Wirtschaft im Südwesten - Ausgabe Juli/August'24 -Schwarzwald-Baar-Heuberg

10 IHK-Zeitschrift Wirtschaft im Südwesten 7+8 | 2024 LEUTE KÖPFE DES MONATS Eine Geschichte wie im Bilderbuch Elke und Joachim Kammerer | Comix-Time LÖRRACH. Die Geschichte beginnt vor rund 18 Jahren: Joachim – genannt Joe – Kammerer ist ange- stellt bei einem Schweizer Tochterunternehmen von Endress+Hauser. Erfahrungen mit dem stationären Ein- zelhandel generell oder dem Buchhandel im Besonde- ren: Fehlanzeige. Trotzdem wagt der 48-Jährige diesen Schritt – mit Unterstützung seiner Frau Elke, die als Arzthelferin über genauso wenig Erfahrung im Einzel- handel verfügt wie er. Bis 2006 verläuft die Karriere von Joe Kammerer quasi reibungslos und stetig aufwärts. „Ich bin top ausge- bildet und gefördert worden“, sagt der gelernte Infor- mationselektroniker und staatlich geprüfte Techniker. Zuletzt ist er Abteilungsleiter bei der Flowtec AG in Reinach, keine zehn Kilometer südlich von Basel. Er führt ein Team von 70 Köpfen und ist viel unterwegs. Stress kennt er nicht. Und doch ist da plötzlich dieser Moment, sagt er nachdenklich und schüttelt fast unmerklich den Kopf. Auf der Autobahn. Ein Gedanke. Ein tödlicher Ge- danke. Schluss machen mit al- lem. Gegen den Brückenpfeiler fahren. Aus. Ende. Vorbei. Es bleibt ein Gedanke. Doch dieser Moment ist ein Schlüsselereignis: Es geht nicht mehr. Es folgen ein Burnout plus mittelschwere De- pressionen. „Ich habe ein Dreivierteljahr gebraucht, um wieder einigermaßen auf die Beine zu kommen“, berichtet er. Unterstützung erhält er von Elke, mit der er seit Teenagerzeiten verbunden ist, und vom Arbeitgeber. Auch der lässt ihn nicht hängen. Als Joe Kammerer sich wieder fit genug fühlt, um seine Arbeit aufzunehmen, erhält er eine vermeintlich ruhigere Stelle zum gleichen Gehalt. „Das war gut gemeint, aber auf Dauer hat es mich zermürbt. Ich war massiv unterfordert“, erinnert er sich. Das spürt auch seine Frau: „Manchmal kam er nach Hause und konnte weder mich noch die Kinder um sich haben. Es war ihm alles zu viel.“ Sein beruflicher Weg zum Techniker sei – aus heutiger Perspektive – kein persönliches Ziel gewesen. „Es hat sich ergeben.“ 1997, mit knapp 38 Jahren, hinterfragt er zum ersten Mal das, was er tut, und kann sich vorstel- len, etwas anderes zu machen: etwas mit Büchern. Zu- mal das in der Familie liegt. Sein Vater war Angestellter in einer Basler Kunstbuchhandlung, sein Onkel führte einen kleinen Buchladen. Und Comics faszinieren ihn seit frühester Jugend: „Fix und Foxi, Prinz Eisenherz, Isnogud, Tim und Struppi oder Clever & Smart.“ So großzügig sein Arbeitgeber auch ist, dem Macher Joe Kammerer fehlt das Machen. Und so erlebt die Idee, die er 1997 erstmals hatte, 2006 ein Comeback. Seine Frau ist nicht begeistert. Einzelhandel heißt: samstags arbeiten, weniger Zeit für die vier Kinder – das jüngste ist noch im Kindergarten – und wirt- schaftliches Risiko, dazu seine Depression. Doch sie wagen den Sprung gemeinsam. Kammerer darf seine Arbeitszeit reduzieren, und so teilen sie sich anfangs die Zeiten im Laden. 2007 zieht er einen Schlussstrich bei E+H – wechselt von der Industrie zum Handel. Auch Elke gibt wenig später ihre Teilzeitstelle auf. Die ersten Jahre sind schwierig: Buchhandel ist für beide Neuland, dazu kommt seine Krankheit. Die neue Auf- gabe tut Kammerer zwar gut, aber Hilfe von außen ist notwendig. „Da hat mich Elke sehr unterstützt. Ohne sie hätte das nicht funktioniert.“ Comix-Time ist auf Comics und Mangas spezialisiert, besitzt aber auch eine feine Fantasy-Abteilung, dazu ausgewählte Krimis und Thriller, und „natürlich bestellen wir auch jedes andere erhältliche Buch“, beschreibt der Gründer. Heute genießen es Elke und Joachim Kam- merer, auch samstags in ihrem Laden zu stehen und mit Kunden aus der Schweiz, dem Markgräflerland und darüber hinaus zu fachsimpeln – über Autoren, Genres und Bücher. „Das ist die schöne Seite“, sagt Elke Kam- merer. Doch nicht alles ist gut. Joe Kammerer macht sich Gedanken um die Zukunft des Einzelhandels. „Die Auflagen werden immer umfangreicher, und die Kosten steigen“, kritisiert er, und lächelt dann spitz: „Ich wollte Buchhändler werden, nicht Buchhalter!“ Patrick Merck »Comics faszinieren mich seit frühester Jugend« KÖPFE des Monats Nach Burnout und Auszeit hätte Abteilungsleiter Joachim Kammerer auf einer ruhigeren Stelle weiterarbeiten dürfen. Doch das ist ihm zu wenig – dem Macher fehlt das Machen. Also gründet er die Buchhandlung Comix-Time.

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