Wirtschaft im Südwesten - Ausgabe Juni'24 -Südlicher Oberrhein
12 IHK-Zeitschrift Wirtschaft im Südwesten 6 | 2024 LEUTE KÖPFE DES MONATS Die Bandagen- Bertram Bittel & Dieter Heyl | „CarpaStretch“ KÖPFE des Monats ACHERN. Es gibt Erfolgsgeschichten, die liegen buch- stäblich von Anfang an auf der Hand. Bertram Bittel und Dieter Heyl sind gerade dabei, die ihrige gemeinsam fortzuschreiben. Weil sie im wahrsten Sinne des Wortes den Nerv treffen. Aber dazu später. Ihre Erfolgsstory findet in genau der Branche statt, in der die sogenannte EU-Medizinprodukte-Verordnung reihenweise Unternehmen killt. Und sie schreiben sie auch noch als Gründer. Wobei – so richtig um Erfolg, Geld, Ruhm und Ehre geht es den beiden Herren aus Achern nicht. Hatten sie schon alles. Bertram Bittel war Direktor Technik und Produktion des Südwestrundfunks in Baden-Baden, Dieter Heyl unter anderem Werkleiter bei Mercedes-Benz in Malaysia beziehungsweise Leiter Qualitätsmanagement Daimler Chrysler in Indien. Der eine hatte als Teamchef der ARD viele Leute im Einsatz, wenn die Übertragung der Fußball-WM in Südafrika oder Brasilien funktionieren sollte. Der andere baute in Asien ein ganzes Montagewerk auf. Sie sind 71 (Bittel) und 66 (Heyl) Jahre alt, beide sind sie Ingenieure. Ein wenig spät dran für ein Start-up vielleicht. Aber dafür sind sie beseelt von dem, was sie tun: Menschen vor Operationen bewahren und von Schmerzen befreien. Im ehemaligen Fitnessraum von Dieter Heyl mitten in einem Acherner Stadtteil befinden wir uns im Chef- büro-Besprechungsraum-Marketingabteilung-Car- pastretch-Universum. Sorgfältig beschriftete Kartons lagern hier, Präsentationskoffer, Messe-Ausstattung, Besprechungs- und Schreibtisch stehen da. Wie aus dem Off kommend, liegt gleich zu Beginn des Inter- views ein medizinisches Handmodell vor Dieter Heyl – und er erklärt (fast so gut wie ein Arzt oder Physio- therapeut), was der Carpastretch-Geschichte zugrunde liegt: das Karpaltunnelsyndrom. Das Anschwellen von Bindegewebe und Sehnen in der Hand, was den Karpal- tunnel verengt und einen Druck auf den Nerv ausübt, führt zu Taubheit, Prickeln, Schmerzen. „90 Prozent der Patienten landen in Deutschland auf dem OP-Tisch“, weiß Heyl. Auch ihm selbst habe das gedroht. Aber er hatte einfach keine Lust auf die chirur- gische Lösung. Der Ingenieur in ihm hat ihn angefeuert, tief ins Thema einzutauchen und eine Alternative zu finden: „Wie wir aus dem Sport wissen, lassen sich Sehnen und Bänder durch Dehnung verlängern. Also entwickelte ich eine Dehnbandage, die zur Druckent- lastung im Karpaltunnel führt.“ Die Bandage funkti- onierte. Dieter Heyl probierte es erfolgreich an sich selbst aus – und mittlerweile haben es ihm rund 4.000 Patienten gleichgetan. Patent angemeldet und erteilt! „Es ist ein unglaublich schönes Gefühl, wenn Men- schen Dankesschreiben schicken, weil sie aufgrund un- serer Erfindung keine Schmerzen mehr haben“, ist Heyl tief berührt von der Resonanz all jener, die die von ihm entwickelte Carpastretch-Dehnbandage für eine Stun- de am Tag anlegen. Allerdings: Nicht alles, was heilt, landet automatisch in Arzt- oder Physiotherapiepraxen. „Es ist in der Medizintechnikbranche sehr, sehr schwer, als Neuling mit innovativen Ideen Fuß zu fassen“, ist die Erfahrung des Duos. Und die verordnenden Ärzte sowie die bezahlenden Krankenkassen von etwas Neuem zu überzeugen, sei gerade für eine kleinere Firma ohne aufwendigen Vertrieb eine echte Herausforderung. Erst die Zuteilung einer Hilfsmittelnummer sichert CarpaStretch den Zugang zur Verordnungsfähigkeit im Bereich der gesetzlichen Krankenkassen. Bertram »In der Medizintechnikbranche als Neuling mit innovativen Ideen Fuß zu fassen, ist sehr, sehr schwer« Erfolg, Geld, Ruhm und Ehre hatten Bertram Bittel und Dieter Heyl schon – in ihrem ersten Leben. Im Ruhestand haben sie sich erfolgreich dem Kampf gegen das Karpaltunnelsyndrom verschrieben.
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