Wirtschaft im Südwesten - Ausgabe Februar'24 -Südlicher Oberrhein
52 IHK-Zeitschrift Wirtschaft im Südwesten 2 | 2024 PRAXISWISSEN Herr Kopeter, was bewegt uns eigentlich dazu, etwas zu kaufen? Harald Kopeter: Man muss unterscheiden, was man kauft. Da sind die Produkte des täg- lichen Bedarfs und der klassische Konsum. Erstaunlich ist, dass unsere Urgroßeltern 56 Dinge besessen haben, wir besitzen durch- schnittlich über 10.000 Dinge – und kaufen im- mer noch. Dabei geht es nicht ums Brauchen, sondern ums Gönnen. Oder dort draußen ist jemand, der mir eine gute Geschichte erzählt, warum ich das brauchen kann. Menschen kau- fen aber nicht immer das beste Produkt, sie kaufen das Produkt, das sie am besten ver- stehen. Was bedeutet es, ein Produkt zu verstehen? Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Früher wurden Handys mit einer dicken Betriebsanleitung geliefert. Dann kam das iPhone, ohne Ge- brauchsanleitung. Weil das iPhone intuitiv verstanden wurde. Viele Firmen hören ihren Kunden zwar zu, aber nicht um zu verstehen, sondern um direkt zu antworten. Das hat Apple-Chef Steve Jobs anders gemacht, er hat den Menschen zugehört, um zu verstehen. Was braucht der Kunde, damit er sich zum Kauf entscheidet? Inform, guide, hype and entertain me – in- formiere, führe, inspiriere und unterhalte mich – das ist es, was die Menschen wollen. Nach diesen Kriterien suchen wir auch auf Google. „Werbung für ein neues Auto“ würde wohl niemand als Suchbegriff eingeben, denn so funktionieren wir einfach nicht. Ist das bei den Betrieben angekommen? Jein. Es gibt noch viele Unternehmen, etwa in der Telekommunikation, die schütten uns mit Werbung zu. Wir sind täglich zwischen 5.000 und 10.000 Werbebotschaften aus- gesetzt. Wer kann sich erinnern, jemals auf einen solchen Werbebanner geklickt zu ha- ben? Wohl kaum jemand, denn die Klick-Rate liegt momentan bei 0,01 bis 0,1 Prozent. Die Krux ist: Immer mehr Budget wird da reinge- pulvert, aber immer weniger wirkt es. Vor allem kleinere Unternehmen müssen da den eben beschriebenen Inform-guide-hype-entertain- me-Weg gehen. Warum funktioniert die Kundenansprache mit Storytelling so gut? Weil wir das so gelernt haben. Schon in frü- hen Zeiten saß man am Lagerfeuer und hat Geschichten gelauscht, etwa darüber, wie je- mand ein Tier erlegt hat. Auch Kindern erzählt man Geschichten. Sitzt man mit Freunden im Café, heißt es oft „Stell Dir vor, was ich erlebt habe …“. Und genauso kann ich als Unter- nehmer Geschichten erzählen. Das kann der Empfänger, also der Kunde, einfach viel besser verarbeiten. Aus der Kognitionspsychologie weiß man, dass Fakten in Geschichten ver- packt 22 mal besser wahrgenommen werden als pure Informationen. Was braucht es für ein gutes Storytelling? Wichtig ist, wer die Geschichte erzählt. Es gibt nichts Schlimmeres als Anonymität. Nehmen wir das Beispiel Tesla. Der beste Autoverkäufer ist Elon Musk, weil er selbst spricht. Menschen wollen wissen, mit wem sie es zu tun haben. Das wird selbst in der KI-unterstützten digita- len Welt immer so bleiben. Als Unternehmen muss man sich auch positionieren und für etwas Spezialist sein. Wenn man Schmerzen im Knie hat, empfiehlt auch niemand einen All- gemeinmediziner, sondern den Knie-Experten. Wesentlich ist auch, sich auf einen Kanal zu fokussieren. Immer noch glauben viele, sie müssten Facebook, Instagram und Co. auf einmal bedienen. Nein! Wirf 150 Prozent in einen Kanal, dann wirst Du auch auffallen und erfolgreich sein. Und bleib dabei! Zudem sind Menschen enorm wichtig. Nicht nur der Unternehmer selbst, sondern auch Kunden, Mitarbeiter und Lieferanten können Multipli- katoren sein. Storytelling ist darüberhinaus Long-Term-Marketing: Du erzählst nicht heute eine Geschichte und morgen stürmen die Kun- den Deinen Laden. Es braucht Zeit. Welche Rolle spielt die Sicht des Kunden? Kommen wir wieder zurück zu inform, guide, hype and entertain me. Unternehmen müs- sen sich immer fragen: Was will der Kunde und wonach sucht er in diesem Moment? Und genau in diesem Augenblick muss ich präsent sein, um seine Fragen zu beantworten. Noch immer denken manche Betriebe, sie dürfen nichts verraten. Aber da draußen gibt es kein Geheimwissen mehr, ich muss derjenige sein, der die Fragen des Kunden beantwortet und ihm das geben, wonach er sucht. Je länger sich jemand mit meiner Website beschäftigt, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass er bei mir kauft. Somit ist Aufmerksamkeit das höchste Gut, das wir haben. Welche Fallen gibt es beim Storytelling? Das Schlimmste ist: Gar nicht erst damit an- fangen oder einfach wieder aufhören. Denn der Mitbewerber ist nur einen Mausklick ent- fernt. Oft verlieren Betriebe mögliche Kunden nicht an die Konkurrenz wegen günstigerer Preise, sondern weil sie unsichtbar sind. Kun- den möchten sich vor dem Kauf informieren, anrufen oder eine Mail schreiben. Dazu müs- sen sie Dich aber finden. Wenn Du nicht prä- sent im Netz bist, hilft es auch nichts, wenn Du das bessere Produkt hast. Ein Mal eine Geschichte erzählt und gut? Nein, weil wie schon gesagt, ist Storytelling ein auf lange Sicht angelegtes Marketing. Das heißt aber nicht, dass ich den ganzen Tag mit dem Handy rumlaufen und ständig irgendwelche Videos posten muss. Ich muss einfach sinnvolle Inhalte produzieren und im- mer wieder anschauen, welche Fragen sich die Kunden stellen und darauf antworten. Und das regelmäßig. Ich sage immer: nach dem Tchibo-Prinzip, wo es jede Woche an einem bestimmten Tag eine neue Welt gibt. Genau- so muss ich es mit dem Storytelling machen, einen Rhythmus haben, der zum Unternehmen passt – sei es wöchentlich, vierzehntägig oder monatlich. Daniela Santo HARALD KOPETER ... ist Unternehmer, Buchautor und Spea- ker. Der Grazer ist Experte für Storytelling und Storymarketing sowie für nachhaltige Geschäftskunden-Akquisition. Vor Kurzem erschien sein Buch „Was du nicht verkaufst, verkaufen die anderen“ (Verlag Gabal, 208 Seiten, 28 Euro (Print), 25,99 Euro (E-Book)). Harald Kopeter ist E-Commerce- und Social-Media-Experte. Er weiß, wie man Kunden gewinnt – und sie auch bei der Stange hält. Storytelling ist dabei der Schlüssel zum Erfolg. Wie Unternehmen Aufmerksamkeit schaffen » Wir lieben Geschichten « Bild: Gerlinde Mörth
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