Wirtschaft im Südwesten - Ausgabe Mai'24 -Schwarzwald-Baar-Heuberg
42 IHK-Zeitschrift Wirtschaft im Südwesten 5 | 2024 UNTERNEHMEN Tipp-Kick gibt es seit 100 Jahren Kultkicker aus dem Schwarzwald Vor hundert Jahren hat der Fußball den Rasen verlassen und ist auf eine Filzmatte umgezogen. Der Anpfiff für ein Kultspiel, das aus Schwenningen um die Welt ging. VILLINGEN-SCHWENNINGEN. Das Runde muss ins Ecki- ge? Von wegen. Der Kultspruch des früheren Bundestrainers Sepp Herberger mag für ein stinknormales Fußballspiel gelten. Für die Kundschaft einer kleinen Firma aus dem Schwarzwald-Baar-Kreis ist das Spielgerät, um das sich die Welt in ihrer Freizeit dreht, ein 12-eckiges und 14-flächiges. Hinzu kommen ein grünes Filz-Spiel- feld, zwei Tore, je ein Torwart und ein Feldspieler pro Mannschaft – sowie Ehrgeiz und Geschicklichkeit. Mehr braucht es nicht, um die Herzen der Fangemeinde höher schlagen zu lassen. Tipp-Kick ist mehr als ein Tischspiel: Es gibt einen Deutschen Tipp-Kick-Verband, Bundesligen, Anekdoten, prominente Kunden. Als dem legendären Fußballlehrer Herberger 1954 mit der deutschen Fußball-Nationalmannschaft das „Wunder von Bern“ gelang, feierte das – aus heutiger Sicht – ebenfalls legendäre Spiel bereits seinen 30. Geburtstag. 70 Jahre später ist das Jahrhundert vollendet. Das Familienunternehmen, die Edwin Mieg OHG, in dritter Generation geleitet von den Cousins Mathias und Jochen Mieg, steht prächtig da. „In einem normalen Jahr“, erzählt Mathias Mieg, „produzieren wir 200.000 bis 250.000 Figuren.“ Spielfeld, Feldspieler, Torhüter, das alles gibt es in unterschiedlichsten Editionen, dazu weitere Artikel – von Miniatur-Flutlichtmasten bis zum Soundchip, der National- hymnen oder Fangesänge speichert und abspielt. Ein 1,20 Meter großer XXL-Kicker kann für 1.790 Euro bestellt werden. Cousin Jochen sagt: „Wenn wir einen Jahresumsatz von 1,5 Millionen Euro erzielen, sind wir glücklich.“ Ein fallender Torwart bringt den Durchbruch Grundlage für den Erfolg ist die im Wesentlichen unveränderte Spie- lidee von Großvater Edwin Mieg, dessen Schwarzweiß-Konterfei im Besprechungszimmer in der Dickenhardtstraße 55 in Villingen- Schwenningen neben den Porträts seiner beiden Söhne Peter und Hansjörg an der Wand hängt. „Der Großvater war als Kaufmann viel unterwegs“, erzählt Enkel Mathias. 1924 habe er – eigentlich auf dem Sprung zur nächsten Auslandsreise – in einer Ingenieurs- Zeitung von dem ausgeschriebenen Patent des Stuttgarter Tüftlers Carl Mayer gelesen. Edwin Mieg blieb, kaufte das Patent, brachte das Spiel zur Marktreife. Sein erster wichtiger Schachzug: Die zu leichten Blechfiguren rangierte der Gründer aus, stellte die Produk- tion um und ließ die Figuren aus Blei gießen. Im ersten Jahr nach Gründung verkaufte er 3.000 Spiele, 1935 schon rund 20.000. 1938 baute Edwin Mieg in der Hardtstraße 21 in Schwenningen ein erstes Fabrikgebäude, zehn Minuten Fußweg von der heutigen Firmenzentrale entfernt. Dort wurden die Kicker nun aus Zink ge- gossen. Nach dem kriegsbedingten Produktionseinbruch spielte die erwähnte WM-Elf von 1954, ohne es zu ahnen, der Firma Tipp-Kick in die Karten. „Das Jahr war der Durchbruch“, sagt Jochen Mieg. Einer der Gründe: Onkel Peter, mittlerweile Firmenchef, hatte gemeinsam mit Betriebsleiter Franz Rusch den fallenden Torwart „Toni“ entwi- ckelt, namentlich angelehnt an Nationaltorwart Toni Turek. Der aus Kunststoff produzierte Torwart kann – unverändert bis heute – auf Knopfdruck nach rechts oder links fallen. 180.000 Spiele wurden im Jahr des WM-Titelgewinns in Deutschland verkauft. Figuren gehen mit der Zeit Auch in der Folge spiegelt die Firmengeschichte die Entwicklung von Sport, Politik und Gesellschaft: Der Bestechungsskandal in der Bundesliga Anfang der 1970er-Jahre sorgte für Umsatz- einbrüche, ebenso wie das frühe Ausscheiden der Nationalelf Spielszene mit dem allerersten Tipp-Kick von 1924
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