Wirtschaft im Südwesten - Ausgabe Juli/August'24 -Südlicher Oberrhein
9 7+8 | 2024 IHK-Zeitschrift Wirtschaft im Südwesten Die Gründe dafür sind natürlich vielfältig. Die hohe Inflation bei- spielsweise. Ein zentraler Punkt ist aber auch die Neubewertung des Faktors Zeit. Mehr als die Hälfte der Befragten klagt über die Zu- nahme an Zeitstress, weshalb sie alles streichen, was nicht der Freude und Erholung dient. Wie ein Tripp in die Innenstadt etwa. Tschüssikowski Tütenschleppen! Die Erklärung dafür ist ebenso simpel wie auch eine deutliche Auf- forderung auch an den Handel, altbewährte Konzepte nun endlich hinter sich zu lassen: Denn Hand in Hand mit den quälenden Lock- downs ging für viele Menschen die offenbar horizonterweiternde Erfahrung, dass das Internet ein weitaus größeres und vielfältigeres Angebot bereithält als die eigene Fußgängerzone. Dass es überdies äußerst zeitsparend sein kann, mit nur einem Klick vom Sofa aus zu bezahlen als sich erst mühsam einen Parkplatz suchen und dann noch in eine Schlange vor der Kasse stellen zu müssen. Und dass es ja wohl kaum etwas Bequemeres gibt, als die Ware gleich am nächsten Tag ins eigene Heim geliefert zu bekommen: Tschüssi- kowski Tütenschleppen! User Experience ist heute Pflicht Doch die Abfrage des Status Quo macht nur den ersten Teil der GDI- Studie „Ausgebummelt“ aus. Im zweiten Teil geht es um „Wege des Handels aus der Spaß- und Sinnkrise“. Das GDI hat festgestellt, dass der Wunsch nach Erlebnissen nicht nur dem Veranstaltungsbusiness („Live-Erlebnis-Markt“) ungeahnte Wachstumszahlen beschert. Auch im Konsumgüterbereich sehnten sich Kunden nach (außerge- wöhnlichen) Erlebnissen. Damit ist der Ton gesetzt. „Für den Handel ist User Experience, das Nutzererlebnis der Kunden, mehr Pflicht als Kur“, konstatieren die GDI-Forscher. Denn wo Kundenerwartungen nicht erfüllt würden, werde der Kauf schnell abgebrochen. „Schafft man es allerdings, ihre Erwartungen nur leicht zu übertreffen, bleibt dies … positiv in Erinnerung.“ Dummerweise schaffen sich positive Einkaufserlebnisse nicht von allein. Daher appellieren die Autoren: „Kunden sollten sich in La- den und Online-Store schnell und intuitiv zurechtfinden, Produkte leicht auffindbar sein, Lagerbestände im Geschäft und Lieferzeiten online klar ersichtlich und unkomplizierte Omnichannel-Services in der Kaufphase (Click & Collect, Click & Reserve etc.) ebenso wie in der Nachkaufphase (Click & Return, Rückerstattungen etc.) selbstverständlich sein. Ausreichend Personal im Laden - schnell auffindbar und hilfsbereit - ist ebenfalls eine Selbstverständlichkeit.“ Kundeninspiration als Erfolgsfaktor Nein, ist es natürlich nicht in Zeiten des Fachkräftemangels. Der Blick der GDI-Forscher geht jedoch in eine andere Richtung: Sie zitieren eine Studie der Universität St. Gallen, wonach inspirierte Kunden mehr Geschäfte und in diesen mehr Abteilungen besuchen. Dass inspirierte Kunden mehr und teurere Produkte kaufen als eigentlich geplant, und dass inspirierte Kunden wiederkehrende, also loyale Kunden sind (siehe Abb.). Kurzum: Dass die Fähigkeit, Kunden zu inspirieren, ein maßgeblicher Erfolgsfaktor ist. Und das gilt auch für die perfekt kuratierte Ausstellung, das ganz besondere Konzert in der Altstadt oder schlicht den Wochenmarkt als Erlebniswelt in der Erlebniswelt Stadt. Anke Pedersen Philipp Hilsenbek Was genau tut eigentlich ein IHK-Innenstadtberater, Herr Kaiser? Ich bin immer sechs Monate sehr intensiv in einer Stadt, gründe als erstes einen Lenkungskreis. Und dieser Lenkungskreis be- steht in vielen Fällen aus Bürgermeister, Wirtschaftsförderung, Gewerbevereinsvorsitz, aus dem Sprecher des Tourismus, des Handels usw. Also eigentlich den maßgeblichen Akteuren der Stadt. Und mit denen wird dann erstmal der Status Quo ana- lysiert: Wo stehen wir bei den verschiedenen Faktoren Auf- enthaltsqualität, Angebot, Erlebnis, Erreichbarkeit? Wo sind wir stark? Wo sind wir schwach, und wo gibt es Chancen, den aktuellen Zustand zu verbessern? Anschließend entwickeln wir einen Maßnahmenplan, in dem die einzelnen Maßnahmen priorisiert und oftmals auch zur Zustimmung in den Gemeinderat gebracht werden. Der muss dann entscheiden, ob wir den Weg so beschreiten wollen. Und wenn wir das irgendwann geklärt haben, dann kommt die Frage: ‚Wer macht es? Wer setzt es um?‘ Und danach die zweite Frage: ‚Mit welchen Mitteln machen wir das?‘ Da geht es um finanzielle Ressourcen, und da ist es wirklich gut, dass ich da bisweilen auch Fördermöglichkeiten vom Land im Gepäck habe: zur Förderung von Pop-up-Stores beispielswei- se, von Veranstaltungen, oder wenn etwas Neues zum Thema Stadtmarketing kommt, wie zum Beispiel die Einführung der digitalen Kundenkarte. Dann kann ich immer ein bisschen aus einem Topf ziehen und sagen: ‚Oh, da haben wir einen Topf, aus dem 70 Prozent gefördert werden, die übrigen 30 Prozent müsst Ihr halt irgendwie selbst zusammen kriegen.‘
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