Wirtschaft im Südwesten - Ausgabe Mai'24 -Schwarzwald-Baar-Heuberg

56 IHK-Zeitschrift Wirtschaft im Südwesten 5 | 2024 Bild: Adobe Stock/ Ulia Koltyrina Im Vorfeld der IHK-Vollversammlung Schwarzwald-Baar-Heuberg im März ging es um ein heißes Eisen: Wo stehen Landes- und Bundes- regierung gerade in Sachen Bürokratieabbau? Wo geht’s hin? Und vor allem wie schnell? G ibt es nun ein Zuviel an Bürokratie – oder reduziert die Ampelregierung Regelungen, Gesetze, Normen und Vorschriften nicht vielleicht doch? Während der Bundestag einen Antrag zum Bürokratieabbau Ende November 2023 abgelehnt und die Grünen darauf ver- wiesen haben, bereits 80 Regelungen abgeschafft zu haben, hat der nationale Normenkontrollrat in seinem Jahresbericht 2023 festgestellt: Zeitaufwand und Kos- ten durch neue Gesetze sind so hoch wie noch niemals zuvor. Ja, was denn nun…?? Die Frage lässt sich am besten beantworten, wenn man Betroffene hört. Informationen aus erster Hand hat es bei zwei Impulsvorträgen mit anschließender Diskussi- on im Rahmen der IHK-Vollversammlung Schwarzwald- Baar-Heuberg im Tuttlinger Aesculapium gegeben. Produktkiller MDR Andreas Hahn, im Vorstand der Aesculap AG unter anderem verantwortlich für die Bereiche Finanzen, Controlling, IT und Qualitätsmanagement, war Gast- geber an diesem Tag und hat seine Zuhörer abgeholt, indem er sie mitgenommen hat – und zwar in die Bürokratiehölle der Medizinprodukteverordnung der Europäischen Union: „Sie hat die Dokumentations- pflicht so dramatisch erhöht, dass wir mittlerweile 50 Prozent unserer Mitarbeitenden damit beschäftigen“. Effekt? Die Produktion von manchen Instrumenten, die seit beinahe 100 Jahren im OP zur Grundausstattung gehören, wird eingestellt. Dies hat auch Thomas Butsch bestätigt, Vizepräsident der IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg und Geschäftsfüh- rer der „HEBUmedical GmbH“. Er hat aus der aktuellen Bilanz der Hersteller von Medizinprodukten zu den Aus- wirkungen der jüngsten Bürokratisierungswelle zitiert: „Bei 53 Prozent aller Produktsortimente erfolgt eine mindestens teilweise Einstellung des Vertriebs in der EU. Bei 91 Prozent der eingestellten Produkte führten Zertifizierungskosten zur Unrentabilität. 90 Prozent der befragten Unternehmen berichten von Schwierigkeiten bei der Zusammenarbeit mit benannten Stellen“. Andreas Hahn sieht die Lösung des Dilemmas pragma- tisch: „Wir müssen zurückkommen ins Vertrauen. Der Staat muss an unsere Rechtschaffenheit und Expertise glauben – und wir an den Staat“. Wer in Krisenzeiten nur weitere Untergangsszenarien an die Wand male, komme nicht weiter. Tatkraft, Mut, Impulse und in- novatives Unternehmertum könnten ihre Wirkung nur entfalten, wenn man daran glaube – und eben vertraue. Birgit Hakenjos, Präsidentin der IHK Schwarzwald- Baar-Heuberg, hat eine allgemeine Beschreibung geliefert, die erst mit Bekanntgabe ihres Entste- hungszeitpunktes schockiert hat: „Regulierungen und langwierige Verfahren liegen wie Mehltau auf der Wirtschaft und das Problem ist sicherlich nicht neu“. Birgit Hakenjos hat damit einen O-Ton des ehemaligen Wirtschaftsministers Wolfgang Clement zitiert. Aus dem Jahr 2004. Insider berichten Die Keynote-Speaker Achim Dercks, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der DIHK, und Dieter Salomon, Hauptgeschäftsführer der IHK Südlicher Oberrhein und seit September 2023 Vorsitzender des baden-würt- tembergischen Normenkontrollrats, haben von ihren Erfahrungen auf Bundes- und Länderebene berichtet. Die waren zumindest in der DIHK-Welt alles andere als berauschend: „Der im November 2023 verabschiedete Beschleunigungspakt ist in der öffentlichen Wahrneh- mung zugunsten der Diskussion um die Flüchtlingszah- len untergegangen. Und auch die Umsetzung ist sehr viel komplizierter als wir uns dies wünschen“. Hebel wie eine Vereinfachung des Fachkräfteeinwanderungsge- setzes – hier sind bis zu fünf Ministerien eingebunden – wirkten nur langsam. Eine digitale Mittelstandsrunde »Die Umsetzung des Beschleu- nigungspakts ist sehr viel komplizierter als wir uns dies wünschen« Achim Dercks Stellvertretender Hauptgeschäftsführer der DIHK, Berlin Entbürokratisierung Bitte weniger Risikominimierungs-, mehr Ermöglichungsverwaltung THEMEN & TRENDS

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