Wirtschaft im Südwesten - Ausgabe März/April'24 -Südlicher Oberrhein

7 3+4 | 2024 IHK-Zeitschrift Wirtschaft im Südwesten N ull von zwei, drei von sechs, sieben von 18 – Fragt man Unternehmen aus der Region nach ihrer aktuellen Quote von besetzten Ausbildungsstellen für den Herbst im Vergleich zur angepeilten Zahl, so tun sich reichlich Lücken auf. Dass sie sich noch alle komplett schließen lassen werden, davon kann man wohl nicht ausgehen – im vergangenen Jahr blieben etwa in den Arbeits- agenturbezirken Freiburg und Offenburg gut 1.200 Ausbildungsplätze unbesetzt, in der Region Schwarzwald-Baar-Heuberg waren es rund 700. Und dass nach wie vor die Be- werber auf dem Lehrstellenmarkt das Sagen haben, daran wird sich auch in diesem Jahr nichts ändern. Und trotzdem, Grund zur Panik besteht längst noch nicht, darin sind sich alle Jobexperten einig. „Auf jeden Fall geht da für Unterneh- men noch einiges“, versichert Christiane Möller aus dem Be- reich Aus- und Wei- terbildung bei der IHK Südlicher Oberrhein. „Diese junge Genera- tion entscheidet sich spät, deshalb sind viele Entscheidungen noch nicht gefallen.“ Die Industrie- und Handelskammern be- obachten seit Jahren den Trend, dass Verträge immer später ab- geschlossen werden. Waren Betriebe früher schon im November, Dezember voll besetzt, „sind alle jetzt noch mittendrin“, bestätigt Miriam Kammerer, stellvertretende Ge- schäftsbereichsleiterin Bildung und Prüfung bei der IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg. Ei- nige größere und kleinere Ausbildungsbör- sen (Termine siehe Kasten Seite 10) stün- den noch an, „so dass die Arbeitgeber gute Chancen haben, bis zum Sommer noch den einen oder anderen Jugendlichen für sich zu gewinnen, bevor es dann ruhiger wird.“ Hinters Rolltor blicken lassen Das bedeutet aber auch, dass Unternehmen jetzt noch mal alles in die Waagschale werfen müssen, was sie an Engagement aufbringen können. Das A und O: den Jugendlichen Einblicke anbieten, regelrecht aufdrängen – in welcher Form auch immer. „Viele Jugend- liche können sich unter den verschiedenen Berufen gar nichts vorstellen. Worin unter- scheiden sich zum Beispiel die ganzen Me- tallberufe? Sind diese Unterschiede maßgeb- lich für die Jobentscheidung? Was bietet der Beim Hermle tiktokt‘s 2,2 Millionen Klicks, 2.400 Kom- mentare – und das für ein einziges Video. Thema: Wie wurdet ihr zum Ausbildungsstart von euren Kollegen verarscht? „Ich habe mir von unserer Agentur sagen lassen, dass man eine solche Resonanz sonst nur bekommt, wenn man dafür bezahlt“, berichtet Udo Hipp, Marketingleiter bei Hermle, nicht ohne Stolz. Seit drei Jahren bespielt der Fräsmaschinenhersteller mit Sitz in Gosheim seinen Tiktok-Kanal – und ist damit ausge- sprochen erfolgreich. Oder vielmehr seine Auszubildenden sind es. „Wir haben uns vor drei Jahren gefragt, wie erreichen wir Sechst- und Siebtklässler zur Berufsorientierung. Jobmessen et cetera macht ja jeder. Die Antwort unserer Azubis nach ihrer Hauptinformationsquelle war Tiktok.“ Seither postet der Hermle-Nach- wuchs einmal pro Woche ein kurzes Video – mal mit Juxinhalten, aber sehr viel öfter auch mit fachlichem Input. „Die Azubis erklären unsere Maschinen und Prozesse ganz anders als wir vom Marketing.“ Das kommt an. Der Hermle-Kanal hat mittlerweile fast 49.000 Follower, 860.000 Likes. „Ab einer gewissen Größe beschleunigt sich das dann von selbst“, sagt Hipp. Die Jugendlichen erarbeiten regelmäßig ein Dutzend Themenvorschläge, die Marketingkollegen wägen kurz ab, was machbar ist und was nicht, bevor eine Agentur – die dafür jüngst einen renommierten Branchenpreis abräumte – kleine Storyboards entwirft und mit den Jugendlichen loslegt. „Unser Ziel mit dem Kanal und mit allen anderen Marketingaktionen ist, interessierte junge Leute für ein Praktikum zu gewinnen. Wenn sie dann mal bei uns waren, steigt die Chance ganz exorbitant, dass sie sich bewerben.“ 30 bis 40 Azubis sucht Hermle pro Jahr. „Die haben wir bislang auch immer gut zusammenbekommen, aber der Aufwand wird jedes Jahr größer“, stellt Udo Hipp fest. uh In Teilzeit beim FSR Team Zu seiner ersten Teilzeitauszubildenden – seiner ersten Auszubildenden überhaupt – kam Marco Chiarito (l.) vor einigen Jahren eher wie die Jungfrau zum Kinde. Er betreibt in Konstanz und Singen die FSR Team Fahrschule und die Anfra- ge einer damaligen Fahrschülerin überraschte ihn. Aber warum eigentlich nicht, sagte sich Chiarito, machte den Ausbilderschein und los ging’s für die junge Mutter als Auszubildende in Teilzeit zur Kauffrau für Büromanagement. 30 Stunden pro Woche inklusive Berufsschule. „Das hat damals sehr gut zum Arbeitsvolu- men bei uns gepasst“, sagt Chiarito, der sich auch im Berufsbildungsausschuss der IHK Hochrhein-Bodensee engagiert. „Und wenn es partout mal Betreuungsengpässe mit den Kids gab – was sehr selten vorkam – dann konnten die einfach mit ins Büro kommen“, berichtet er und betont ein ums andere Mal die guten Erfahrungen, die er mit der Teilzeitausbildung von nunmehr zwei jungen Müttern gemacht hat: „Das sind gestandene Frauen, mit mehr Lebenserfahrung und vor allem mehr Verantwortungsbewusstsein als es eine 15- oder 16-Jährige hat“, wie er inzwischen aus eigener Erfahrung weiß. Motivierter, besser organisiert, zuverlässiger. „Ich kann das nur jedem Unternehmer, der die Möglichkeit dazu hat, empfehlen“, rät er. Und warum tun es bislang so wenig? „Weil sie zum einen möglicherweise mehr Fehltage wegen der Kinder befürchten – was gar nicht gesagt und vor allem unfair ist“, vermutet Marco Chiarito. „Zum anderen glaube ich, dass viele Betriebe diese Möglichkeit gar nicht kennen – das aber dringend ändern sollten“, so sein Urteil. Beide Mitarbeiterinnen sind sei- nem Unternehmen übrigens treu geblieben und haben zur Fahrlehrerin aufgesattelt. uh Es muss nicht immer dienstlich sein, um tausendfach geteilt zu werden: Hier posten die Hermle-Azubis ihre Unterstützung für den Kinderkrebstag via goldener Schleife. »Da hilft kein Jammern. Von selbst kommen die Jugend- lichen nicht auf einen zu. Man muss sich um sie bemühen«

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