Wirtschaft im Südwesten - Ausgabe Juli/August'23 -Südlicher Oberrhein
47 7+8 | 2023 IHK-Zeitschrift Wirtschaft im Südwesten aus dem Bauch heraus das Leben einfacher zu machen, im Fachjargon Heuristiken genannt. Die- se mentalen Abkürzungen führen dazu, dass wir falsche Entscheidungen treffen. Deshalb benötigen wir alle – von der Führungskraft über die Mitarbeiter bis zu den Azubis und in den Schulen – mehr Befähigung, um mit diesen Werk- zeugen und ihren Einschränkungen umzugehen. Kern: A Fool with a tool is still a fool. – Tatsäch- lich werden Weiterbildung und Reskilling die ganz entscheidenden Faktoren in den nächsten Jahren sein. Nach einer Studie des World Economic Fo- rums müssen weltweit die Hälfte aller Mitarbeiter neue Fähigkeiten lernen. Ein Zehntel sogar mit einem Lernbedarf von mehr als einem Jahr. Wie holt man sich KI-Kompetenz ins Haus? Kern: Beispielsweise über externe Weiterbildung. An der DHBW bieten wir einen neuen Bachelor „Data Science und Künstliche Intelligenz“ an. Bilden Sie ein, zwei Nachwuchskräfte entsprechend aus und holen Sie sich so Wissen rein. Löffler: Es können auch KI-Anwendungen in die Ausbildung eingebaut werden. Man lässt Azubis einen Sachverhalt mit ChatGPT vorberei ten und sie prüfen das Ergebnis anschließend auf Herz und Nieren. So zeigt man die Möglichkeiten und die Grenzen der Tools auf und trainiert den verantwortungsvollen und unternehmenskonformen Umgang. Beule: Die IHKs bieten mit diversen Formaten Orientierung, vor allem für die Führungsebene. Denn wichtig ist, dass sich auch die Unterneh mensspitze entsprechend informiert und fortbildet. Das Management muss verstehen, wo KI dem Betrieb helfen kann und wo nicht. Diese Einschätzung darf den Chefinnen und Chefs niemand abnehmen. Von Urheberrecht über Datenschutz bis zu Betriebsgeheimnissen, rund um ChatGPT gibt es noch viele offene Fragen und Kritik … Beule: Ich würde auch noch die ethische Komponente hinzunehmen. Wie viel wollen und dürfen wir uns von KI abnehmen lassen? Ich würde beispielsweise nie von ChatGPT ein Zeugnis schreiben lassen, weil die Beurteilung für den Mitarbeiter lebensbestimmend sein kann. Das wäre verantwortungslos. Die Diskussion zu diesen Punkten müssen wir führen – und zwar auf allen Ebenen, im Unternehmen wie in der Gesellschaft. Firmen müssen sich bewusst Regeln geben, wie und wann KI zum Einsatz kommt und womit sie gefüt- tert werden darf. Und wenn das geregelt ist, dann muss es auch in Ordnung sein, dass man ChatGPT benutzt. Kein Naserümpfen mehr. Wie nähert man sich als ChatGPT-Anfänger dem Ganzen konkret? Löffler: Einfach anfangen. Die App herunterladen, anmelden und ausprobieren. Stellen Sie dem Tool vielleicht eine Aufgabe, die Sie in letzter Zeit be- schäftigt hat, in einem Bereich, in dem Sie sich gut auskennen, um die Ergebnisse beurteilen zu können. Und dann über ergänzende Fragen nach- bohren, nachschärfen. Man muss die Ergebnisse ja nicht 1:1 übernehmen. Aber es bleibt immer etwas hängen, was sich nutzen lässt. Und sei es nur zur Inspiriation. Das Entscheidende ist, sich auf den Weg zu machen. Künstliche Intelligenz beschäftigt die Unternehmen 91% 9% Ja Nein Frage: Machen Sie sich bereits Gedanken, welche Prozesse digitalisiert oder durch eine KI ersetzt werden können? Vor allem für Texte und zur Recherche geplant Frage: Für welches Tätigkeitsfeld denken Sie über KI nach? Anzahl der Nennungen (Mehrfachantworten möglich) Um Texte zu verfassen/korrigieren Zur Recherche/ als „Google“-Alternative Zum Programmieren Zur Datenanalyse/Formel- anwendung z.B. in Excel Für Zeitmanagement/ Terminpriorisierung Um Ideen zu sammeln Sonstiges 17 15 9 11 5 13 9 »Die Betriebe müssen sich Regeln geben« Emmanuel Beule Referent Digitale Unter- nehmensentwicklung, IHK Südlicher Oberhein »Der Weiter- bildungsbedarf wegen KI wird enorm sein« Johannes Kern Professor für Digital Business Management an der DHBW Lörrach Ihr Fazit? Kern: Ich bin sicher, mittelfristig wird KI unsere Erwartungshaltung an Arbeit völlig verändern. Der Einsatz von KI wird zur Normalität. Dann leistet ChatGPT die Vorarbeit und erst im Anschluss setzt die eigentliche Denk- und Wissensarbeit an, die dann aber sehr viel an- spruchsvoller und hochwertiger sein wird. Das wird sehr schnell an den Punkt führen, dass man produktiv nicht wird mithalten können, wenn man auf ihren Einsatz verzichtet. Löffler: In jedem Fall ist es keine gute Idee, das Thema aussitzen zu wollen. Der akute Hype flaut vielleicht etwas ab, aber KI wird nicht einfach wieder weg gehen. Mein Tipp: Austauschen. Mit Kollegen aus anderen Branchen. Mit Kunden oder Lieferanten. So entstehen Ideen, welche Prozesse sich mit KI effizienter gestalten lassen könnten. Beule: Die Unternehmen stehen aktuell vor einer Vielzahl von Her- ausforderungen. Ich nenne mal nur die Stichworte Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Fachkräftemangel, neue Anforderungen an Führung und die Suche nach Antworten auf die Energie- und Lieferengpässe. Wir müssen neue Lösungen für die Spannungsfelder in unserer Arbeitswelt finden – und KI kann ein Bestandteil davon sein. Interview: Ulrike Heitze
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