Wirtschaft im Südwesten - Ausgabe Juli/August'24 - Hochrhein-Bodensee

49 7+8 | 2024 IHK-Zeitschrift Wirtschaft im Südwesten personal- und kostenintensiv – und „für Messe wie Aussteller eine Herausforderung“. Doch die Vorteile würden geschätzt. Etwa das Privileg, an Sonn- und Feiertagen verkaufen zu dürfen, oder die Mund-zu- Mund-Propaganda: „Wer am ersten Wochenende da war, erzählt es weiter. Das beflügelt das zweite Wo- chenende.“ Und Aussteller, denen neun Tage zu lang seien, könnten sich Wechselstände teilen. Keine Lösung: Virtuelle Messen In einem sind sich die Veranstalter jedenfalls einig: Die Besucher haben das Live-Erlebnis vermisst. „Man spürt das richtig“, sagt Thieme, „die Leute wollen rie- chen, schmecken, fühlen“. Von den virtuellen Ver- anstaltungen, die während der Pandemie ins Leben gerufen wurden, sei denn auch so gut wie nichts üb- riggeblieben. Zwar seien Online-Schulungen oder das Zuschalten von Online-Gästen heute Normalität. Doch im klassischen Messegeschäft sei „alles wieder live“. Die Messe Freiburg hatte für zwei ihrer Eigenveran- staltungen ein Online-Angebot aufgelegt: Zur Plaza Culinaria 2020/2021 wurde ein Online-Shop eingerich- tet, die IKF, größte Fachmesse im deutschsprachigen Raum für Bühnenproduktion, Musik und Events, fand 2021 rein digital statt. Eine Weiterführung der digitalen Formate sei aber „nicht gewünscht“ gewesen, sagt David Kubowitz, Projektleiter der Freiburger Messe. Die Messe-Zwangspause habe denn auch „die Daseinsbe- rechtigung von Präsenzveranstaltungen eher bestätigt als in Frage gestellt“. Das scheint auch für das B2B-Segment zu gelten, die zahlreichen Fachveranstaltungen und Kongresse. Hier sehen Messemacher einen weiteren Trend: „Mehrbran- chenmessen sind auf dem Rückzug“, glaubt Thieme und nennt die 2018 eingestellte Computermesse Cebit in Hannover als Beispiel. Stattdessen versuche man verstärkt, spezielle Themen herauszustellen. In Offenburg ist das mit der Geotherm gelungen, die sich seit 2007 zur größten Geothermie-Messe Europas entwickelt hat. Sie sei aus einem Kongress mit der Hochschule entstanden, sagt Thieme, heute kämen Aussteller und Besucher aus über 40 Ländern. Die Ausstellerzahl hat in diesem Jahr einen Sprung von 160 auf 241 gemacht, die der Besucher ist von 5.000 auf 6.500 gestiegen. In Villingen-Schwenningen dagegen haben sich die Dreh- und Spantage (DST) als wichtige Fachmesse eta- bliert. Als Nachfolgeveranstaltung der abgewanderten Turning Days 2019 ins Leben gerufen, zählt die DST heute 194 Aussteller und 5.500 Besucher – „für eine Fachmesse ist das durchaus eine beachtliche Zahl“, sagt Messechef Goschmann. Auch in Freiburg setzt man künftig auf statt Mehr- branchenmessen stärker auf spezielle Themen. Mit der BBQ-Lifestyle-Messe Rauch&Glut oder der Fami- lienmesse Baby+Kind sei dies bereits gelungen. „Wir brauchen und wollen definitiv mehr Veranstaltungen im B2B Bereich, Fachkongresse mit begleitenden Aus- stellungen, aber auch Fachmessen im Allgemeinen“, heißt es von der Messe. Wobei die Entwicklung neuer Formate bisweilen Jahre dauert. Jobmessen im Trend Veranstaltungen, die angesichts des omnipräsenten Personalmangels praktisch überall funktionieren, sind Jobmessen. In Offenburg ist es die gemeinsam mit der Arbeitsagentur veranstaltete Berufsinfomesse (BIM), die mit 430 Ausstellern den Großteil der Hallen belegt, in Villingen-Schwenningen die Jobs for Future, deren Besucherzahl zuletzt von 10.000 auf 13.000 gestiegen ist. Berufsmessen gibt es auch an zahlreichen klei- neren Standorten, etwa die Jobklahr in Lahr, Meine Zukunft in Singen sowie weitere Karrieremessen in Konstanz, Waldshut oder Tuttlingen. Konkurrenz zu Freizeitaktivitäten Für die Attraktivität von Messen immer wichtiger wird indes ihr Eventcharakter. Denn „Messen konkurrieren zunehmend mit anderen Freizeitaktivitäten“, sagt David Kubowitz. Spannende Erlebnisse würden daher ebenso Pflicht wie Überraschungen: Besucher sollen hier „Din- ge entdecken, von denen sie vorher nicht einmal wuss- ten, dass sie sie gesucht haben“, sagt der Freiburger Messeprofi. Der Fachbegriff dafür lautet Serendipität. Eine weitere Herausforderung für die Messemacher: die richtigen Themen finden. „Alles, was sich um Nach- haltigkeit dreht, hat Potenzial“, ist Frank Thieme über- zeugt. Sein Team hat etwa die Bio Agrar entwickelt, die vom 16. bis 17. Oktober Premiere feiert. Die zentrale Frage für Thieme lautet dabei: „Wie kann man aus Nischen Märkte entwickeln?“. Dabei ist nicht zuletzt das Timing wichtig: „Wer zu früh dran ist, muss lange durchhalten, wer zu spät kommt, spielt vielleicht nur die dritte Geige bei einem Thema.“ Anregungen dafür, welches Thema vielleicht Potenzial für eine eigene Messe haben könnte, holen sich die Messemacher übrigens nicht zuletzt auf den großen Verbraucher- messen. Eine empirische Untersuchung der DHBW Heilbronn hat gezeigt, dass die virtuellen Messen der Corona- Zeit keinen Ersatz für Präsenzmessen bieten konnten. Es fehlten etwa Möglichkeiten zu Small-Talk und Net- working, zum qualitativen Testen von Produkten oder auch zum Erkennen von Trends durch Traubenbildung an Ständen. Eine Zukunft virtueller Messen sehen die Autoren vor allem in der Ergänzung von Präsenzveran- staltungen, etwa um diese über die eigentliche Messe- dauer hinaus zu verlängern. Das PDF der Schriftenreihe Handelsmanagement (Whitepaper #21) lässt sich unter www.handel-dhbw.de downloaden. Jürgen Baltes

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ2MDE5