Wirtschaft im Südwesten - Ausgabe April'23 -Südlicher Oberrhein

45 4 | 2023 IHK-Zeitschrift Wirtschaft im Südwesten Herr Bauer, warum muss sich der Schwarzwald akut Gedanken um seinen Tourismus machen? Richard Bauer: Weil sich die Welt aktuell stark verän- dert. Wegen des Krieges und all der anderen Unsicher- heiten wird die Reisewelt kleiner. Die Sehnsucht nach Urlaub und naturnahen Urlaubsformen ist sehr hoch, gleichzeitig sitzt das Geld insbesondere für Zweit- und Dritturlaube nicht mehr so locker und die Menschen suchen sorgfältiger aus. Das bietet Chancen, aber auch Herausforderungen. In jedem Fall nimmt der Wettbewerb auf diesem beschränkten Raum zu. Deshalb muss man sich jetzt vorbereiten, um im neuen Wettbewerbsumfeld gut aufgestellt zu sein. Und viele Maßnahmen brauchen auch einfach ihre Zeit. Die Regionalkonferenz brachte Teilnehmer aus dem ganzen Schwarzwald zusammen. Warum braucht der Tourismus eine konzertierte Aktion? Weil es in der Gedankenwelt eines Besuchers keine Orts- grenzen gibt. Er nimmt nur den Schwarzwald wahr – und auch das eher als diffuses Gebilde. Für sein Urteil wirft er alles in einen Topf. Das kann sogar so weit gehen, dass er die Region länderübergreifend sieht. Gäste entscheiden sich nicht für einen einzelnen Ort. Sie kommen nicht we- gen eines bestimmten Hotels. Deshalb ist es wichtig, die Strahlkraft des Schwarzwaldes als Ganzes auszubauen. Wer muss sich für die Attraktivität des Schwarzwaldes zuständig fühlen? Für einen Gast – egal ob Urlauber, Durchreisender oder Anwohner – ist immer der letzte persönliche Eindruck der wichtigste. Den nimmt er mit, der bleibt in Erinne- rung. Und das macht es problematisch: Sie können ihren Tourismusbetrieb und ihr Personal zwar optimieren, sind aber darauf angewiesen, dass die Nachbarn mitziehen. Denn der letzte Eindruck lässt sich nicht steuern. Ein unfreundlicher Busfahrer, eine desinteressierte Verkäu- ferin – das bleibt hängen. Daher müssen alle gut drauf sein, damit die ganze Region positiv wahrgenommen wird. Standortattraktivität geht somit alle an. Freundlichkeit ist also ausschlaggebend? Ja, gerade für die qualitativ anspruchsvollen, nicht preis- sensiblen Gäste – und die sind für den Schwarzwald prädestiniert wie keine anderen – ist die Freundlichkeit mit Abstand der wichtigste Faktor. Sie wird erinnert und weitererzählt. Zudem legen diese Gäste sehr viel Wert auf Qualität – und zwar durchgehend, nicht nur in einem Betrieb – und auf Netzwerkleistungen: Alles ist aufeinander abgestimmt, nichts ist kompliziert. Man möchte convenient durch den Urlaub geführt werden. Und die Menschen bringen ihre Messlatte von daheim mit, aus einem meist urbanen und gut ausgestatteten Umfeld. Schlechter möchten sie es im Urlaub nicht er- wischen. Deshalb wird der Schwarzwald vielerorts noch eine Schippe drauflegen müssen. Hier wird es besonders darauf ankommen, nicht den einzelnen Anbieter weiter- zuentwickeln, sondern ein Netzwerk zu schaffen. Wo liegen die Chancen des Schwarzwaldes in einer kleineren Reisewelt? Die Lage des Schwarzwaldes ist ideal: In unsicheren Zeiten fährt man nicht mehr gerne so weit weg. Aus den Metropolen Deutschlands und des nahen Auslandes ist die Region gut zu erreichen, man muss keine Alpen oder andere Pässe überqueren. Die spannende Zielgruppe fängt dabei schon ab der Famili- engründung an und geht bis ins hohe Alter. Mit welchen konkreten Angeboten könnte die Region punkten? Das größte Potenzial des Schwarzwaldes ist wohl, Vielfalt zu bieten und Anlässe zu schaffen, zu denen man Menschen hierher- bringt: Etwa zum Entschleunigen aus einem beschleunigten Alltag. Zum frische Luft tanken während eines heißen Sommers in der Großstadt. Oder zum Winterurlaub ohne Sport. Es gibt Millionen deutscher Gäste, die nicht mehr am Skifahren interessiert sind, die aber sehr wohl Urlaub machen wollen – mit Angeboten von Winterwandern über Lesungen bis Konzerte. Es wird hier weniger darum gehen, noch mehr Angebot aufzubauen, sondern eher das bestehende besser zu vernetzen und entsprechend zu kommunizieren. uh Schwarzwald zu den touristischen Perspektiven der Region Sehnsüchte zu stillen »Ein attraktiver Ort für Gäste ist auch ein attraktiver Ort für Fachkräfte und Unternehmen« Tourismusberater Richard Bauer macht einen Trend zu naturnahen Urlaubsfor- men aus. Pluspunkt für den Schwarzwald. Gleichzeitig ticken Reisende heute ganz anders als früher. Wie man sich darauf einstellt, erklärt er im Interview. RICHARD BAUER … ist Inhaber der gleichnamigen Tourismus- beratung mit Sitz in Wien. Seit vielen Jahren beschäftigt er sich mit Zukunftsfragen der Tourismus- und Freizeitwirtschaft. Er berät führende Hotels, bedeutende Sehenswürdig- keiten und Kulturbetriebe sowie Tourismus- organisationen auf Bundes-, Landes- und Regionsebene in Österreich, Deutschland und Südtirol. Daneben ist Richard Bauer Vortragsredner, Buchautor und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger für Hotellerie und Fremdenverkehrseinrichtungen. Der zweite Teil des Gesprächs mit weiteren Trends unter www.wirtschaft- im-suedwesten.de/tourismustrends

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