Wirtschaft im Südwesten - Ausgabe Juli/August'24 - Hochrhein-Bodensee

7 7+8 | 2024 IHK-Zeitschrift Wirtschaft im Südwesten W enn Thomas Kaiser zum Bummel durch die City lädt, dann nicht etwa zur Besichtigung der überlebenden Karststadt- Filiale oder zum Schnäppchenshopping im 1-Euro-Shop direkt daneben. Stattdessen geht es dem Innenstadtberater der IHK Südlicher Oberrhein darum, Verantwortlichen wie Bürgermeistern und Stadträten vor Ort vor Augen zu führen, welchen Eindruck ihre Stadt bei Besuchern hinterlässt: „Da kommt dann der volle Mülleimer, das krummhängende Schild und kurz darauf die tote Pflanze“, schildert der Handelsexperte einen typischen Streifzug. „Ein paar Meter weiter dann der Brunnen, der trotz frühsommerlicher Temperaturen noch nicht in Betrieb ist, das kaputte Licht und die Straßenquerung, die erschreckend schwierig zu passieren ist.“ Das Szenario ist weder neu noch überraschend. Im Gegenteil: Ein ehrlicher Blick zurück zeigt, dass zahllose Zentren ihre frühere Attraktivität schon vor etlichen Jahren eingebüßt haben. Erst hat- ten die immer gleichen Filialisten eine einst quirlige Vielfalt durch austauschbare Kulissen ersetzt, dann der Online-Handel und die Grüne Wiese enorme Kaufkraft abgezogen – und nach Corona sahen sich bummelbereite Bürger schließlich Billigstläden, Shisha Bars, Wettbüros und offenbar auch einer gewissen Laissez-Faire-Haltung gegenüber der öffentlichen Ordnung gegenüber. „Innenstadt geht heute nur gemeinsam“ Was allerdings neu ist: Die Pandemie hat vor allem kleineren und mittelgroßen Städten derart zugesetzt, dass maßgebliche Entschei- der früheren Absichtserklärungen nunmehr auch Taten folgen las- sen. Respektive Gelder: Allein die baden-württembergische Lan- desregierung stellt seit 2021 jährlich dreistellige Millionensummen bereit, um die Re-Attraktivierung der Innen- städte aktiv zu befördern und gras- sierenden Leerstand zu bekämpfen. Motto der zuständigen Ministerin für Landesentwicklung und Woh- nen, Nicole Razavi: „Wir wollen keine Donut-Städte mit fetten Rändern und leerer Mitte.“ Für Philipp Hilsenbek sind es jedoch weniger die freigeschaufelten Gelder, die künftig den Unterschied machen, als vielmehr die Art und Weise, wie sie eingesetzt werden (sollen): „Wir beobachten hier nichts weniger als einen Paradigmenwechsel“, sagt der Geschäftsbereichsleiter Standortpolitik bei der IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg. Zwar seien Innenstädte schon seit langer Zeit im Wandel, doch erst jetzt hätten ausnahmslos alle Entscheider und Stakeholder in Wirtschaft, Politik und Verbänden anerkannt, dass sie alle gemeinsam die Verantwor- tung dafür tragen, wieder „Frequenz in die Innenstädte“ zu bringen. Plötzlich geht es also nicht mehr allein darum, einzelne Gebäude zu sanieren oder die ein oder andere Straße. Ab sofort geht es um die „Aufenthaltsqualität“ in einer Innenstadt. Darum, Citys in Erlebniszentren zu verwandeln, die auch der Digitalisierung und dem veränderten Kommunikations-, Konsum- und Freizeitverhalten Rechnung tragen. Und unter diesem Aspekt „geht Innenstadt heute nur gemeinsam“, fasst Hilsenbeck den neuen Ansatz zusammen. „Innenstadtattraktivität muss übergreifend sein.“ Will heißen: Die Chance zu einem Turnaround besteht nur dann, wenn Han- del plus Dienstleister - wie etwa auch Ärzte, Apotheken und Verwaltung - plus Gas- tronomie gemeinsam daran arbeiten, die Innenstadt als zentralen Ort der Begegnung und Wirtschaftsraum zu stärken und weiterzuentwickeln. Tipps vom digitalen Schaufenster-Doc Und da gibt es ganz viel Unterstützung zur „Attraktivierung“, betont Hilsenbeck. Zum Beispiel haben nicht nur die IHKs im Südwesten Innenstadtberater wie Thomas Kaiser damit beauftragt, möglichst breite Stakeholder-Netzwerke aufbauen und etablieren. Auch zahl- reiche Städte finanzierten inzwischen gezielt City- und Quartiers- manager, um alle Beteiligten an einen Tisch zu bringen: Immobili- enbesitzer, Gewerbevereine, Gastroverbände, IHKs und viele mehr. Die IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg unterstützt Mitglieder ihres Kammergebiets darüber hinaus mit konkreten Projekten wie etwa dem „digitalen Schaufenster-Doktor“: Der gibt Tipps, wie sich po- tenziellen Käufern schon im Netz – also noch vor ihrem eigentlichen Besuch - der Mund wässrig machen lässt. „Ich als Kunde informiere mich ja heute schon vorher via Smartphone über Parkplätze, Öff- nungszeiten, Angebote und vieles mehr“, weiß auch Handelsexper- te Kaiser. Daher müsse alles, was „zum Kollektiv der Innenstadt“ gehört, auch im Internet sichtbar sein: vom Eintrag bei Google Business bis hin zum virtuellen 3-D-Rundgang, damit die Leute sich schon vor ihrem Besuch etwas vorstellen und sich informieren könnten. Kaiser: „Man muss da also ganz laut gackern, damit die Menschen merken: ‚Oh, ich muss mal wieder in die Stadt, das ist toll, das ist ein Erlebnisraum und das lohnt sich, dahin zu gehen.‘“ Qu i c k- W i n - To o l s nennt der Mann der IHK Südlicher Ober- rhein diese Möglich- keit, mit einfachen Mitteln sichtbare Verbesserungen und damit einen Aha-Ef- fekt zu erzielen. Nach einem Stadtspaziergang setzt er dann schon mal einen „schnellen Auftrag an den Bauhof“ ab, und als Quick-Win sind am nächsten Tag der Mülleimer geleert, die Straßen- lampe repariert und der Brunnen zum Sprudeln gebracht. „Positionieren Sie sich als Stadt!“ Doch das allein reicht natürlich nicht aus, um Menschen wieder dauerhaft in die Städte zu ziehen. Heute gehe es vor allem auch um Aspekte wie Erreichbarkeit, Ladenöffnungszeiten und den richtigen Mix des Angebots, konstatiert Carsten Kortum, der an der Dualen Thomas Kaiser Carsten Kortum Bilder: Adobe Stock - Ico Maker; Adobe Stock - Sensvector

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