Wirtschaft im Südwesten - Ausgabe Juli/August'24 - Hochrhein-Bodensee

4 IHK-Zeitschrift Wirtschaft im Südwesten 7+8 | 2024 AUS AKTUELLEM ANLASS IHKs zur Europawahl Einfach weiter in der Tagesordnung? Befürchten Sie, dass die Zusammen- setzung des neuen EU-Parlaments Auswirkungen auf das Investitionsklima in Deutschland und speziell in unserer Region haben wird? Thomas Albiez, Hauptgeschäftsführer der IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg: Der Standort Europa und insbesondere Deutsch- land verlieren im internationalen Wettbewerb an Attraktivität – IHK-Umfragen unterstrei- chen das. Aber nur ein starkes Europa kann in einer sich immer stärker verändernden Welt bestehen. Das neu gewählte Europapar- lament muss sich in den kommenden Jahren für einen attraktiveren Wirtschaftsstandort einsetzen. Eine EU-Industriepolitik, die die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts stei- gert, bedeutet vor allem, Innovationen und technische Entwicklungen zu fördern, Ver- fahren zu beschleunigen und die Bürokratie zurückzufahren. Wir brauchen bezahlbare Energie, qualifizierte Fachkräfte, schlanke Genehmigungsverfahren und einfachen Zu- gang zu Kapital. Gleichzeitig erfordert die grüne Transformation öffentliche und private Investitionen, die viele Industrien in Europa vor große finanzielle Herausforderungen stellen. Eine Politik, die auf gute Standort- faktoren für die Branchen in der Breite setzt statt auf Subventionen, ist die beste Indus- triepolitik. Die Unterbrechungen der Lieferketten wäh- rend der Pandemie sowie die wirtschaftli- chen Folgen und Sanktionen des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine haben die Ab- hängigkeiten von einzelnen Lieferanten und/ oder Kunden deutlich aufgezeigt – sowohl für einzelne Unternehmen und Sektoren – als auch für gesamte Volkswirtschaften. Prof. Dr. Katrin Klodt-Bußmann, Haupt- geschäftsführerin der IHK Hochrhein-Bo- densee: Die Unternehmen in Deutschland und auch in unserer Region waren schon vor der Europawahl zurückhaltend mit grö- ßeren Investitionen, insbesondere im Inland. In unserem Wirtschaftsbericht im Mai wurde bereits deutlich, dass unter den Handels- betrieben und im Produktionsbereich die Planungen für Inlandsinvestitionen deutlich zurückgehen. Verantwortlich dafür sind vor allem Planungsunsicherheiten, eine sinken- de Inlandsnachfrage und der Fachkräfte- mangel. Da sich im Europaparlament nach der Wahl die Kräfte verschoben und europakritische Parteien deutlich an Einfluss gewonnen ha- ben, bleibt es abzuwarten, wie sich die Zu- sammenarbeit der anderen Parteien gestal- tet. Wir, die IHKs, werden uns auch weiterhin für ein offenes Europa, einen starken Binnen- markt und gute Investitionsbedingungen für die Unternehmen einsetzen. „Mehr Bedeutung für unsere Wirtschaft hat der Ausgang der Wahl in Frankreich“ Dieter Salomon, Hauptgeschäftsführer der IHK Südlicher Oberrhein: Wenn in Eu- ropa Parteien erstarken, die die EU nicht als Chance, sondern als Übel begreifen, dann wirkt das auf die Wirtschaft mit Sicherheit nicht beflügelnd. An den Entscheidungen aus Brüssel lässt sich aus Unternehmer- sicht einiges kritisieren, doch insgesamt überwiegen die Vorteile der Europäischen Union und die Mehrheit der Unternehmen sieht das genauso, wie die deutschlandwei- te IHK-Umfrage zeigte. Die Unternehmen schätzen die politische Stabilität, den ge- meinsamen Währungsraum, einheitliche Standards und den freien Zugang zu den eu- ropäischen Märkten. Werden diese Vorteile durch den Rückfall in eine nationalistische Politik bedroht, kann das die Investitions- bereitschaft hemmen, die ohnehin schon rückläufig ist – auch bei uns am südlichen Oberrhein. Mehr Bedeutung als die Euro- pawahl hat für die Wirtschaft in unserer Region der Ausgang der Parlamentswahl in Frankreich. Stellt das Wahlergebnis womöglich eine Bedrohung für die Standorttreue, für das Bekenntnis zur Region dar? Klodt-Bußmann: Nein, das sehen wir nicht. Die Unternehmen sind in unserer Region tief verwurzelt, sind verbunden mit Unterneh- men in der Schweiz und schätzen die Lage im Dreiländereck. Unsere Region ist weltoffen und bietet eine sehr hohe Lebensqualität. Was die Region viel mehr umtreibt, sind infra- strukturelle Fragen. Ob beim Schienen- und Straßenverkehr, beim Glasfaserausbau und 5G oder beim Abschluss an das kommende Wasserstoffnetz: Das sind die Standortfra- gen, die unsere Region beschäftigen. Salomon: Der südliche Oberrhein zeichnet sich durch mittelständische Betriebe aus mit einer tiefen Verwurzelung. Ein weiterer Trumpf unserer Region ist die attraktive Grenznähe. Aktuell gibt es keine Anzeichen, dass uns eine Abwanderungswelle bevor- stünde. Wenn viele Betriebe zurzeit nicht mehr in Deutschland investieren, sondern im Ausland, hat das weniger mit der Europawahl Die Ergebnisse der Europawahl bedeuten nicht nur eine enorme Herausforderung für den wirtschaft- lichen Wohlstand und Zusammenhalt in Europa, sondern ganz besonders auch für unsere Wirtschaft im Südwesten. Oder nicht? Fragen an die Hauptgeschäftsführer der drei IHKs Hochrhein-Bodensee, Schwarzwald-Baar-Heuberg und Südlicher Oberrhein. Dieter Salomon

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ2MDE5