Wirtschaft im Südwesten - Ausgabe Juli/August'25 - Hochrhein-Bodensee
41 UNTERNEHMEN D ie Kampfspuren am Metallmast sind noch gut sichtbar. Am Vorabend ist hier ein Auto die Böschung runter, hat den Pfosten an der Stadtbahnlinie 4 Richtung Messe Freiburg touchiert. Ein Fall für das In- frastrukturteam der Freiburger Verkehrs AG (VAG). 50 Meter vor dem Mast schwenkt ein Mann die rote Fahne. Mohamed Diallo und seine Kollegen räumen zügig das Gleis und schaffen den Minibagger zur Seite, bis die Straßenbahn den Gleisbereich passiert hat. Alle paar Minuten geht das so. Bei Arbeiten direkt in der Innenstadt muss es noch schnel- ler gehen. Nicht ungefährlich. Da muss jeder Handgriff sitzen. Seit Dezember ist Mohamed Diallo bei der VAG beschäftigt und wartet das Strecken- netz. Der heute 23-Jährige hat einen langen Weg hinter sich. Mit 14 verließ er seine west- afrikanische Heimat Guinea, durchquerte vier Staaten, trieb 15 Stunden lang in einem Schlauchboot auf dem Mittelmeer und sah Menschen dabei sterben. Als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling landete er 2017 als 16-Jähriger schließlich in Deutschland. Heute, acht Jahre später, hat er sich einen Hauptschulabschluss und eine Ausbildung zum Tiefbaufacharbeiter erarbeitet, Deutsch gelernt, Freunde gefunden und viele Formen von Rassismus ausgehalten. „Aufgeben? Das war nie eine Option. Egal, wie viel Stress du hast, du musst immer positiv bleiben. Sonst erreichst du deine Ziele nicht,“ sagt er und ist dankbar für die Chancen, die man ihm gebo- ten und die er ergriffen hat. Die neuen Kolle- gen sind beeindruckt von dem jungen Mann, schätzen seine Arbeit – und den Menschen. Wie viele Geflüchtete wie Mohamed Diallo bei der VAG arbeiten, kann das Unterneh- men nicht beziffern. Übermäßig viele seien es noch nicht, sagt Hendrik Kühn, Projekt- referent internationales Recruiting. Aber das soll sich ändern. Künftig wollen die Verkehrs- betriebe gezielter auf Menschen mit Migrati- onsgeschichte zugehen. Erfahrung mit einer multinationalen Beleg- schaft hat die VAG inzwischen reichlich, insbesondere durch das vor einigen Jahren aufgelegte Quereinsteigerprogramm. „Ge- rade im Fahrdienst, in dem rund die Hälfte der 1000 Beschäftigten arbeitet, gibt es viele Menschen mit Migrationshintergrund“, sagt Kühn. Mehr als nur Einstellen Mit ihrem Vorhaben liegt die VAG voll im Trend: Knapp 70 Prozent aller Unternehmen in Deutschland sehen in der Beschäftigung von Menschen mit Fluchthintergrund ein Mit- tel gegen ihren Personalmangel. Das ergab eine aktuelle Studie der Bundesagentur für Arbeit (BA) und der Deutschen Gesellschaft für Personalführung (DGFP). Mehr als die Hälfte kann sich vorstellen, in den nächsten sechs Monaten Geflüchtete mit Grundkennt- nissen in Deutsch einzustellen. Und das trotz anhaltender Konjunkturschwäche. „Geflüchtete sind Teil der Lösung unseres Fachkräfteproblems“, stellte BA-Vorstand Daniel Terzenbach bei der Vorstellung der Studie fest. Die Arbeitsmarktzahlen für den Regierungsbezirk Freiburg zeigen dies schon heute: 2024 hielt die Region ihren Beschäf- tigungsstand von rund 939000 Erwerbstä- tigen nur durch den Zuwachs bei ausländi- schen Beschäftigten konstant. „Insbesondere Pflege, Hotellerie und Gastro- nomie kommen kaum noch ohne Menschen aus dem Ausland aus und rekrutieren schon in entsprechend großer Zahl“, berichtet Sa- rah Strobel vom Netzwerk Unternehmen inte- grieren Flüchtlinge (NUiF). Das NUiF – genau wie das Netzwerk Unternehmen Berufsaner- kennung (UBA) – sind bundesweite Initiati- Bild: Jigal Fichtner „Aufgeben? Das war nie eine Option. Egal, wie viel Stress du hast, du musst immer positiv bleiben!“
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