Wirtschaft im Südwesten - Ausgabe September'24 -Südlicher Oberrhein
7 9 | 2024 IHK-Zeitschrift Wirtschaft im Südwesten B ei vielen Unternehmen ist „Energiewende“ aktuell ein Reizwort, da hohe Stromkosten ein zunehmendes Problem sind für den Standort Deutschland: Im jüngsten „Energiewende-Barometer 2024“ der DIHK haben mehr als die Hälfte der 3.300 befragten Unternehmen (52 Prozent) angegeben, dass die Preise für Elektri- zität für sie auch im vergangenen Jahr weiter angestiegen sind. Im Schnitt bewerten sie die Auswirkungen der Energiewende auf ihre Wettbewerbsfähigkeit als negativ. Aus der Sicht vieler Unternehmen gibt es demnach außerdem noch große Unsicherheiten, wie sich einzelne Faktoren – etwa der Strom- markt – in Zukunft entwickeln werden und sie zögern deshalb mit In- vestitionen. Fürs Klima wären allerdings insbesondere Investitionen, die die Transformation zu einer Wirtschaft ohne CO 2 -Emissionen – kurz Dekarbonisierung – fördern, nötig. Als Schlüsseltechnologi- en gelten dabei Wasserstoff und vor allem die Elektrifizierung von Industrieprozessen „Ich kann verstehen, dass es bei vielen Unter- nehmen aufgrund der hohen Energiepreise noch Unsicherheiten für Investitionen in Elektrifizierung gibt“, sagt Christoph Podewils, Direktor und Leiter des Bereichs Politik & Inhalte der „Stiftung KlimaWirtschaft“, die sich für unternehmerischen Klimaschutz ein- setzt. Mittel- und langfristig müsse man aber gerade aufgrund der Ausweitung des Emissionshandels (EU-ETS 2) davon ausgehen, dass auch Gas teurer werde. Aufgrund hoher Energiekosten ziehen es laut dem Energiewende- Barometer daher immer mehr Unternehmen in Erwägung, ihre Produktion ins Ausland zu verlagern oder einzuschränken. Dies betrifft vor allem große Industrieunternehmen, die am stärksten unter den hohen Energiekosten leiden. Über die Hälfte der großen Industrieunternehmen plant oder realisiert Produktionsverlagerun- gen bereits heute. Strom aus Wind oder Solarkraft: viel günstiger als aus Kohle oder Gas Nichtsdestotrotz: Wenn Deutschland seine Klimaziele erreichen will, ist eine rasche Energiewende notwendig. Und: Schon jetzt ist die Kilowattstunde Strom aus Wind- oder Solarkraft viel günstiger als die aus Kohle oder Gas (Quelle u.a.: Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE) – und in Zukunft werden ihre Kosten noch weiter sinken. Warum also ist Strom aktuell trotzdem so teuer und welche Wege gibt es nach vorn? Es gibt verschiedene Gründe dafür, dass Strom in Deutschland aktuell so teuer ist. Großen Einfluss hat der Krieg in der Ukra- ine – und der hat wenig mit der Energiewende zu tun. Andere Gründe schon eher – der Umbau der Stromversor gung auf Erneuerbare kostet nämlich viel Geld: (Batterie-)Speicher müssen aufgebaut und Wasserstoffinfrastruktur installiert werden. Auch die Netzinfrastruktur ist ein Nadelöhr. Deren Ausbau ist für den Transport von de zentral produziertem, erneuerbarem Strom nötig – also dafür, dass die günstige Windener gie aus dem Norden in Zukunft tatsächlich in Süddeutschland ankommt. Bezahlt wird der Ausbau durch das Netzentgelt. Wie hoch die Kosten für all diese Veränderungen sind, lässt sich nur schwer abschätzen. Klimaneutrale Energieversorgung ist eine Herausforderung für alle Die lokale Verfügbarkeit von ausreichend Erneuerbaren wird in Zukunft bei Standortentscheidungen von Unternehmen eine Rolle spielen und deswegen als „Renewables Pull“ bezeichnet. „In Süd- deutschland ist die Windenergie zum einen weniger ertragreich als im Norden“, erklärt dazu Andres Fischer vom Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln. Zum anderen werde aber auch der Ausbau bisher nicht schnell genug vorangetrieben. „Das hat man in den vergange- nen Jahren auch verschlafen.“ Als Flächenländer haben aus Fischers Sicht sowohl Bayern als auch Baden-Württemberg eigentlich die Möglichkeit, ihre Kapazitäten an Erneuerbaren deutlich auszubau- en. Dabei reiche nicht, sich auf den billigen Windstrom aus dem Norden zu verlassen. Erneuerbare vor Ort sind aber nicht der einzige Faktor, der die Attraktivität des Standorts Deutschland in Sachen Energiewende und Transformation beeinflusst. Im Detail hat sich den Standort- faktor erneuerbare Energien im vergangenen Jahr eine Studie vom Thinktank Epico, dem Institut der deutschen Wirtschaft und der Stiftung Klimawirtschaft, angeschaut. Ein zentrales Ergebnis: Die Umstellung auf klimaneutrale Energieversorgung ist für alle eine Herausforderung. Neben der bereits erwähnten Verfügbarkeit von Erneuerbaren vor Ort werden auch die Verfügbarkeit von Fach- kräften, Anschluss an Hochgeschwindigkeitsverbindungen sowie Verkehrsinfrastruktur als wichtige, regionale Faktoren identifiziert: Hamburg, Nordrhein-Westfalen und Berlin sind demnach Spitzen- reiter in Sachen Standortattraktivität Erneuerbare, Bayern folgt auf Platz vier, Baden-Württemberg landet mit Platz neun im Mittelfeld und am Ende der Attraktivitätsskala liegen die beiden ostdeutschen Länder Sachsen und Thüringen sowie das Saarland. Mangelnde Digitalisierung und Verkehrsinfrastruktur in BaWü Während im Süden zwar nicht so viel erneuerbare Energie vorhanden ist, profitiert die Region von mehr Fachkräften. Nachholbedarf hat der Standort Baden-Württemberg nach dieser Analyse aber nicht nur im Bereich Ausbau von Erneuerbaren, sondern vor allem in den Bereichen Verkehrsinfrastruktur und Digitalisierung. So hinken die Unternehmen im Südwesten beispielsweise beim Anschluss ans Glasfasernetz noch hinter dem Bundesschnitt, aber auch hinter dem EU-Schnitt her. „Digitalisierung ist wichtig für die Energiewende, weil in Zukunft auf schwankende Stromerzeugung am besten automatisiert reagiert werden sollte, um beispielsweise flexible Verbrauchsanpassungen effizient umzusetzen“, erklärt dazu DIW-Experte Fischer. Für einen zukunftsträchtigen Verkehr fehlten in der Region außerdem noch Ladepunkte für E-Fahrzeuge. Trotz der regionalen Unterschiede: „Die Gefahr für Standortverlagerungen innerhalb von Deutschland aufgrund von Energiekosten schätze ich bisher als nicht besonders hoch ein.“ Netz und Erneuerbare rasch austauschen Die Untersuchung formuliert auch Handlungsempfehlungen, um Erneuerbare zu einem Standortvorteil und nicht zu einer Last zu machen. Die beiden wichtigsten Faktoren sind aus der Sicht von Experte Fischer der rasche Ausbau von Netz und Erneuerbaren. Bild: Adobe Stock –AnaNas/VRD/Thaut Images
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