Wirtschaft im Südwesten - Ausgabe Juli/August'25 - Hochrhein-Bodensee
8 IHK-Zeitschrift Wirtschaft im Südwesten 7+8 | 2025 E in Dröhnen liegt in der Luft. Dann bläht sich ein riesiger Feuerball auf, die Luft zittert, der Lärm ist ohrenbetäubend. Langsam hebt die Falcon9 von der Vanden- berg Space Force Base in Kalifornien ab. Take off! Für die drei Macher von Constellr aus Freiburg, für Max Gulde, Christian Mitter- maier und Marius Bierdel, ein bewegender Moment: Denn mit dieser Rakete fliegt ihr erster Satellit zu seiner Umlaufbahn… Während das fliegende Fieberthermometer von Constellr im Orbit seine Runden dreht, geht es in Politik und Gesellschaft vor allem um Krisen, Konjunktur und schmerzhaften Strukturwandel. Zölle, Kriege, Spannun- gen und sinkende Nachfrage lähmen die Entwicklung. Überall? Nicht ganz. Denn im Südwesten gibt es junge Unternehmen, die optimistisch stimmen und vorangehen. Nicht nur nach vorn, sondern auch über Grenzen hinaus – geographisch, technisch und ge- schmacklich. Diese Start-ups sind Takeoff- Unternehmen geworden: Sie heben ab, be- treten Neuland und damit ist ausnahmsweise mal nicht das Internet gemeint. Aus Freiburg: das fliegende Fieberthermometer für die Welt Auf einer Umlaufbahn 510 Kilometer über der Erde zieht der Satellit Skybee-1 seine Kreise. Er ist gebaut worden, um Oberflächentempe- ratur zu erfassen. Dafür ist der Mikrosatellit mit einer thermischen und einer visuellen Ka- mera ausgestattet. Diese versetzen ihn in die Lage, Daten in bisher ungekannter Qualität, Detailgenauigkeit und Auflösung zu liefern – und mit einer Temperaturgenauigkeit von we- niger als zwei Grad Celsius. Ziel ist es, diese hochgenauen Temperaturaufnahmen täglich zu liefern. Das war bisher nicht möglich. Die Daten sind in vielen Anwendungsberei- chen von großem Nutzen, sagt Marius Bier- del, einer der drei Gründer von Constellr: „Mit ihnen lässt sich ein Wärmeatlas erstellen, in dem signifikante Veränderungen innerhalb kürzester Zeit sichtbar gemacht werden.“ Zu- dem ist der Skybee-1 in der Lage, die Feuch- tigkeit des Bodens zu ermitteln. Das ist von großem Interesse für die Agrarwirtschaft. Denn Temperaturen und das zur Verfügung stehende Wasser im Wurzelbereich sind die bestimmenden Faktoren für Wachstum und Entwicklung von Pflanzen. Anhand der zeit- nahen Daten von Constellr lassen sich dem- entsprechend Bewässerungsanlagen gezielt ansteuern sowie Düngevorgänge oder Ernten optimiert planen. Aber: Nein. Astronaut wollte Marius Bierdel als Kind nicht werden. „Pilot“, sagt der ge- bürtige Goslarer über seinen ersten Berufs- wunsch. Auch deshalb entschied er sich für ein Studium der Luft- und Raumfahrttechnik. Über Stationen in Dresden und Friedrichs- hafen kam er zum Fraunhofer Institut nach Freiburg. Dort traf er auf Max Gulde und Christian Mittermaier. Die drei Wissenschaft- ler arbeiteten gemeinsam an einem Projekt des Instituts, das sich mit Wärmemessung aus dem All beschäftigte. Daraus entwickel- ten sie ihren heutigen Ansatz, der sich aber nicht mit Forschungsgeldern hätte umsetzen lassen können, berichtet Bierdel im Gespräch mit der WiS. „Also mussten wir gründen.“ Das war im April 2020. Heute beschäftigt Constellr bereits 100 Menschen und hat Kunden rund um den Globus. Skybee-1 – die laufende Nummer verrät es – ist nur der erste Satellit, den Constellr ins All schicken wird. Das Ziel ist eine Kleinsatellitenkonstellation zu schaffen, was wiederum zur Namensge- bung des Unternehmens geführt hat. Urbanes Leben verbessern Die thermischen Daten, die Constellr mit seinen Mikrosatelliten sammelt, sind auch für Stadtentwickler, Verwaltungen und Stadt- planer wichtig. Denn mit ihnen werden soge- nannte Urban Heat Islands – also städtische Wärmeinseln – ausfindig gemacht. Diese UHI sind ein typisches Merkmal des Stadt- klimas. Charakterisiert werden sie durch die Differenz der Lufttemperatur zwischen einer meist wärmeren urbanen Siedlung und ihrem kühleren Umland. Verursacht wird dieses Gefälle von der Enge der Bebauung, der Architektur, der Bausub- stanz, den versiegelten Flächen und dem Verkehr. Warum das kritisch ist, erläutert der Deutsche Wetterdienst: „In den Sommer- monaten erhöht sich für die Stadtbewohner die Gefahr für Hitzestress. Vor allem ältere Menschen, Menschen mit Vorerkrankungen, zum Beispiel des Herzkreislaufsystems, und Kleinkinder können sich häufig nur unzu- reichend an die erhöhte Wärmebelastung anpassen.“ Auch Konzentrationsschwierig- keiten, eine schlechtere Nachtruhe und eine damit einhergehende Verschlechterung der „Skybee hilft Bauern beim Wässern und Stadtplanern in ihrem Kampf gegen urbane Hitzeinseln“ Bilder: Atmos Space Cargo
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