Wirtschaft im Südwesten - Ausgabe Februar'19 - Hochrhein-Bodensee

2 | 2019 Wirtschaft im Südwesten 47 Es war eine Frage der Zeit, bis irgendjemand den Mar- kennamen Junghans aufkaufen und die Produktion nach Fernost verlegen würde. Da griff die Schram- berger Unternehmerfamilie Steim zu. Den Steims gehört Kern-Liebers – ein Weltkonzern, der Zubehör für Textilmaschinen, aber auch Federn produziert. Der frühere Zulieferer für Junghans übernahm die traurigen Reste der Uhrenfabrik und sanierte die Traditionsmarke, die heute wieder in der Uhrenwelt einen Namen hat. 2012 hat die Firma Diehl, zu der Junghans viele Jahr- zehnte gehört hatte, die Grundstücke an der Geißhalde an einen Investor aus München verkauft. „Allerdings hatte der nicht an allen Gebäuden Interesse“, sagt Steim. Zwei Gebäude, in denen die Uhrenfabrik Jung- hans produzierte, hatte Steim damals gemietet. Bei den folgenden Verhandlungen sei man auch auf den leerstehenden Terrassenbau gekommen. „Nach einge- henden Verhandlungen haben wir mehrere Gebäude auf dem Areal gekauft, darunter auch den Terrassen- bau.“ Damals hatte Steim noch keine Idee, was man mit diesem zwar bauhistorisch sehr bedeutsamen, für eine heutige Nutzung aber ziemlich unpraktischen, 100 Jahre alten Gebäude anfangen könnte. Die auf neun Terrassen in den Hang gebaute Fabrik hatte der berühmte Industriearchitekt Philipp Jakob Manz aus Stuttgart speziell für die Uhrmacherei konzipiert. Jeder Arbeitsplatz hat direktes Tageslicht. Das Problem: Die Terrassen sind schmal und nur über zwei Treppen- häuser zu erreichen. Neun Stockwerke ohne Aufzug? Die Nutzung als Erlebnisgastronomie oder Diskothek scheiterte an praktischen Problemen wie Brandschutz oder Barrierefreiheit. Steim selbst hatte während sei- ner Zeit als Landtagsabgeordneter von 1996 bis 2006 die Idee, man könnte hier die Außenstelle einer wis- senschaftlichen Institution ansiedeln. Aber auch das ließ sich nicht umsetzen. Mit dem Kauf des denkmalgeschützten Terrassen- baus hatte Steim auch die Verpflichtung übernom- men, diesen zu erhalten. Weil die Räume seit den 1990er-Jahren nicht mehr genutzt worden waren, be- fanden sie sich in einem ziemlich schlimmen Zustand. Steim war klar, „dass sich die Gebäudesubstanz wei- ter verschlechtern würde, wenn man hier nichts un- ternimmt“. Aber was? Da half ein Zufall: Heinz Engel- mann, ein Uhrensammler aus dem niedersächsischen Vechta, wollte seine bedeutende Sammlung von his- torischen Schwarzwalduhren verkaufen. Davon hatte Steim erfahren und Ende 2014 diesem Sammler ein Angebot gemacht: „Im Terrassenbau boten sich idea- le Rahmenbedingungen für die Uhrensammlung – und wir sind uns auch schnell einig geworden.“ Etwa 300 Objekte – von Automaten-, Stand- und Musik- sowie natürlich auch klassischen Kuckucksuhren bis hin zu außergewöhnlichen Orchestrien – kamen so von Vechta in den Schwarzwald. Die Sammlung Engelmann bietet den Einstieg in das neue Museum. Auf den oberen Terrassen, die man über einen bequemen Schrägaufzug erreicht, erhält man so einen Einblick in die Entwicklung der Uhren- herstellung im Schwarzwald vom 18. bis zum frühen 20. Jahrhundert. Steim war aber auch die Junghans- Familien- und Firmengeschichte wichtig. „Schließlich war Junghans über viele Jahrzehnte prägend für die Stadt, hat die Industrialisierung Schrambergs ein- geleitet“, sagt er. Aus dem firmeneigenen Magazin stammen viele Objekte, die die Entwicklung der Uh- renfabrik bis in die Neuzeit zeigen: von mechanischen über elektrische Uhren bis zur Funk-Solar-Uhr. Weil sein Unternehmen Kern-Liebers als Federn- hersteller ursprünglich ein klassischer Zulieferer der Uhrenfabriken war, hat sich Steim auch diesen Bereich vorgenommen. Deshalb ist eine Terrasse den Zulieferern gewidmet, insbesondere im Bereich der Federherstellung für Uhren. Am Ende des Rund- gangs finden die Besucher in Terrasse 2 den neuen Junghans-Shop mit dem Werksverkauf. Das neue Museum soll nicht nur die Uhrenliebhaber ansprechen, betont Museumsleiter Arkas Förstner, der auch für die Gestaltung der Ausstellung mitver- antwortlich war: „Wir wollten einen Ort gestalten, den sich die Besucher selbst erschließen können.“ Dabei gebe es viele Möglichkeiten, die bestehende Dauerausstellung durch Sonderschauen zu ergän- zen und zu erweitern. „Wir sind überzeugt, dass man beim ersten Mal bei weitem nicht alles entdecken und erleben kann.“ Mit der Resonanz seien sie zu- frieden, versichert Förstner nach einem halben Jahr. Die Besucherschar ist bunt: ehemalige Mitarbeiter mit ihren Familien, Uhrenfans, Architekturinteressier- te und Touristen aus aller Welt, wie das Gästebuch zeigt. Einträge auf chinesisch und niederländisch finden sich da neben einem Dankeschön „für den rollstuhlgerechten Ausbau“ oder ganz knapp: „Ext- raordinnaire“ und „Thanks Junghans“. Martin Himmelheber Das Museum zieht viele Besucher an. Der Junghans-Terrassenbau in Schram- berg nach dem Umbau: Mit einem Schrägaufgzug sind fast alle Terrassen bequem und barrierefrei zu erreichen. Das Junghans-Terras- senbaumuseum ist dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr geöffnet, letzter Einlass ist um 17 Uhr. Der Eintritt kostet 8 Euro, ermäßigt 4 Euro. Gruppenführungen sind nach vorheriger Anmeldung möglich. Junghans-Terrassen- baumuseum, Lauterbacher Straße 68, 78713 Schramberg www.junghans- terrassenbau.de Bild: Himmelheber

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