Wirtschaft im Südwesten - Ausgabe Oktober '19 -Südlicher Oberrhein

10 | 2019 Wirtschaft im Südwesten 47 Kapazität für die Trägerschaft einer Betriebs- seelsorge. Auf die Mitarbeitenden bezogen ist Betriebsseelsorge selbstverständlich offen. Ich weiß über die Konfessionalität und religi- öse Zugehörigkeit meiner Gesprächspartner nichts. Das ist von mir so gewollt. Jeder, der zu mir kommt, ist für mich zunächst einmal ein Mensch dieser religiös offenen und nicht gebundenen Gesellschaft in Deutschland – da lege ich großen Wert darauf. Wenn ich zum Beispiel an einem Pausenplatz ein Event ver- anstalte, dann habe ich auch die im Blick, die keiner christlichen Konfession angehören und in deren Raum ich in diesem Moment Gast bin. Wie reagieren die Mitarbeiter in den Betrieben, in denen sie tätig sind, auf Sie und Ihr Angebot? Erstaunlich offen und auch überrascht – was, das gibt’s? Desinteressiert sind ganz wenige. Die Zustimmung muss gar nichts mit Kirche zu tun haben, sondern damit, ob ein Mitar- beiter das als Angebot wahrnehmen und sich öffnen will mit einem persönlichen Problem. Da sind die Einstellungen unterschiedlich. Was bringt Seelsorge dem Betrieb? Dem Betrieb bringt es Mitarbeitende, die kon- struktiv an ihren eigenen Problemen arbeiten wollen. Wenn private Fragen angesprochen werden dürfen, ermöglicht der Betrieb die Stärkung von seelischen Ressourcen bis hin zur Klärung sozialer Probleme. Auch das ist Gesundheitsvorsorge. Betrieblich ist das in- sofern von Vorteil, als dass die Mitarbeitenden aus einer Vorwurfshaltung zu einer Klärung ih- rer Position kommen können. Das setzt natür- lich Betriebe voraus, die ihren Mitarbeitenden zutrauen, diese Verantwortung zu überneh- men. Für die Außenwirkung des Betriebs kann Seelsorge ein Signal sein: Bei uns hat auch die menschliche Seite einen Platz. Sind Betriebe angesichts von knappen Fachkräften offen für die Seelsorge? Das Bewusstsein ist da, ob der Fachkräfte- mangel alleine der Grund dafür ist, möchte ich zurückstellen. Ich vermute, es hängt mit einer höheren Individualisierung in unseren Arbeitsabläufen zusammen, die auch zu einer höheren Verletzlichkeit führt. Es wird heute viel Flexibilität erwartet und aus Sicht von Mitarbeitern sehr disruptiv gearbeitet, wenn Abteilungen umstrukturiert werden. Das verunsichert. Ich sehe das Angebot der Be- triebsseelsorge in der Nähe zur betrieblichen Sozialberatung, die auch viele Firmen haben. Betriebe wollen sich neutral verhalten, um auf der sicheren Seite der Compliance zu sein. Ich stehe selbst voll und ganz hinter dem Dis- kriminierungsverbot und gegen eine religiöse Kennzeichnung von Betrieben, werbe aber für eine religiöse Toleranz statt einer religiösen Neutralität und für Vertrauen – auch für ein Angebot, das von der Kirche kommt. In angel- sächsischen Ländern ist Betriebsseelsorge viel verbreiteter als bei uns und nicht nur von christlichen Trägern organisiert. Wie bewerten Sie die bisherige Resonanz auf Ihr Angebot? Sehr positiv: Vier Betriebe mit zusammen circa 4.000 Mitarbeitern – damit bin ich zufrieden. Und das Angebot findet in den Betrieben Zustimmung. Es ist mit Sicher- heit etwas, das nicht nur äußerlich bekannt werden muss, sondern auch innerlich. Für Betriebe ist es auch eine sehr grundsätzliche Frage: Will ich für private Probleme meiner Mitarbeitenden ansprechbar sein oder be- fürchte ich eine Vermischung? Dienstlich und privat lässt sich in der Seelsorge nicht trennen. Eine Beschränkung auf betriebliche Themen greift zu kurz, weil private Muster ja nicht ausgeblendet werden können. Die Befürchtung, jetzt habe ich auf einmal lauter kranke Mitarbeiter, weil der Seelsorger ins Haus kommt, geht an der Arbeit von Seel- sorge vorbei. Wenn jemand so ein Gespräch vereinbart, dann sortiert er sich ja. Allein da geschieht schon sehr viel. Nehmen auch Führungskräfte Ihr Angebot in Anspruch? Ja, weil viele in einer Mittelstellung sind, ge- rade in den mittleren Führungsebenen. Inwieweit hat Betriebsseelsorge mit Ethik in der Wirtschaft zu tun? Wenn ich dem Einzelnen konstruktive Kon- fliktlösungen ermögliche, leiste ich ja auch einen Beitrag zur Unternehmenskultur. Je- mand, der in der Seelsorge sein persönliches Bedürfnis erkennt und bearbeitet, wird auch Ermutigung empfangen, dieses Bedürfnis nach außen zu benennen und zu vertreten. Auf eine faire Weise. Das zeigt ein Betrieb damit. Ethische Fragen werden innerhalb ei- nes Unternehmens kontrovers diskutiert. Ich muss dabei kein Neutrum sein, ich kann mei- ne ehrliche Meinung äußern. Gleichzeitig ist klar: Ethik und Seelsorge, die beiden Arbeits- bereiche von Kirche, gehören zusammen, sie sind aber zu trennen. Unternehmensethik ist Aufgabe des Betriebs, in die der Seelsorger einbezogen werden kann. Seelsorge ist ein vertrauliches Gespräch, aus dem der Einzel- ne selbstverantwortlich herausgeht und bei dem der Seelsorger hoffentlich ein hilfreicher Partner war. Interview: kat ZUR PERSON Andreas Bordne (55) ist in Mannheim aufgewachsen, hat nach dem Abitur Theologie in Heidelberg, Basel sowie Montpellier studiert und anschließend seine praktische Ausbildung zum Vikar absolviert. Er arbeitete drei Jahre als Religionslehrer an einem Heidelberger Gymnasium, ehe er Gemeindepfarrer in Köndringen wurde und 16 Jahre lang blieb. Zu der Stelle gehörte die Seelsor- ge am Kreiskrankenhaus Emmendingen. 2012 wechselte Bordne, der zwischen- zeitlich Fortbildungen in gewaltfreier Kommunikation und Klinikseelsorge absolviert hatte, als Wirtschafts- und Sozialpfarrer in den Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt (KDA) in Freiburg. Dieser hat vergangenen Oktober das zunächst auf drei Jahre angelegte Pro- jekt Betriebsseelsorge gestartet. Bordne ist unter anderem bei Grohe in Lahr, der Edeka Südwest Zentrale in Offenburg und bei der Spedition Klotz in Freiburg tätig. Weitere Anfragen sind erwünscht. Kirchlicher Dienst in der Arbeitswelt Baden, Andreas Bordne 0761 7086340 andreas.bordne@ekiba.de

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