Wirtschaft im Südwesten - Ausgabe Januar'23 -Südlicher Oberrhein

12 IHK-Zeitschrift Wirtschaft im Südwesten 1 | 2023 LEUTE KÖPFE DES MONATS Kampf der Verschwendung Janine Trappe und Felix Pfeffer | Kultimativ KONSTANZ. Welch eine Zahl: 500.000 Tonnen. So viel Brot wird in Deutschland jedes Jahr weggeworfen. Das entspricht in etwa dem Gewicht von 100.000 Elefantenkühen, 900 voll ausgelasteten Passa- gierflugzeugen des Typs Airbus A380 oder 50 Pariser Eiffeltürmen. Dass wir hierzulande in einer Überfluss- und Wegwerfgesellschaft leben, ist keine neue Erkenntnis. Doch obwohl Janine Trappe und Felix Pfeffer sich schon lange mit dem Rohstoff Brot und seiner Weiterverwendung beschäftigen, merkt man ihnen immer noch an, wie sehr sie diese Größenordnung befremdet – sechs Jahre nach Gründung ihres Konstanzer Unternehmens Kultimativ. Ihre Geschäftsidee in Kürze: Übrig gebliebene Backwaren einsammeln und zu haltbaren Lebensmitteln weiterverarbeiten. Vieles von dem, was auf dem Müll statt auf dem Teller landet, ist nämlich „Zu gut für die Tonne“. Das fand auch eine Jury des Bun- deslandwirtschaftsministeriums: Sie vergab im vergangenen Ok- tober den gleichnamigen Bundespreis an die auch privat liierten Lebensmittelretter und ihre Mitarbeiter für das Kultimativ-Projekt Heldenbrot. Minister Cem Özdemir gratulierte höchstpersönlich. Vor dem Preis kommt bekanntlich der Fleiß und im Fall der bei- den Firmenchefs jede Menge Entscheidungsfreude. Nicht einmal kennengelernt hätten sie sich, wenn sie 2007 nicht beherzt gleich Nägel mit Köpfen gemacht hätten: Über das Netzwerk StudiVZ suchte die in Thüringen lebende Jurastudentin damals eine Beglei- tung für einen Gleitschirmurlaub. „Ich habe einige Telekomaktien verkauft und bin am nächsten Tag zu ihr gefahren“, erinnert sich Felix Trappe, der zu dieser Zeit in Konstanz Architektur studierte. Von Leipzig aus hob das Duo ab in Richtung Südtürkei. Eine Woche lang flogen sie durch die Lüfte über Alanya, und den beiden frisch Verliebten lag nicht nur der Mittelmeerstrand zu Fü- ßen. Denn: „Vier Wochen später bin ich zum Bodensee gezogen“, erzählt Janine Trappe. Heute wohnen die Eltern von Sohn Paul, der vor drei Jahren zur Welt kam, im Konstanzer Stadtteil Litzelstetten. Und mit ihrem aktuell vierköpfigen Team treiben sie im Gewerbe- gebiet Stromeyersdorf ihr Business voran. Dass sie sich beruflich mit Fragen der Lebensmittelverschwen- dung beschäftigen würden, war vor 15 Jahren nicht abzusehen. Was aber feststand, war der Wunsch, in die Selbstständigkeit zu gehen. „Ich dachte immer an ein Architekturbüro“, sagt der aus einer Unternehmerfamilie stammende Felix. „Meine Mama hatte einen eigenen Laden“, erklärt auch Janine ihre Prägung aus dem Elternhaus. 2016 brachten die beiden ihr erstes Gründerbaby an den Start, ein Atelier für den Bau von Architekturmodellen (erfolg- reich); das zweite war ein Portal für Lernsoftware (nicht ganz so erfolgreich). Die Phase des Ausprobierens endete, als Janine und Felix beim Konstanzer Gründerstammtisch den leidenschaftlichen Hobby- koch und späteren Mitgründer Matze Helmke kennenlernten. Er steuerte das komplette gastronomische Know-how bei, das Un- ternehmerpaar das Wissen, wie man einen Betrieb gründet und dafür Investoren und Partner gewinnt. Mit den ersten Rezepturen hoben sie Knödelkult aus der Taufe: Knödel im Glas, ein haltbares Lebensmittel, gemacht aus gerettetem Brot (und anderen Zuta- ten), das höchstens zwei bis drei Tage alt ist und eine bestimmte Restfeuchte nicht übersteigt. „2017 haben wir alles selbst gemacht“, erinnert sich Janine. Dazu gehörte es, von Bäcker zu Bäcker zu fahren, Produktionsfirmen zu suchen, Marketing, Vertrieb und Onlineshop aufzubauen. „Die ers- ten 5.000 Gläser haben wir eigenhändig befüllt“, erzählt Felix. Heute gibt es eine Produktionsstätte in Donaueschingen, wo die Back- und Brotwarenreste von Bäckereifilialen aus ganz Baden-Württemberg weiterverarbeitet werden. Food-Upcycling lautet der Fachbegriff. Ein Blick auf die Homepage verrät: Nach und nach hat Kultimativ sein Angebot ausgeweitet und diversifiziert. Zum Knödel sind die unter dem nun preisgekrönten Label Heldenbrot zusammengefass- ten Kekse, Bratlinge und Nudeln hinzugekommen. Sechs Jahre Le- bensmittelherstellung bedeuten knapp 200 Tonnen gerettetes Brot und „höchsten Respekt vor den Produkten und der Produktion, mit allem, was dazu gehört“, wie Felix es beschreibt. Dass seit dem russischen Überfall auf die Ukraine die Welt eine andere ist, die Preise steigen und sich das Verbraucherverhalten ändert – die Leute kaufen sparsamer, das Interesse an Themen wie Bio, Nachhal- tigkeit und Tierwohl hat einen Dämpfer bekommen –, hat auch für Kultimativ spürbare, ja handfeste Folgen. „Wir haben dieses Jahr eins auf die Mütze gekriegt“, erklärt der Gründer. Das Unternehmerpaar reagierte, Aktivitäten im Social-Media-Bereich wurden zurückgefah- ren, auch das Team wurde verkleinert. Aktuell geht es den beiden darum, von Wachstum auf Profitabilität umzustellen. Um langfris- tig wettbewerbsfähig zu bleiben, dafür gibt es im Hause Trappe/ Pfeffer genug Ideen. Kundgetan werden sie, wenn sie spruchreif sind. Aber Erfahrung haben Janine Trappe und Felix Pfeffer genug, wenn es drum geht, neue Ideen zu verwirklichen. bb »Wir hielten es einfach für eine gute Idee, Brot zu re!en« KÖPFE des Monats

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ2MDE5