Wirtschaft im Südwesten - Ausgabe März'23 -Südlicher Oberrhein

54 IHK-Zeitschrift Wirtschaft im Südwesten 3 | 2023 THEMEN & TRENDS SO GEHT MAN EINE GEMEINWOHL-BILANZ AN Gitta Walchner ist seit mehr als zehn Jahren als Audito- rin für die Gemeinwohl-Ökonomie aktiv. Die Expertin aus Freiburg weiß, welche Herausforderungen mit der Erstel- lung einer Gemeinwohl-Bilanz verbunden sind. Frau Walchner, welche Frage sollten sich Unternehmen stellen, die Interesse an einer Gemeinwohl-Bilanz haben? Gitta Walchner: Das Unternehmen oder die handelnden Personen müssen sich klar werden, welchen Stellenwert die Gemeinwohl-Bilanz für das Unternehmen haben soll. Konkret gesagt: Wie viel Zeit und welche Ressourcen bin ich bereit, in deren Erstellung zu investieren. Gibt es da eine Faustformel bezogen auf die Unterneh- mensgröße – etwa der Aufwand an Stunden? Nein. Es geht eher darum, wie tief ich in die Thematik ein- steigen möchte. Je intensiver, desto aufwendiger. Sollte man sich externe Hilfe holen? Das ist sinnvoll, weil der Blick von außen hilft. Aber das muss nicht gleich eine Agentur sein. Viele regionale Ar- beitsgruppen bieten auch die Möglichkeit, erst einmal ge- meinsam an den Herausforderungen zu arbeiten. Für das Erstellen der Bilanz ist professionelle und individuelle Hilfe allerdings schon besser. Welche Möglichkeiten habe ich noch, ummich gezielt vor- zubereiten? Auf derWebsite der Gemeinwohl-Ökonomie gibt es prakti- sche Tipps undWerkzeuge, mit denen ich als Unternehme- rin oder Unternehmer einen besseren Eindruck erhalte und vielleicht auch schon erste Schritte gehen kann. Sie auditieren seit mehr als zehn Jahren: Haben Sie eine Veränderung festgestellt? In den Anfangsjahren waren es die „üblichen Verdäch- tigen“, also von vornherein sozial und nachhaltig auf- gestellten Unternehmen wie zum Beispiel Erzeuger von Biolebensmitteln. Heute ist die Bandbreite der Firmen, die eine Gemeinwohl-Bilanz erstellen, viel größer. Sie reicht von Banken und Sparkassen über Versicherungsagenturen und große Industriebetriebe bis hin zum Outdoorspezialisten. Was bringt eine Gemeinwohl-Bilanz für das Unternehmen? Warum ist sie aus Ihrer Sicht eine sinnvolle Investition? Die Gemeinwohl-Bilanz ist mehr als eine Bilanz, sie ist ein Kompass, der anzeigt, wo man als Unternehmen steht.Als Organisationsentwicklungsleitfaden ist sie zudem ein stra- tegischesWerkzeug, das echte Orientierung vermittelt. Die GWÖ hilft, die Ideale und Werte in konkrete Handlungen zu bringen. mrk »Die Gemeinwohl- Bilanz ist mehr als eine Bilanz, sie ist ein Kompass, der anzeigt, wo man als Unternehmen steht« Gitta Walchner Unternehmensberaterin und Auditorin für Gemeinwohl-Bilanzen, Merzhausen Gemeinwohl-Ökonomie Deutschland e. V. , Berlin: Zentrale Plattform der Bewegung mit Informationen und Ansprechpartnern für alle Stakeholder: www.germany.ecogood.org Beitrag zu Corporate Social Responsibility (CSR): www.wirtschaft-im-suedwesten.de Nachhaltigkeit mit System Beitrag zur Nachhaltigkeitsberichterstattung oder Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD): www.wirtschaft-im-suedwesten.de Besser schon jetzt vorbereiten Das Schöne an der Gemeinwohl-Bilanz ist auch, dass sie über das Unternehmen hinauswirkt, weiß Stefanie Aufleger: „Wenn alle in einer Firma oder einer Institution verstehen, welche positiven Werte mit der Gemeinwohl-Bilanz verfolgt werden, dann lässt es sich nicht vermeiden, dass die eine oder an- dere Erkenntnis in den privaten Alltag mitgenommen wird. Und genau darüber schaffen wir eine generel- le Veränderung.“ Der Gesamtprozess rund um die Gemeinwohl-Bilanz ist aus ihrer Sicht wertvoll, weil er wirkt: „Am Anfang geht es den Unternehmen oft allein um die Punkte. Es ist ihnen wichtig zu wissen, wo sie stehen. Am Ende des Prozesses rückt das in den Hintergrund.“ Vielmehr werde den handelnden Personen bewusst, welche Rolle sie einnehmen und welche Möglichkeiten sie haben, die Welt ein kleines bisschen besser zu gestalten. Bewussteres Handeln inklusive Die Auseinandersetzung mit der Gemeinwohl-Bilanz trägt dazu bei, genauer hinzuschauen und gegebenen- falls nachzufragen, sagt Zurich-Agentur-Chef Martin Bantle. Ein Ergebnis in seinem Hause: Onlinebestel- lungen nur, wenn das benötigte Material nicht regional erhältlich ist. Ein weiteres: „Ich muss nicht bei jeder Bestellung oder Rechnung gefragt werden: Jedes Team- mitglied kann bis zu 3.000 Euro pro Jahr selbstver- antwortlich für unternehmerische Belange einsetzen.“ Doch die Auswirkungen können auch größere Di- mensionen annehmen, erläutert Stefanie Aufleger: „Kann ich es als Unternehmen eigentlich akzeptie- ren, Services oder Material von einem Lieferanten zu erwerben, der mit seinen Mitarbeitenden nicht gut umgeht? Und solche Anbieter gibt es nicht nur auf der anderen Seite des Globus.“ Die Frage laute dementsprechend: „Will ich mit meinem Geld ein Un- ternehmen unterstützen, das komplett andere Werte verfolgt als ich?“ Allein die Diskussion darüber sorge für ein bewussteres Handeln, ist sich die Beraterin gewiss. mrk

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