Wirtschaft im Südwesten - Ausgabe Juni'23 -Südlicher Oberrhein

9 6 | 2023 IHK-Zeitschrift Wirtschaft im Südwesten Edeka Baur, Konstanz Es braucht ein gutes Team Mit der Zeit bekommt man ein bisschen Routine, stellt Sabine Seibl , Geschäftsführerin der Edeka-Frischemärkte Baur, fest und meint vor allem den Papierkram beim Beschäftigen von Mitarbeitern mit Behinderung. „Ansonsten bleibt jede Stellenbesetzung eine ganz individuelle Sache. Wir führen ein Bewerbungsgespräch mit dem Kandidaten und dem Maßnah- menträger und starten dann für ein, zwei Wochen in ein Praktikum, um zu schauen, wie die Person gestrickt ist und welche Tätigkeit zu ihren Fähigkeiten passt.“ Vom Regalauffüllen über die Obst- und Ge- müseabteilung bis zur Kasse und sogar der Frischebedientheke, vieles ist in den 13 Edeka-Märkten möglich. „Es kommt darauf an, wie das Handicap ausfällt“, erklärt Julia Holzinger-Keller , Leiterin der Personalentwicklung. Manche können mit Kunden, andere bleiben lieber hinter den Kulissen. Auf das Praktikum folgt in der Regel ein Langzeitpraktikum, das zumeist in einer Festanstellung mündet. Von den rund 840 Edeka-Mitarbeitern haben mehrere Dutzend ein Handicap. „Wir sehen Inklusion als soziale Verpflichtung“, stellt Seibl fest. Den Kunden gegenüber – seit März bietet man in den Märkten „stille Einkaufsstunden“ für geräusch- und kontaktempfindliche Menschen an –, aber auch intern. „Ein Signal an die Mitarbeiter, dass uns Toleranz und Vielfalt wichtig sind.“ Das Commitment der Teams, so betont Holzinger-Keller, sei von großer Bedeutung, damit Inklusion klappen kann. „Speziell im Handel sind wir darauf angewiesen, dass die Mitarbeiter das mittragen, weil es schon Arbeit ist, die neuen Kollegen in den einzelnen Bereichen zu integrieren.“ Inklusion erfordere eben auch Rücksichten. „Wir haben Teams, die sind begeisterungsfähiger als andere und nehmen jeden, so wie er ist“, ergänzt Seibl. Andere seien weniger offen für Veränderungen. Unterm Strich erkennt Sabine Seibl aber auch hier eine zunehmende Routine: „Je mehr Erfahrungen die Kollegen mit gehandicaptem Mitarbeitern haben, desto geübter und toleranter werden sie im Umgang.“ uh listisch sein, bei dem, was er schaffen kann, und der Betrieb muss für sich prüfen, ob ihm das weiterhilft. Wenn es nicht passt, passt es nicht.“ Solche Stellenbesetzungen brauchen stets eine individuelle Betrachtung. Fixe Jobbe- schreibungen sind eher hinderlich, je flexibler ein Arbeitgeber agieren kann, desto besser. Das alles müssen inklusionswillige Firmen aber auf gar keinen Fall allein stemmen, das ist al- len Gesprächspartnern – von IFD und EAA bis zur Agentur für Arbeit – wichtig zu betonen: „Ein Unternehmen wird nie allein gelassen. Es wird immer Hilfe haben,“ erklärt Susanne Müller, Berufsberaterin im Team berufliche Rehabilitation und Teilhabe der Agentur für Arbeit Rottweil-Villingen-Schwenningen, ener- gisch. Egal, ob es sich um Ausbildungs- oder Arbeitsplätze dreht, die Experten helfen bei der Einschätzung, ob und welche Form von Beschäftigung für den Behinderten im Betrieb passen kann. Sie unterstützen bei der Vermitt- lung von Fördermitteln und auch dann, wenn das Arbeitsverhältnis mal nicht rund läuft oder sogar eine Auflösung im Raum steht. Auch Kündigung ist möglich Ein weiterer Mythos, der wohl manche Unter- nehmen vom Einstellen gehandicapter Bewer- ber abhält: die Vorstellung von der Unkünd- barkeit. Das stimmt so nicht, erklärt Stefan Listl von der EAA: „Auch ein Mitarbeiter mit Behinderung ist kündbar, wenn dem Betrieb die Weiterbeschäftigung – kontextabhängig – nicht mehr zuzumuten ist. Der Unterschied ist, dass die Kündigung beim Integrationsamt zu beantragen ist.“ Es gehe nicht darum, ein Schmolck GmbH & Co. KG, Emmendingen Austesten, was geht und was nicht Wenn Michael Gleichauf von seinem Auszubildenden Lukas berichtet, schwingt eine ordentliche Portion Stolz in seinen Worten. Der angehende Fachlagerist sei extrem gewachsen in den vergangenen zwei Jahren und habe enorm Vertrauen gefasst – zu sich, zu den Kollegen, zu seiner Ausbildungsbetreuerin vom Berufsbildungs- werk, stellt der Marketing- und Ausbildungs- leiter bei der Schmolck Autohaus-Gruppe in Emmendingen fest. Lukas hat ein Handicap aus dem Autismus-Spektrum und tut sich mit wechselnden Abläufen und vielen Kontakten schwer. „Deshalb haben wir ihn vorrangig im Räderlager und mit einem fixen Ansprechpart- ner eingesetzt, wo er sich super schlägt.“ So gut, dass er demnächst noch ein Jahr zur Fachkraft für Lagerlogistik draufsattelt. Dann wird er wegen der Ausbil- dungsinhalte in den Wareneinsatz wechseln müssen, Teile kommissionieren, mehr Leute treffen. „Aber er traut sich das jetzt zu“, erklärt Gleichauf und ist ziemlich sicher, dass das klappen wird. Bei Schmolck ist man seit Jahren recht inklusiv unterwegs. Die Arbeitsagentur oder Rehaeinrichtungen kommen mit möglichen Kandidaten auf sie zu. „In der Werkstatt ist die Arbeit mit Handicap schwierig, aber im Backoffice versuchen wir möglich zu machen, was geht. Hauptsache, der Mensch passt zu uns.“ Dafür halte man die Stellenbeschreibun- gen sehr offen. Gute Erfahrungen hat das Un- ternehmen mit Probearbeitstagen gemacht. „In der Zeit sehen wir, welche Tätigkeiten gehen und welche nicht – und schauen dann, wie sich das gestalten lässt.“ Aktuell tüftelt man an einer technischen Lösung, um einen blinden Bewerber gut in der Telefonzentrale einsetzen zu können. Er hatte sich nach einer Inklusionsveranstaltung bei Schmolck selbst beworben. uh Sabine Seibl (oben) und Julia Holzinger-Keller

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