Wirtschaft im Südwesten - Ausgabe Februar'24 -Südlicher Oberrhein

49 2 | 2024 IHK-Zeitschrift Wirtschaft im Südwesten oben. Hier sind die Kosten im Durchschnitt um 111 Prozent gestiegen. Die für den Marktzugang erforderliche Zusammenar- beit mit Benannten Stellen (staatlich ernannte Prüfstel- len zur Überprüfung der Konformität von Medizinpro- dukten, Anm. d. Red.) stößt laut Befragung ebenfalls auf erhebliche Hindernisse. Die Unternehmen ver- zeichnen durchschnittliche Kostensteigerungen von 124 Prozent bei Einbindung einer Benannten Stelle. In 91 Prozent der Fälle sind es die kompletten Zerti- fizierungskosten, die den Ausschlag geben, Medizin- produkte vom EU-Markt zu nehmen. Gerade Nischen- produkte mit einem kleinen Absatzmarkt können nicht mehr wirtschaftlich ver- marktet werden. Auch die Dauer der Verfahren ver- längert sich für viele Betriebe drastisch. Bei 37 Prozent der Unternehmen ist die Verfahrensdauer sogar drei- mal so lange wie vor der MDR. In der Folge verzögert sich die Bereitstellung der Produkte massiv. Viele Unternehmen weichen in die USA aus Angesichts dieser Entwicklungen mahnt Achim Dercks, stellvertretender DIHK-Hauptgeschäftsführer: „Die Po- litik muss die Wettbewerbs- und Innovationskraft der mittelständisch geprägten Medizintechnik-Branche er- halten und stärker in den Blick nehmen. Das wäre auch wichtig für die zuverlässige Gesundheitsversorgung in der EU.“ Diese Entwicklung berge zugleich Zündstoff für weitere gesellschaftliche Debatten – auch, weil die EU damit nicht mehr unbestrittene Nummer 1 bei Neuzulassungen ist: Mehr als jedes fünfte Unterneh- men weicht mit medizintechnischen Innovationen auf andere Märkte aus – meistens in die USA. „Diese Ergebnisse halten der EU den Spiegel vor“, findet Julia Steckeler, Geschäftsführerin der Medical Moun- tains GmbH. „Wenn die USA aufgrund der schnelleren Zulassungsverfahren sowie planbarer Kosten und ver- lässlichen regulatorischer Anforderungen den Vorzug erhalten, ist ganz klar, woran gearbeitet werden muss.“ Das System weise noch zu viele Baustellen auf. Martin Leonhard, Vorsitzender der Medizintechnik bei Spectaris, ergänzt: „Für die Industrie und die Pa- tienten ist jetzt das Handeln der Politik gefordert“. Deutschland und die gesamte EU drohe abgehängt zu werden – einerseits im internationalen Wettbewerb, andererseits bei der Versorgung mit innovativen, aber auch speziellen und bewährten Medizinprodukten. Die Sirenen können lauter nicht sein, „wenn drei von vier Unternehmen angeben, dass sich die MDR negativ auf die Innovationsaktivitäten auswirkt“, so Leonhard. In fast 20 Prozent der Fälle gibt es nach Angaben der teil- nehmenden Unternehmen für die eigenen gestrichenen Produkte keine gleichwertigen Alternativen am Markt. Für Anwender und Patienten außerhalb der EU bleiben viele dieser Medizinprodukte jedoch weiterhin verfügbar. So vertreiben 58 Prozent der Unternehmen, die Produkte in der EU einstellen, diese weiterhin in Ländern außer- halb der EU – vornehmlich in den USA. Hohe Kosten machen Betrieben zu schaffen Gerade die Situation der vielen kleinen Unternehmen ist besorgniserregend. Diese Unternehmen haben in der Regel weniger finanzielle und personellen Ressour- cen zur Verfügung. Achim Dercks: „Unter dem Dauer- druck droht die mittelständisch geprägte Branche von der Basis her zu erodieren.“ 70 Prozent der Betriebe mit bis zu 49 Beschäftigten machen die hohen Zertifi- zierungskosten zu schaffen. In den Erwägungsgründen der MDR werde zwar ausdrücklich erwähnt, dass auch die Belange kleinerer und mittlerer Unternehmen zu berücksichtigen seien, aber „die Realität zeigt ein an- deres Bild“, so Dercks. Mit der Bilanz gehen DIHK, Spectaris und Medical Moun- tains GmbH nun in den weiteren politischen Dialog. „Die Zahlen müssen Brüssel nun zum schnellen Handeln brin- gen und kurzfristig zu pragmatischen, grundlegenden Schritten führen“, fordern die Initiatoren. Aussitzen sei keine Option mehr: Gingen Medizinprodukte sowie For- schungs- und Entwicklungskompetenzen erst einmal verloren, könnten sie nur unter größten Mühen, wahr- scheinlich aber gar nicht mehr zurückgeholt werden. DIHK/Medical Mountains/Spectaris DIE AUFTRAGGEBER DER STUDIE Die DIHK ist die Dachorganisation der Industrie- und Handelskammern in Deutsch- land. Sie bündelt die Interessen der Unternehmen und vertritt diese gegenüber Politik und Verwaltung. Die Medical Mountains GmbH mit Sitz in Tuttlingen vernetzt und unterstützt alleAkteure der Medizintechnikbranche und vertritt deren Interessen auf Bundes-, Landes- und europäischer Ebene. Spectaris – Deutscher Industrieverband für Optik, Photonik,Analysen- und Medizintechnik hat seinen Sitz in Berlin. Der Verband vertritt 400 überwiegend mittelständische deutsche Unternehmen. Bild (Porträt): Werner Schuering In mehr als jedem zweiten Produktportfolio werden Produkte vom Markt genommen unter www.medicalmountains.de/mdr_studie_2023 Lesen Sie auch: www.wirtschaft-im-suedwesten.de/ themen-trends/das-wird-die-unternehmenslandschaft- veraendern »Die Politik muss die Wettbewerbs- und Innovationskraft der mittelständisch geprägten Medizintechnik- Branche erhalten« Achim Dercks stellvertretender DIHK-Hauptgeschäftsführer

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