Wirtschaft im Südwesten - Ausgabe Februar'24 -Südlicher Oberrhein
7 2 | 2024 IHK-Zeitschrift Wirtschaft im Südwesten H ier sind Freundschaften entstanden, die man draußen nicht gefunden hätte.“ „Wir gehören alle zusammen.“ „Momente der Ewigkeit pas- sieren hier jeden Tag.“ Mitarbeiter des Universitätskli- nikums Freiburg sprechen große Worte gelassen aus, derweil sie in schwindelnder Höhe auf einem Stahlträger über dem Klinikgelände balancieren. Der vierminütige Youtube-Spot lehnt sich an das berühmte Foto „Mittags- pause auf einem Wolkenkratzer“ an, das 1932 während des Baus des Rockefeller Center in New York aufgenom- men wurde. Kleiner Unterschied: Anders als die Arbeiter auf dem Original lassen die Ärzte, Pflegekräfte, Werk- statt- und Verwaltungsmitarbeiter ihre Beine nicht in den Abgrund, sondern in eine Videotapete baumeln – ganz ungefährlich. Der Spot läuft auf dem klinikeigenen You- tube-Kanal. Das Klinikum stellt sein Pflegepraxiszentrum vor, berichtet aus dem Alltag in der Notfallmedizin oder lässt 100 Mitarbeiter auf dem Stahlträger emotionale „Momente für die Ewigkeit“ schildern. Der Kanal soll für gute Stimmung in der Belegschaft und Interesse bei Jobsuchern sorgen – und im Idealfall auch für Verständnis bei Patienten, die sich im hek- tischen Krankenhausbetrieb zurechtfinden müssen. „Am Universitätsklinikum Freiburg steht die Weiter- entwicklung der qualitätszentrierten universitären Spit- zenmedizin im Fokus. Um dieses Ziel zu unterstützen, gibt es zahlreiche interdisziplinäre und interprofessi- onelle Projekte, die die strategischen Schwerpunk- te Mitarbeitendenorientierung, Digitalisierung sowie Nachhaltigkeit fördern“, sagt Jasmin Lay, die Leiterin der Stabsstelle Strategische Personalentwicklung. Zufriedene Mitarbeiter seien erforderlich, „um den vielschichtigen Wandel und das Zusammenwachsen zu unterstützen“. Lays fünfköpfige Stabsstelle ist direkt beim Vorstand des Klinikums angesiedelt und steuert Projekte zu Führung, betrieblichem Gesundheitsma- nagement, Familienfreundlichkeit und Rekrutierung. Über reines Recruiting hinausdenken Personalthemen haben für die Unternehmen strate- gische Bedeutung, wie die Standortumfrage der IHKs in der Region im vergangenen Jahr zeigt (siehe WiS- Ausgabe 7/8-2023): Die Verfügbarkeit von Arbeits- kräften ist mit einer Relevanz von 83 Prozent einer der wichtigsten Standortfaktoren. Die Unternehmen sehen hier allerdings große Defizite. Für die Verfügbar- keit von zum Beispiel technischen Fachkräften geben sie nur die Note 3,81, für potenzielle Azubis fällt die Einschätzung kaum besser aus. Über die Jahre ist die Arbeitskräfteversorgung in der Region immer diffiziler geworden. „Als eines der national führenden Industrie- und Exportländer hat Baden-Württemberg eine große Anziehungskraft für Bewerber – das bedeutet für kleine und mittelständische Unternehmen aber oft eine Kon- kurrenzsituation mit den ansässigen Big Playern“, sagt Ivana Baumann, Personalchefin des Beratungs- und Softwareanbieters „HRworks“ in Freiburg. Doch die Herausforderungen für Unternehmen – und ihre Personalabteilungen – gehen darüber hinaus. Es geht nicht allein darum, Fachkräfte zu gewinnen. Vielmehr müssen Unternehmen – große wie kleine – grundlegen- de gesellschaftliche Entwicklungen in die Arbeitswelt übersetzen. Beispiele sind veränderte Lebensmodelle, die Beruf und Privates neu austarieren, die zunehmen- de kulturelle Diversität und die höhere Wechselbereit- schaft der Beschäftigten. Hinzu kommen technologi- sche Trends, etwa Digitalisierung, Big Data, künstliche Intelligenz oder Elektromobilität und die Energiewende, die ganze Industrien umkrempeln. Nicht zuletzt sorgen tarifpolitische Themen für Druck – demnächst zu be- obachten bei einem Modellversuch zur Einführung der Vier-Tage-Woche in bundesweit rund 50 Unternehmen. Oft herrscht noch ein falsches Bild Wer stemmt die Transformation? Bei dieser Frage weisen viele Firmeninhaber auf ihre Personalabtei- lung – ohne sich bewusst zu sein, dass eine solche Rollenverteilung mehr Ressourcen für HR erfordert. Gerade mal 39 Prozent der Personalleiter, die das Personalsoftware-Unternehmen Sage im vergange- nen Jahr für eine Studie befragte, glauben, dass die Mitarbeiter tatsächlich wissen, was HR leistet. „Leider werden Personalabteilungen zu oft noch als Verwalter anstatt als Gestalter wahrgenommen“, be- stätigt Ivana Baumann von HRWorks. „Dabei kann eine starke und engagierte HR-Abteilung als treibende Kraft für positive Veränderungen fungieren und sicherstel- len, dass Personalaspekte von Anfang an in die stra- tegische Ausrichtung des Unternehmens einbezogen werden. Es ist an der Zeit, dass HR-Verantwortliche als strategische Partner anerkannt werden, die dazu beitragen, eine positive Arbeitskultur zu schaffen und das volle Potenzial der Mitarbeiterinnen und Mitarbei- ter auszuschöpfen“, fordert Ivana Baumann. „Denn zu- friedene Mitarbeiter sind die Grundlage für langfristig erfolgreiche Unternehmen.“ Dass sich der Aufgabenbereich von Personalern in den vergangenen fünf Jahren bereits massiv verändert hat, darüber ist man sich einig. In der Sage-Studie „HR im Wandel – Ausblick auf 2024“ aus dem Jahr 2023 teilten 91 Prozent der befragten Personalleiter und 96 Prozent der Geschäftsführer – also nahezu alle – diese Ein- schätzung. Auf Schnelligkeit, Agilität und Anpassungs- fähigkeit sei HR heute ausgerichtet, urteilte das Gros der Geschäftsführer und Personalleiter. Und immerhin „ »Unsere Mitarbeiterinnen im Bereich Recruiting haben sich zu reinsten Vertriebsexperten entwickelt« Damaris Götz Leitung Personal bei der Christian Funk Holding, Offenburg »Jüngere Branchen wie ITK tun sich leichter mit neuen Wegen im Bereich Personal« Olaf Rank Direktor des Instituts für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Freiburg Bild (linke Seite): Adobe Stock/deagreez, Bearbeitung: Freiburger Druck Eine strategische Personalplanung leistet sich rund die Hälfte aller deutschen Unternehmen (54 Prozent) Quelle: Studie der Deutschen Gesellschaft für Personalfüh- rung (DGFP) u.a. unter rund 1.100 Personalern, 2023/24
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