Wirtschaft im Südwesten - Ausgabe Oktober'18 - Südlicher Oberrhein

7 TITEL W ährend die Zahl der Unternehmensgründun- gen seit Jahren zurückgeht, liegt Gründerkul- tur absolut im Trend. Das zeigt sich an Büro- einrichtungen genauso wie an Dresscodes, die selbst in Chefetagen in den vergangenen Jahren legerer geworden sind. Doch das Interesse von Grown-ups an Start-ups beschränkt sich nicht auf Äußerlichkeiten. Es überträgt sich auf Arbeitsabläufe sowie Denkprozesse und mündet häufig in eine Zusammenarbeit. Fast jedes zweite große Familienunternehmen kooperiert mittlerweile mit einem oder mehreren Start-ups. Das geht aus einer Studie des Instituts für Mittelstandsforschung (IfM) hervor, für die es im Frühjahr bundesweit rund 250 Familienunternehmen mit einem Umsatz über 50 Millionen Euro befragt hat. Regionale Zahlen gibt es bislang nicht, aber zwei Aspekte dieser Studie lassen sich auf den Süd- westen übertragen: Zum einen ist die Firmengröße entscheidend. Je größer das Unternehmen, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass es mit Start-ups zusammenarbeitet. In der IfM-Studie gab jedes dritte Unternehmen mit weniger als 250 Mitarbeitern an, mit Start-ups zu kooperieren, bei Unternehmen mit mehr als 1.000 Mitarbeitern waren es doppelt so viele. Zum anderen ist das Motiv für Kooperationen überall das gleiche: Das Erschließen neuer Technologien und das Gestalten der digitalen Transformation wurden in der Studie am häufigsten genannt. Von diesen strategischen Zukunftsthemen sind regionale Unternehmen natürlich gleichermaßen betroffen. Internet, Smartphones und Digitalisierung haben die Rahmenbedingungen für Unter- nehmen radikal verändert. Geschäftsmodelle, die jahr- zehntelang funktionierten, stehen auf dem Prüfstand, sicher geglaubte Marktanteile werden neu verteilt. „Der Veränderungsdruck ist größer geworden“, sagt Michael Bertram, Leiter des Geschäftsbereichs Existenzgrün- dung und Unternehmensförderung der IHK Südlicher Oberrhein. „Das macht offen, neue Wege zu gehen.“ An den Nachrichten von Verbänden und Firmen lässt sich dieser Druck ablesen. Es häufen sich Meldungen über Inkubatoren, Acceleratoren und andere Formen der Kooperation zwischen etablierten und neuen Fir- men. „Junge sind unbelastet und frei in ihrer Kreativität“, beobachtet Thomas Wolf, Geschäftsbereichsleiter der IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg. Das verlieren Größe- re manchmal. Durch eine Zusammenarbeit können die Etablierten daran teilhaben. „Und das Vernetzen selbst ist gerade etwas, das man von Start-ups lernen kann“, betont Alexander Vatovac, Gründungsberater der IHK Hochrhein-Bodensee. So gibt es denn auch im Regie- rungsbezirk Freiburg immer mehr Beispiele dafür, dass junge und etablierte Firmen voneinander profitieren. W ie anregend das Aufeinandertreffen von Grown-ups und Start-ups sein kann, zeigt sich an einem warmen Spätsommerabend im September. Das Gründerzentrum Grünhof hat in seinen Kreativpark Lokhalle auf dem ehemaligen Frei- burger Güterbahnhof eingeladen. Es ist der Kick-off, der Startschuss ihres Camps, eines vierwöchigen Förderprogramms für grüne Gründungen aus ganz Deutschland. Unter Mittdreißiger in kurzen Hosen und mit Dreitagebart mischen sich ältere Semester. Schon vor dem offiziellen Teil entwickeln sich muntere Gesprä- che. Dann wird begrüßt und gepitcht, das heißt die 14 Gründerteams stellen sich und ihre Geschäftsidee in je drei Minuten vor. Und im Anschluss geht bei Wein und Biolimonade das Netzwerken weiter. Peter Neske gefällt die Stimmung. „Das ist sehr inspi- rierend“, sagt der Leiter Business Innovation von Pfi- zer. „Vor allem, weil die Start-ups selbst so überzeugt von ihrer Idee sind.“ Der große Pharmakonzern Pfizer betreibt in Freiburg eine seiner bedeu- tendsten Produktionen mit über 1.000 Mitarbeitern. Innerhalb des Konzerns und der Branche gilt der Standort als Vorreiter hinsichtlich Materialeffizienz, Umweltschutz und Nachhal- tigkeit. „Als Technologiefüh- rer brauchen wir ständig neue Ideen“, sagt Neske. Weil die nicht alle aus den eigenen Reihen kommen können, hat sich der Pharmakonzern eine Plattform geschaffen. Das sogenannte Pfizer Healthcare Hub, dessen Freiburger Teil Neske leitet, sucht gezielt die Zusammenarbeit mit Start-ups und anderen Innovato- ren. So zum Beispiel mit Envuco, einer kleinen Kenzin- ger Firma, die einer der Campteilnehmer ist, zu Pfizer aber schon davor Kontakt hatte. Denis Bittner, der Gründer, hat „die umweltfreundlichste Gebäudeauto- mation der Welt“ entwickelt und sich vor knapp einem Jahr mit einem Betriebswirt zusammengetan. Seither hat Envuco Fahrt aufgenommen. Es gibt viele Inte- ressenten für das Produkt, und derzeit verhandeln die Gründer mit einem Investor über eine potenzielle Seed-Finanzierung. Außerdem startet jetzt das Pilot- projekt mit Pfizer. In eines der Bürogebäude wird die laut Bittner „weltweit erste grüne Gebäudeautomati- on“ installiert. Deren Herz heißt „SAM“ und ist eine smarte Zentrale, die batterie- und kabellose Sensoren miteinander vernetzt und dabei hilft, den Energiever- brauch zu messen und zu reduzieren. Der Weg zu diesem fertigen Produkt war weit, und Pfizer hat Envuco dabei ein gutes Stück begleitet. Als sich das große und das kleine Unternehmen vor gut einem Jahr das erste Mal bei einem Pitch trafen, war es noch eher eine Idee als ein fertiges Produkt, berichtet Bitt- ner. Auch mit dem Feedback von Pfizer hat er sie stetig weiterentwickelt. „Sie schaffen ständig neue Ideen und Erfahrungen heran“, lobt Peter Neske die Newcomer. Und die wissen umgekehrt die Zusammenarbeit mit der großen Pharmafirma sehr zu schätzen. „Pfizer hat sich sehr offen gegenüber Startschwierigkeiten gezeigt und ist enorm kooperativ in der Lösungsfindung“, sagt Bittner. Wenn das Projekt gut läuft, wird es vielleicht auf ein weiteres Gebäude in Freiburg ausgeweitet und womöglich sogar auf andere der 63 Pfizer-Standorte weltweit. „So einen Kunden zu gewinnen, ist als junges Unternehmen extrem wichtig“, sagt Bittner. „Pfizer ist ein Multiplikator auf den wir sehr stolz sind.“ »Als Technologie- führer brauchen wir ständig neue Ideen« 10 | 2018 Wirtschaft im Südwesten

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