Wirtschaft im Südwesten - Ausgabe Juni'23 - Hochrhein-Bodensee

50 IHK-Zeitschrift Wirtschaft im Südwesten 6 | 2023 PRAXISWISSEN Bild: Adobe Stock/supamotion Herausforderung Remote-Arbeit und Homeoffice Wie gelingt Arbeit von überall? D ie Zahlen sprechen eine klare Spra- che: Im Durchschnitt wünschen sich Beschäftigte drei Homeoffice-Tage pro Woche. Die Präferenzen für hybrides Arbeiten steigen seit der Pandemie Jahr für Jahr. Das ist das Fazit einer Langzeitstudie der Universität Konstanz unter 699 Erwerbstätigen im Zeit- raum März 2020 bis März 2023. In vielen Stellenausschreibungen wird inzwi- schen örtlich flexibles Arbeiten in Aussicht gestellt. Sind das Arbeiten von zu Hause oder von anderen Orten – remote im eigenen Mö- bel oder mit Arbeitsplatz vom Arbeitgeber als Homeoffice – also inzwischen selbstverständ- lich? Hört man sich in der Region um, gibt es bei Arbeitgebern durchaus Skepsis. Mit einem kritischen Statement zitiert werden möchte aber niemand. Denn es herrscht Fachkräf- temangel und es gilt, mögliche Talente nicht abzuschrecken. Führungskräftetrainerin und Psychologin Laura von der Groeben kennt aus ihrer Bera- tungsarbeit zahlreiche Vorbehalte: Wie erhält man das Gemeinschaftsgefühl? Wie stellen Vorgesetzte sicher, dass Arbeitnehmer ihr Pensum erfüllen? Wie gehen sie mit der Un- gerechtigkeit um, dass Mitarbeiter in Produk- tion und Handel nun mal nicht von zu Hause arbeiten können? „Klar gibt es Menschen, die vor Ort sein müssen. Meistens lässt sich die Verstimmung darüber auflösen, wenn man im Team darüber spricht, woher das Gefühl kommt, man werde ungerecht behandelt“, rät von der Groeben. Sie berichtet von einem Fall, bei dem Servicekräfte ärgerlich waren, dass Verwaltungsmitarbeiter teilweise von zu Hau- se arbeiten durften. Ein klärendes Gespräch half: Unter den Verwal- tungskräften waren viele Mütter mit Kindern, die ihre Doppelbe- lastung von Arbeitspensum und Carearbeit besser von zu Hause erledigen konnten. Nachdem die Situation erläutert wurde, gab es Verständnis. Unternehmerin Stephanie Hol- mes war früher selbst angestellt und musste pendeln. Spätestens, als das erste von heute zwei Kin- dern kam, empfand sie dies als Belastung. „Anderthalb Stunden vom Tag waren allein durch die Hin- und Rückfahrt weg. Es ist ein Riesenvorteil, wenn diese Zeit zur freien Verfügung steht.“ Diese Erkenntnis, gepaart mit der Beobachtung, dass „selbst in Welt- konzernen Mütter in Teilzeit häufig Aufgaben erledigen müssen, die weit unter ihrem Tä- tigkeitsniveau vor der Familienphase lagen“, inspirierten sie, neue Wege zu gehen. Als sie im Jahr 2010 ihre Social-Media-Beratung „YNovation“ gründete, fing sie zunächst mit einem Werkstudenten an – virtuell. Heute führt die 43-Jährige von Müllheim aus fünf Mitarbeiter, die in Freiburg, München, Pa- derborn, Stuttgart und am Bodensee sitzen und ihren Arbeitsalltag überwiegend von zu Hause, ab und zu auch in einem Coworking Space oder in einem Café gestalten. Nur zu bestimmten Workshops bei Kunden sehen sich die Kollegen in wechselnden Teams in Präsenz. „Meine Erfahrungen sind durchweg gut. Ich glaube, das liegt auch daran, dass wir vor der Einstellung sehr stark filtern und die Arbeitsweise sehr offen besprechen“. Damit die virtuelle Zusammenarbeit klappt, hat die Geschäftsführerin eine „durchdachte Kommunikations- struktur“ ausgetüftelt. Sie führt in regelmäßigen Abständen mit jedem Mitarbeiter telefonisch indi- viduelle Statusgespräche. Einmal im Monat findet ein Onlinemee- ting mit dem ganzen Team statt. Dabei werde ausführlich „privat gequatscht“ und alle Projekte nach Bedarf durchgesprochen. Ein Gemeinschaftsdokument, in dem das genau protokolliert wird, ist das Rückgrat dieser Treffen. Der Instant-Messaging-Dienst Slack dient als Teamchat. „Das ist Er- satz für den kurzen Schwatz über die Bürowand. Da fragt man auch mal ‚Hey, ist dein Kind wieder gesund?‘“, erklärt Holmes. Ansonsten werden Emails, Telefon und Zoom genutzt – wie in jedem anderen Büro auch. Regeln fürs Kommunizieren Psychologin Laura von der Groeben rät, Kom- munikation klar abzusprechen. Konkret: Was wird erwartet, auf welche Nachrichten man wie schnell antworten sollte – und auf wel- chem Kanal. „In dringenden Fällen sollte man lieber zum Telefon greifen. Bei rein schriftli- cher Kommunikation entstehen sonst schnell Missverständnisse.“ Bei Ynovation läuft Kundenkommunikation während der regulären Büroöffnungszeiten. Darüber hinaus können die Mitarbeiter ihre »Öfters mal kurz anrufen« Laura von der Groeben Führungskräftecoach, Konstanz Hybride Arbeitsformen stellen Führungskräfte vor ganz neue Organisationsaufgaben. Damit virtuelle Zusammenarbeit dau- erhaft gelingt, sind klare Regeln und viel Kommunikation nötig.

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