Wirtschaft im Südwesten - Ausgabe Januar '20 - Hochrhein-Bodensee

10 IHK Zeitschrift Wirtschaft im Südwesten 1 | 2020 TITEL Osypka. „Aber wir wussten, dass jedes dieser Produkte das Leben des Patienten verbessert, indem zum Beispiel eine schonendere Operation durchgeführt werden kann als mit herkömmlichen Pro- dukten.“ Die Ärzte hätten sich darauf verlassen, dass die Osypka AG diese Produkte liefere und im Sinne des Patienten agiere. „Hier entsteht leider ein Rückschritt in der medizinischen Behandlung, den die MDR zu verantworten hat“, so Osypka. „Kardiologen, Herz- chirurgen und Kinderkardiologen, denen wir die Einstellung dieser Produkte verkünden müssen, sind entsetzt über diese Entwicklung, und wir sind es auch.“ T homas Butsch, der die Tuttlinger Hebu Medical GmbH in vierter Generation führt, hat wegen der MDR etwa fünf Prozent der Artikel aus dem Programm genommen. „Ich bin unser Produkt- portfolio durchgegangen, was ich schon früher hätte tun sollen“, sagt er. Von den über 400 verschiedenen Arten von Arterienklemmen, die Hebu Medical produziert, wurde die Produktion derer eingestellt, von denen nur noch eine Handvoll im Jahr verkauft werden, da es neue OP-Methoden oder Alternativen gibt. „Das hat auf den Umsatz keine Auswirkung“, sagt Thomas Butsch. Die MDR hat ihm vor allem viel Arbeit und höhere Personalkosten beschert. Beschäftigte er früher eine Teilzeitkraft mit 30 Stunden pro Woche in der Qualitätssicherung, sind es wegen der MDR heute vier Vollzeitkräfte. „Für uns ist das machbar, aber einem Kleineren tut das weh“, sagt Butsch. Hebu Medical beschäftigt insgesamt rund 200 Mitarbeiter, davon 45 in Tuttlingen, die anderen in Ungarn, Polen und Bulgarien. Das Unternehmen ruht auf den vier Säulen chirurgische Instrumente, Gipssägen, Hochfrequenz-Elektrochirurgie und Sterilisationscon- tainer. Mit den chirurgischen Instrumenten wie Scheren und Arte- rienklemmen macht Hebu Medical etwa 70 Prozent des Umsatzes. Sie alle werden nun von Klasse 1 in Klasse 1r hochgestuft – und müssen von Benannten Stellen zertifiziert werden. Thomas Butsch arbeitet dafür bereits mit einer Benannten Stelle zusammen, der deutschlandweit ersten, die im Mai zugelassen wur- de. Mit dieser Einrichtung kooperiert er schon länger, und zwar zur Zertifizierung seiner Klasse-2-Produkte. So konnte er dort bereits die Unterlagen für all seine Produkte, die nun hochgestuft wur- den, einreichen und ist zuversichtlich, dass sie bis 26. Mai gemäß der MDR zugelassen werden. „Das ist aber Glück“, sagt Thomas Butsch. „Das Problem ist, dass keine Chancengleichheit bestand.“ Nun hofft er, dass die dreijährige Übergangsfrist dazu führt. Als IHK-Vizepräsident gehörte er zu denen, die sich in Brüssel für eine Übergangsfrist für die hochgestuften Produkte eingesetzt haben und ist froh, dass sie nun beschlossen wurde. Dennoch ärgern ihn viele der neuen Vorschriften: „Produkte, die seit rund 100 Jahren nahezu unverändert eingesetzt werden, sind nun hochgestuft. Das ist eine absolute Ausuferung der Bürokratie“, sagt er. Die Patientensicherheit sei ihm, so wie jedem anderen Medizintechnikunternehmen auch, wichtig. „Aber die MDR schießt total am Ziel vorbei.“ E ine Gruppe, die von der neuen Übergangsfrist nicht profitiert, sind Start-ups: Wer demnächst neue Produkte auf den Markt bringen will, hat nach wie vor das Problem, dass es noch zu wenige Benannte Stellen dafür gibt. Denn die Fristverlängerung gilt nur für Produkte, die bereits auf dem Markt sind und über ein Zertifikat verfügen. Auch die Innovationen von etablierten Unternehmen können betroffen sein. Sunita Patel, die bei der IHK Hochrhein-Bodensee den Bereich Innovation und Umwelt verantwortet, befürchtet daher als Folge der MDR: „Die Produktvielfalt wird sich verringern und Innova- tionen werden zurückgehen.“ Susanne Maerz HILFESTELLUNG Die Medical Mountains GmbH ist eine Clus- terinitiative für Medizintechnikunternehmen in Tuttlingen. Sie hilft beispielsweise bei Koopera- tionen, aber auch bei Fragen wie zur Medizin- produkteverordnung und vertritt die Interessen der Branche nach außen. Auch Medizintech- nikunternehmen außerhalb Tuttlingens können sich an die Mitarbeiter wenden. Hauptgesell- schafter ist die IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg (51 Prozent), gefolgt vom Landkreis Tuttlingen (14 Prozent) sowie der Handwerkskammer Kon- stanz, der Landesinnung Chirurgiemechanik BW, der Stadt Tuttlingen, dem Naturwissenschaftli- chen und Medizinischen Institut der Universität Tübingen (NMI) sowie der Hahn-Schickard-Ge- sellschaft für angewandte Forschung (jeweils sieben Prozent). 07461 9697-210 info@medicalmountains.de www.medicalmountains.de IHK-Ansprechpartner IHK Hochrhein Bodensee: Sunita Patel 07531 2860-126 sunita.patel@konstanz.ihk.de IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg: Wolf-Dieter Bauer 07721 922-168 bauer@vs.ihk.de IHK Südlicher Oberrhein: Philipp Klemenz 0761 3858-269 philipp.klemenz@freiburg.ihk.de Checkliste Eine Checkliste für Unternehmen zur Vorberei- tung auf die Medizinprodukteverordnung gibt es unter www.gesundheitswirtschaft.ihk.de Dokumentennummer 3811240. Bild: Visual Generation

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