Wirtschaft im Südwesten - Ausgabe September'18 - Südlicher Oberrhein

9 | 2018 Wirtschaft im Südwesten 7 titel Region Schwarzwald-Baar-Heuberg D ie Zahlen sind positiv: „Im Moment haben wir ein leichtes Plus von 3,3 Prozent bei den neu eingetra- genen Ausbildungsverhältnissen im Vergleich zum Vorjahr“, sagt Martina Furtwängler, Geschäftsbereichs- leiterin Bildung und Qualifizierung der IHK Schwarzwald- Baar-Heuberg (Stand 31. Juli, siehe Grafik Seite 10). Sie geht davon aus, dass es auch so bleibt. Auffällig in diesem Jahr ist für sie die große Zahl der jungen Leute, die ihre Ausbildung nicht antreten, ihren bereits unterschriebenen Ausbildungsvertrag im März oder April und damit ein paar Monate vor dem Start gekündigt haben. „Das hatten wir früher nicht.“ Der Grund: „Sie bewerben sich sehr früh und finden dann etwas vermeintlich Besseres. Denn sie haben die Auswahl“, berichtet Martina Furtwängler. Das liegt wiederum am demografischen Wandel und dem da- mit verbundenen Fachkräftemangel. Noch im Juli gab es unter anderem deswegen unbesetzte Stellen und damit für die jungen Leute die Möglichkeit, auch kurzfristig doch etwas anderes zu finden. Für die Unternehmen, die sich extra rechtzeitig, meist ein gutes Jahr vor Ausbildungs- beginn, um ihre Lehrlinge bemüht haben, sei dies sehr ärgerlich. Von den noch offenen Stellen können Abiturienten profi- tieren. Denn die, so hat Martina Furtwängler festgestellt, würden sich häufig auffällig spät um einen Ausbildungs- platz bewerben. Weil ihr Fokus zuerst auf dem Abitur lag oder es an der nötigen Berufsorientierung fehlte, wie sie vermutet. Dabei machen immer mehr junge Leute Abitur. Im Jahr 1980 waren es laut Statistischem Landesamt in Baden-Württemberg 18,5 Prozent des entsprechenden Geburtsjahrgangs, im Jahr 2016 schon 42,3 Prozent. Zugleich ziehen immer mehr junge Leute ein klassisches oder duales Studium einer Leh- re vor. Entsprechend hoch ist auch die Zahl der Studienabbrecher – „vor allem im ge- werblich-technischen Bereich“, wie Martina Furtwängler festgestellt hat. Die Abbrecher aufzufangen, sei aber relativ schwierig. Es sei unklar, ob sie nur den Studiengang wechsel- ten oder auf der Suche nach einer Lehrstelle seien. Daten habe man von ihnen keine und könne sie daher auch nicht vermitteln. Dabei gebe es für sie geeignete, anspruchsvolle Ausbildungs- berufe wie den mathematisch-technischen Softwareent- wickler. Daher hat es sich die IHK Schwarzwald-Baar- Heuberg zum Ziel gesetzt, vermehrt Studienabbrecher für eine betriebliche Ausbildung zu begeistern. Martina Furtwängler würde auch gerne mehr Flüchtlinge als bisher in Ausbildung vermitteln. Das ist ebenfalls nicht so einfach – allerdings aus anderen Gründen: „Sie müssen ihr Deutsch erstmal auf B2-Niveau bringen. Sonst schaffen sie die Berufsschule nicht und verste- hen auch im Betrieb die Fachsprache nicht“, sagt Furt- wängler. Flüchtlinge aus Syrien würden zudem häufig ein Studium vorziehen, da bei ihnen die duale Ausbildung nicht als hochwertig genug angesehen werde. Insgesamt ist die Ausbildungssituation in der Region Schwarzwald-Baar-Heuberg positiv: „Wir sind eben eine typische Wirtschaftsregion“, sagt Martina Furtwängler. Auch wenn die Region für ihre