Wirtschaft im Südwesten - Ausgabe Juli/August'24 - Hochrhein-Bodensee

5 7+8 | 2024 IHK-Zeitschrift Wirtschaft im Südwesten zu tun, sondern mit den strukturellen Proble- men am Standort Deutschland, nämlich mit überbordender Bürokratie, hohen Steuern sowie hohen Lohn- und Energiekosten und vor allem immer mehr mit dem grassierenden Fachkräfte- und einem generellem Arbeits- kräftemangel. „Wir haben überall Nachholbedarf“ Während die USA mit dem Inflation Reduction Act erhebliche Summen in die ökologische Transformation investieren, prognostizieren erste Experten das Ende des European Green Deal. Gleichzeitig stockt die digitale Transformation und entsprechende Wirtschaftsleistung in Deutschland und Europa im Vergleich mit den Big Playern in den USA und China. Glauben Sie, dass die Konjunktur in Ihrem Kammerbezirk nach der Wahl in eine Art Depression verfallen könnte? Klodt-Bußmann: Eine Wahl löst noch keine Rezession aus. Die Frage ist eher, wie künftig die Zusammenarbeit in Europa funktionie- ren wird. Ich bin mir aber sicher, dass die demokratischen Parteien, die immer noch eine deutliche Mehrheit stellen, einen guten Weg finden werden, um Herausforderungen wie den Klimaschutz gemeinsam zu bewälti- gen. Dennoch müssen wir uns alle Gedanken machen, warum so viele Menschen demokra- tiefeindliche Parteien gewählt haben, die mit ihren politischen Ideen unsere Freiheit und unseren Wohlstand gefährden. Dass Deutschland bei der digitalen Trans- formation seit Jahren in Europa zu den Schlusslichtern zählt, kann man nicht der EU ankreiden. Hier waren und sind wir einfach zu langsam. Ob beim Netzausbau oder der Di- gitalisierung der Wirtschaft, der Verwaltung und des Bildungssystems: Wir haben überall Nachholbedarf. Salomon: Die Stimmung ist bereits durch Krieg und Krise eingetrübt. Schon seit zwei Jahren übersteigt die Zahl der Unternehmen mit einer schlechten Geschäftserwartung die der Optimisten. Unser Konjunkturbericht, der noch vor der EU-Wahl erhoben wurde, zeigt aber auch deutlich: Die Unternehmen in der Region stecken nicht den Kopf in den Sand. Bei Programmen wie dem European Green Deal hapert es oft daran, dass sich diese auf Regeln und Verbote beschränken. Statt Din- ge von oben zu verordnen, sollte beim Umbau der Wirtschaft viel stärker die Industrie in die Pläne miteinbezogen werden. Nur so wird ein Schuh draus. Albiez: Die EU bezeichnet den Green Deal als ihre neue Wachstumsstrategie. Der Deal beruht überwiegend auf Regulierung. Um tat- sächlich Wachstum zu generieren, muss die Industrie als Partner eingebunden werden. Die Unternehmen benötigen wirtschaftsori- entierte Rahmenbedingungen statt kleintei- liger Ge- und Verbote. Befürchten Sie direkte Auswirkungen des Rechtsrucks in Europa und Deutsch- land auf die Bereitschaft ausländischer Fachkräfte, zu uns und in unsere Region zu kommen? Oder, noch schlimmer: dass Fachkräfte womöglich abwandern werden? Klodt-Bußmann: Ich bin mir sicher, dass un- sere Region auch nach der Wahl für inter- nationale Fachkräfte viel zu bieten hat. Die überwältigende Mehrheit der Menschen und der Unternehmen pflegt eine ehrliche und herzliche Willkommenskultur. Aber sicher kommen die aktuellen Wahlergebnisse nicht gut an und werden die ein oder andere Fach- kraft davon abhalten, nach Deutschland zu kommen. Hinzu kommen der bürokratische Aufwand, lange Wartezeiten für ein Visum, mangelnder Wohnraum, Unterversorgung bei der Kinderbetreuung, Probleme bei der Anerkennung von Abschlüssen oder starre Vorgaben zu Deutschkenntnissen. Wir ma- chen es Fachkräften und High Potentials nicht leicht, zu uns zu kommen. Wenn dann auch noch die gesellschaftliche Akzeptanz bröckelt, geht das zu Lasten unserer Wirt- schaft und unseres Wohlstands. Das muss den Menschen klar sein, die Zuwanderung ablehnen. Salomon: Wenn sich Ressentiments in Wahlergebnissen niederschlagen, kann das natürlich abschreckend wirken. Aber wir leben hier in einer weltoffenen Region. Der Anteil ausländischer Fachkräfte dürfte am südlichen Oberrhein sogar noch höher liegen als die 27 Prozent im Bundesschnitt. Die Unternehmen hier haben schon lange begriffen, dass es ohne Zuwanderung nicht mehr geht. „Es gibt keine bessere Alternative als Europa!“ Albiez: Wir leben nicht in einer abstrakten Staatengemeinschaft, sondern in einer Uni- on, die unser (Zusammen-) leben deutlich prägt. Was wäre, wenn Europa plötzlich weg wäre? Ein Blick nach Großbritannien zeigt, wie groß doch die Ernüchterung ist. Trotz des Frustes hier und da gibt es für uns keine bessere Alternative als Europa! Deshalb gibt es nur den Blick nach vorn: die Europäische Union besser und schlanker machen, mehr Wettbewerb zulassen, den Mittelstand stär- ker berücksichtigen. Europa ist die Lösung für eine gute Zukunft in der sich ändernden Welt. Aber nicht das Europa der Bürokraten, der Zweifler und der Bremser – sondern das Europa der Macher, der Unternehmer und der Neugierigen. Prof. Katrin Klodt-Bußmann Thomas Albiez

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ2MDE5