Wirtschaft im Südwesten - Ausgabe Januar '20 - Hochrhein-Bodensee

51 1 | 2020 IHK Zeitschrift Wirtschaft im Südwesten technologie ins Ökosystem, zum zweiten den Markt- anteilverschiebungen von Europa nach Asien sowie zum Dritten den Industriepolitiken der USA und Chi- nas und damit der Frage, wer auf welche Ressourcen setzt beziehungsweise auf ihnen sitzt. Die USA würden ihre Industriedominanz über das Erdöl ausüben, seit sie dank der Öl-Schiefer - Produktion zum weltgrößten Ölproduzenten geworden seien. Sie würden nach wie vor auf Verbrenner setzen. Die Chinesen hingegen, die sich große Vorkommen seltener Erden gesichert hätten, bevorzugten die E-Mobilität. Und die Europäer hätten keine Industriepolitik. Becker prognostizierte langfristig ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen den Antriebs- technologien. Dabei komme es sehr auf die Applikati- on, also die jeweilige Nutzung an: batteriebetriebener Elektromotor für die Städte, Hybrid für das Land, Brenn- stoffzelle für lange Distanzen. Für die exportorientierte Automobilindustrie sei wichtig, dass sich viele Länder, wie beispielsweise Indien, Elektromobilität gar nicht leisten könnten. Wegen der stark schwankenden Netz- spannungen in Indien gebe es beispielsweise derzeit in Bangalore nur zwei Teslas. Bei den Fahrzeugflotten rechnete Becker damit, dass der Diesel neuester Gene- ration zurückkommt. Die Kosten der Mobilität würden immer wichtiger, zumindest bei den Massenmodellen. Jürgen Döring , bei der Daimler AG „Director Automotive Regulatory Strategy“, ging vor allem auf die Heraus- forderungen ein, denen sich die Automobilindustrie aufgrund der politischen Vorgaben gegenüber sieht. Bis 2030 müsse der CO 2 -Flottenausstoß um 60 Prozent ge- senkt werden, und man rechne mit weiteren Verschär- fungen. Das bedeu- te, dass der Fahrzeugbestand, der auf den Straßen unterwegs ist, seinen Ausstoß auf weit unter 100 Mil- lionen Tonnen Treibhausgase reduzieren müsse. Das gehe am besten über Neufahrzeuge. Die Strafen bei Nichteinhaltung seien drastisch. Bei einem Prozent Ver- fehlung entstünden bei Daimler bereits Zahlungen von 100 Millionen Euro. In Europa und in China müssten steigende E-Auto-Anteile abgesetzt werden. Auch die Lkw müssten teilelektrisch unterwegs sein. Allerdings käme der reine Batteriebetrieb für schwere Lkw nicht infrage, da dann nach derzeitigem Stand der Technik die Batterie zehn Tonnen wiegen würde. Hier werde der Brennstoffzellenantrieb weiterentwickelt. Daimler wolle bis in drei Jahren das ganze Portfolio (circa 130 Fahrzeuge) elektrifiziert oder teilelektrifiziert anbieten. Das bedeute unter anderem gemischte Produktionen in jedem Daimler-Werk, jede Fabrik müsse alles können. Zulieferern, die auf Verbrenner konzentriert seien und in dieser Technologie bleiben wollten, empfahl er, sich geografisch dorthin auszurichten, wo diese auch gebaut und gekauft würden. Matthias Pohl , bei der Landesbank Baden-Württem- berg „Teamleiter Fokusbranchen, Sector Head Au- tomotive“ ging davon aus, dass der Markt aufgrund der politischen Forderungen von den Herstellern mit E-Autos geflutet wird, in der Hoffnung, diese auch an den Mann zu bringen. Die Frage müsse aber gestellt werden, ob der Kunde überhaupt E-Mobile wolle. Pohl rechnete damit, dass von circa 100 Millionen welt- weit abgesetzten Fahrzeugen im Jahr 2025 noch 55 Prozent Verbrenner sowie 30 Prozent Hybridautos sind und 15 Prozent batterieelektrisch angetrieben sein werden. Für die Zulieferer bedeute dies, dass für alle, die mit der Produktion beziehungsweise Produk- tionsteilen von Tanksystemen, Verbrennungsmotoren, Getrieben und Abgasanlagen befasst sind, die Kon- kurrenz zunächst steigt. Nach einer Marktbereinigung sei die Marktposition von Unternehmen in kleineren Märkten dagegen gut. Diese „last man standing“- Strategie könne aber nur eine Zeitlang funktionieren. Wem eine Transformation hin zu E-Autos gelinge (zum Beispiel Alugießereien), der müsse darauf achten, sämtliche Vertriebssysteme, ebenso die Forschung und Entwicklung sowie die Akquisition umzubauen. Je größer ein Betrieb, umso besser sei er transfor- mierbar. Deshalb hätten manche großen Zulieferer bereits in den vergangenen Jahren in großem Umfang zugekauft. upl »Jedes Fortbe- wegungsmittel bedarf einer ganzheitlichen Umweltbilanz« Thomas Burger WVIB-Präsident Gastgeber und Hauptredner des Gipfels (von links): Christoph Münzer, Hanns-Peter Knaebel, Andreas Richter (Moderator), Birgit Hakenjos- Boyd, Thomas Burger, Jürgen Döring, Thomas Albiez und Dieter Becker. Grafik: WVIB, Bild: Michael Kienzler

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