintechnikunternehmen, die Schutzkleidung und andere Hygieneprodukte herstellen, legten natürlich zu. Und die Automobilzulieferer profitierten von den wieder steigenden Exporten nach China und in die USA, wie Thomas Burger, WVIB-Präsident und ge- schäftsführender Gesellschafter der Burger Group aus Schonach, berichtet. Die Erwartungen sind besser als vor einem Jahr: 42 Prozent der Befragten rechnen in den nächsten sechs Monaten mit steigenden (Vorjahr: 26 Prozent), 46 Pro- zent mit gleichbleibenden (49 Prozent) und 12 Prozent (25 Prozent) mit sinkenden Umsätzen. Der Auftrags- eingang ist in der Industrie durchschnittlich um knapp fünf Prozent gegenüber dem Vorjahr zurückgegangen. „Das ist nicht so gut wie geplant, aber besser als zwi- schendurch befürchtet“, so Münzer. Hotellerie und Gastronomie Ungleich mehr als die Industrie, aber ebenfalls un- terschiedlich leiden Gastronomie und Hotellerie seit einem Jahr: Allen machen die Lockdowns und die un- klaren Aussichten zu schaffen. Doch während auf Ur- lauber spezialisierte Hotels und Gaststätten vor allem im Schwarzwald und am Bodensee im Sommer gute Geschäfte machen konnten, mussten die auf Tagungen, Geschäftsleute und Reisegruppen spezialisierten Häu- ser und auch andere Stadthotels das ganze Jahr über massive Einbußen hinnehmen, wie Alexander Hanglei- ter, Leiter der Geschäftsstelle Freiburg des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga), betont. Ausnahmen seien einzelne, beispielsweise in der Nähe von Großbaustellen gelegene Häuser, die die dortigen Arbeiter beherbergen. Auch auf Veranstaltungen spe- zialisierte Restaurants sowie Cateringunternehmen leiden besonders. Für das gesamte Gastgewerbe rech- net Hangleiter mit einem Umsatzrückgang von rund 50 Prozent im vergangenen Jahr. Schlusslichter sind Clubs und Diskotheken, die seit Mitte März 2020 geschlossen sind. „Wie die überleben sollen, weiß ich nicht“, sagt er. Laut einer Umfrage des Dehoga vom Januar bangen 75 Prozent der Mitgliedsbetriebe in Baden-Württemberg um ihre Existenz, ein Viertel zieht konkret in Betracht zu schließen. „Uns liegen immer mehr Gewerbeabmel- dungen vor“, berichtet Hangleiter. Er befürchtet, dass viele Betriebe dauerhaft abgemeldet bleiben, häufig mit Schulden, aber ohne Insolvenz anzumelden, so dass sie auch in keiner Insolvenzstatistik auftauchen werden. Dem gegenüber steht ein „Interesse an Exis- tenzgründungen“, das der gelernte Hotelfachmann und Jurist ebenfalls beobachtet – wie es nach Krisen häufig der Fall ist. Peter Spindler Hauptgeschäftsführer Handelsverband Südbaden, Freiburg Thomas Burger WVIB-Präsident und Geschäftsführer Burger Group, Schonach Alexander Hangleiter Geschäftsführer Dehoga, Freiburg

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