überdurchschnittlich hohe Industriedichte bekannt sei, würden alle Branchen viel ausbilden. Sehr erfreulich seien Zuwächse im Handel. Auch in der Gastronomie, dem einstigen Sorgenkind, sei die Zahl der neuen Ausbildungsverhältnisse gleichgeblie- ben, wie sie hervorhebt. Zum neuen Sorgenkind könnte dagegen der Beruf Industriekaufmann/-frau werden: Hier spüren viele Ausbildungsbetriebe die Nähe zur Dualen Hochschule in Villingen-Schwenningen und die Attrak- tivität der Bachelorstudiengänge, wie die IHK-Expertin berichtet. Die gewerblichen Berufe würden dies aber auffangen. Und Berufe wie der Zerspanungsmechaniker und der Mechatroniker verzeichneten sogar Zuwächse. V on „immer noch ganz leichten Zuwächsen“ bei den Zerspanungsmechanikern berichtet auch Ingo Hell, erster Vorsitzender des Clusters Zer- spanungstechnik, einer Gemeinschaft der Zerspanungs- unternehmen in der Region Schwarzwald-Baar-Heuberg. „Wir schaffen es noch, pro Jahr circa 200 Auszubildende alleine an der Erwin-Teufel-Berufsschule in Spaichingen auszubilden. Hinzu kommen weitere Fachklassen an an- deren Standorten innerhalb und außerhalb des Kammer- bezirks. Da sind wir trotz der demografischen Entwicklung noch gut dabei.“ Insgesamt werden in der Region zurzeit rund 650 junge Leute – die meisten an der Fachschule in Spaichingen - zu Zerspanungsmechanikern ausgebil- det. Darunter sind etwa zwei Dutzend Fachkräfte in der Zerspanungstechnik sowie Zerspanungstechniker. Den praktischen Teil ihrer Ausbildung absolvieren sie unter anderem in rund 70 Mitgliedsunternehmen des Clusters. Um die jungen Leute zu rekrutieren, betreiben Ingo Hell und seine Mitstreiter einen großen Auf- wand: Rund 100.000 Euro nehmen sie jedes Jahr in die Hand. Im Rahmen des Clusterprojekts „Ausgezeichnete Aus- bildung“ werden unter anderem Star- tertage, an denen die Jugendlichen Be- nimmregeln für das Verhalten im Betrieb lernen, Zusatzunterricht sowie Betriebs- besichtigungen bei Daimler, Audi und Porsche angeboten. Der Grund: „Sowohl die Qualität als auch die Quantität der Bewerber hat nachgelassen“, sagt Ingo Hell. Angesichts des Trends zum Studium, des Fachkräftemangels und der zurückgehenden Bewerberzahlen müssten die Unterneh- men zunehmend auf gute Hauptschüler zurückgreifen, die in der Vergangenheit kaum eine Chance hatten, die- se anspruchsvollen Berufe in der Zerspanungstechnik zu erlernen. „Allerdings spiegelt sich diese Entwicklung auch im gesunkenen Ausbildungsniveau und an der Zahl der Wiederholer wider“, sagt Ingo Hell. „Trotzdem haben wir offene Stellen. Wir könnten sicher noch weitere 150 Auszubildende einstellen, wenn wir sie hätten.“ Auch in seinem Unternehmen, der Zetec Zerspanungs- technik GmbH & Co. KG in Gosheim, hatte Ingo Hell Mitte Juli erst drei der sonst vier bis fünf Ausbildungs- plätze besetzt. Für die noch offenen Stellen fehlten ihm qualifizierte Bewerber. Unter den 55 Mitarbeitern des »Die Auszubil- denden haben die Auswahl« Martina Furtwängler, IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg »Wir könnten sicher noch 150 weitere Azubis einstellen, wenn wir sie hätten« Ingo Hell, erster Vorsitzender des Clusters Zerspanungstechnik

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