Wirtschaft im Südwesten - Ausgabe Januar'25 -Schwarzwald-Baar-Heuberg
Die Dauerwelle Zum Kringeln Immer wieder erstaunlich, was bei uns im Südwesten alles hergestellt wird. Dieses Mal geht‘s um die Dauerwelle, mit der Karl Ludwig Nessler aus Todtnau vor etwa 100 Jahren Schwung in die Haarwelt gebracht hat 66 DIE LETZTE SEITE Bild: Adobe Stock/Magryt Die Glatthaarigen unter uns werden ihn ken- nen: den Traum vom Lockenkopf. Wohl jeder Schnur-Haar-Träger träumt im Laufe seines Lebens mindestens einmal von wilder Wellen- mähne. Schon weit vor Christus sollen Men- schen in Ägypten versucht haben, ihre Haare zu locken, später probierten es die Römer. Doch spätestens am Morgen danach waren auch die herrlichsten Haarkringel wieder platt. Der Anblick dafür haarsträubend. Damit die dauerhafte Welle die Welt verän- dern und Träume wahr werden lassen konnte, musste erst viel, viel später, im Jahr 1872, Karl Ludwig Nessler geboren werden. Im kleinen Städtchen Todtnau im Schwarzwald. Der Fri- sör ging später als Erfinder der Dauerwelle in die Geschichte ein. Und weil die Todtnauer zu Recht stolz sind auf dieses haarige Vermächt- nis, haben sie ihrem berühmten Sohn der Stadt im Bürstenmuseum eine Dauerausstellung gewidmet, die das Leben und Werk Nesslers zeigt – und gestaltet ist wie ein Frisörsalon der 1920er-Jahre. Karl Ludwig Nessler war gelernter Frisör. Er lernte zuerst beim Dorfbarbier im nahen Fahr- nau, inzwischen ein Stadtteil von Schopfheim, dann zog es ihn fort, nach Basel, Mailand, Genf, Paris. Doch ewig lockte die Locke, und er begann zu tüfteln. Erstes lebendes Test- objekt war die in Paris lebende und aus der Nähe von Ulm stammende Katharina Laible, die ihn trotzdem heiratete. Ihr rückte der Coiffeur mit einer glühend heißen Zange zu Leibe, mit der er dicht an der Kopfhaut drei auf Metallstäbe aufgewickelte, chemisch behandelte Haarsträhnen traktierte. Man stelle sich vor, wie es dabei zischte und nach versengtem Haar roch. Wie Brandblasen auf der Kopfhaut von Nesslers Liebster erblüh- ten, die voller Schmerz das Gesicht verzog. Wie dann auch noch – au! - der erste Versuch misslang, ebenso der zweite, bis – hurra! – dem erfinderischen Figaro die dritte Strähne lockig entgegen schnellte. Die Dauerwelle war geboren. Etliche Locken später, Anfang des 20. Jahrhunderts in London, ließ Nessler sei- ne nun elektrische Dauerwellen-Apparatur, die „permanent wave machine“, patentieren. Als der Erste Weltkrieg ausbrach, setzte sich Nessler in die USA ab. Der Schwarzwälder ver- besserte sein Verfahren weiter, wurde damit erfolgreich und millionenschwer. Aus der eins- tigen heißen Zange war längst ein vielarmiges Ungetüm geworden, das die Kundinnen des Coiffeurs an Medusa mit den Schlangenhaaren erinnern ließ. Was die aber nicht weiter störte, es diente ja der guten Matte. Seine Heimat vergaß Nessler übrigens nie. Als die Todtnauer im Nachkriegsdeutschland Not leiden mussten, schickte er ihnen Spen- den. Nessler selbst starb 1951 in Harrington Park, New Jersey. Seine Erfindung aber lebt fort. Die Dauerwelle ist wieder im Trend, hat Oma-Image und Glatthaar-Jahre überdauert. Sozusagen the return of Tante Käthe . se IHK-Zeitschrift Wirtschaft im Südwesten 1 | 2025
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