Wirtschaft im Südwesten - Ausgabe Juli/August'24 - Hochrhein-Bodensee

35 7+8 | 2024 IHK-Zeitschrift Wirtschaft im Südwesten einen Spätburgunder Spätlese Barrique entschieden. „Herausgekommen sind eher halbtrockene Weine mit einer ausgewogenen Balance aus Süße und Säure.“ Abgefüllt werden die Weine in Halbliterflaschen, „weil wir festgestellt haben, dass unsere Kunden bei alkohol- freiem Wein tendenziell zu kleinen Flaschen greifen“. Stöhr ist überzeugt, dass der 0,0-Promille-Wein weit mehr als eine Modeerscheinung ist und sich fest eta- blieren wird: „Wir bleiben jedenfalls dran.“ Auch das Staatsweingut Freiburg sieht viel Potential in alkoholfreien Weinen. Kolja Bitzenhofer, Leiter des Staatsweinguts Freiburg, bietet bereits den dritten Weißwein „ohne“ an, „langfristig wollen wir auch einen Roséwein und einen Rotwein produzieren“. Viele Menschen glauben, dass alkoholfreier Wein nichts anderes sei als süßer Traubensaft. Doch das ist ein Irrtum. Denn bis zur Entalkoholisierung ist der Herstellungsprozess derselbe wie bei norma- lem Wein: Die Trauben werden gepresst, gären und reifen in Edelstahltanks oder Holzfässern. Während normaler Wein dort bis zur Abfüllung weiter ruht, beginnt für den künftigen alkoholfreien Wein jetzt der schwierige Teil – das Entziehen des Alkohols. Das geschieht meist per Vakuum-Extraktion – dem Verfahren, das Carl Jung 1907 erfunden hat. Es ist besonders schonend, weil der Wein im Vakuum nur auf 30 Grad Celsius erwärmt werden muss, um ihm den Alkohol zu entziehen. „Das Mundgefühl ist anders“ Warum ist alkoholfreier Wein meist süßer als normaler Wein? „Beim Entalkholisieren wird deutlich, welche sensorischen Eigenschaften Alkohol mit sich bringt“, sagt der Oenologe Matthias Schmitt. Er lehrt an der Hochschule Geisenheim, wo die Wissenschaftler seit 2009 mit dem Thema befasst sind; er selbst hat sich mit entalkoholisiertem Wein in seiner Doktorarbeit be- schäftigt. „Alkohol ist nicht nur Geschmacksträger und sorgt für Fülle, sondern bringt auch eine gewisse Süße mit ins Produkt“, sagt Schmitt. Das merke man beson- ders gut bei vielen kräftigen Rotweinen: „Die sind zwar analytisch trocken, schmecken aber süß.“ Und da dem Wein beim Entalkoholisieren pro Liter ungefähr 100 Gramm Alkohol entzogen werden, wird anschließend Zucker zugefügt, um das Süßeempfinden und bekannte Mundgefühl wiederherzustellen. „Ein weiterer Grund für die Zugabe von Zucker ist, dass durch die Entalkoholisierung die Säure sehr viel stärker wahrgenommen wird“, erklärt der Oenologe. Er rät dazu, alkoholfreien Wein nicht mit normalem Wein zu vergleichen, sondern ihn als eigenständiges Produkt zu erleben und zu genießen. „Der klassische Weintrinker wird die Aromen, die er beispielsweise mit einem Spät- burgunder verknüpft, in einem entalkoholisierten Wein zum Teil wieder finden.“ Aber wenn es ums Mundgefühl gehe, müsse man einfach ehrlich sein: „Das ist ein an- deres. Wie auch eine Vollmilch ein anderes Mundgefühl hat als eine Milch mit 0,1 Prozent Fettgehalt.“ Vor allem das Thema Aromarückgewinnung beschäftigt die Geisenheimer Wissenschaftler aktuell. „Denn wir sehen, dass das Wachstumspotenzial für die Branche groß ist“, sagt Matthias Schmitt. Allerdings müsse man die Kunden mit Qualität und Exklusivität überzeugen. Drei Euro mehr pro Liter Entalkoholisierter Wein ist jedoch nicht das günstigste Produkt im Weinregal. Die Herstellung ist nicht nur geschmacklich eine Herausforderung, sie ist auch aufwändig und teuer. „Durch den Entzug von Alkohol verlieren wir rund 15 Prozent Menge“, erklärt Matthias Schmitt. Zudem kosten Transport und die Entalkoho- lisierung bei einem Dienstleister zusätzlich Geld. „Pro Liter entalkoholisiertem Wein müssen wir mindestens drei Euro Mehrkosten rechnen“, veranschaulicht Kevin Stör vom Winzerhof Ebringen den Mehraufwand. Aufgrund der Kosten hat es alkoholfreier Wein bisher nur in die gehobene Gastronomie oder Szenebars ge- schafft. Wie etwa ins Restaurant „Spielweg“ in Müns- tertal, das die alkoholfreien Weine aus Ebringen auf seiner Karte hat. Das Weingut Markgraf von Baden ist ebenfalls in der gehobenen Gastronomie vertreten: „Im ‚Ritter‘ in Durbach werden unsere alkoholfreien Weine sogar schon zu Menus empfohlen“, berichtet Volker Faust. Kann aus dem Trend ein Boom werden? Ja! Alkoholfreies Bier hat schließlich auch einmal klein angefangen. Ge- schmeckt hat es anfangs den Wenigsten, heute bestellen selbst eingefleischte Biertrinker ein Alkoholfreies, weil es sie geschmacklich überzeugt. Und für die Brauereien ist es zum Milliardengeschäft geworden. Ob entalkoholi- sierter Wein den gleichen Weg gehen wird? Es wird sich herausstellen. Daniela Santo »Alkoholfreien Wein sollte man als eigenständiges Produkt erleben und genießen.« Matthias Schmidt , Hochschule Geisenheim Bild: Hochschule Geisenheim University; Adobe Stock/Oskar

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