Wirtschaft im Südwesten - Ausgabe Januar'23 -Südlicher Oberrhein

10 IHK-Zeitschrift Wirtschaft im Südwesten 1 | 2023 TITEL Persönliche Krisen meistern „Wir müssen viel mehr über unser Scheitern reden“ O verlack Furniere aus Rastatt meldet In- solvenz an“: Eine kleine Meldung in den Lokalnachrichten Anfang August 2011; das Ende einer Ära für Bert Overlack. Der heute 55-Jährige stieg 1997 in das Unternehmen seines Vaters ein, übernahm später die Ge- schäftsführung und internationalisierte er- folgreich. Aus einem 40-Mann-Betrieb mit rund zehn Millionen Euro Umsatz wurde ein mittelgroßes Unternehmen mit 350 Mitar- beitern, Kunden in über 40 Ländern und 30 Millionen Euro Umsatz. 2007 war das erfolg- reichste Jahr in der Geschichte des Famili- enunternehmens, dann der Absturz: 2009 brach der Markt infolge der Finanzkrise ein. Overlack hatte, wie viele andere Mitbewerber auch, massive Umsatzeinbrüche zu verzeich- nen. Nach zwei Jahren kräftezehrender Re- strukturierung stieg eine Bank aus. Overlack musste Insolvenz anmelden. Betriebswirt- schaftlich der richtige Schritt, emotional eine traumatische Erfahrung – über die er heute offensiv spricht, um anderen Menschen – vom Privatmann bis zum Manager – zu hel- fen, eigene Krisen zu überwinden. Für das Familienunternehmen Insolvenz an- melden müssen, war sicher schwer? Bert Overlack: Nach diesem ganzen Kampf war das erst mal ein Befreiungsschlag. Aber ein Familienunternehmen fortzuführen ist ein Herzensthema; ich war extra deswegen nach Rastatt zurückgekehrt. Das war ein großer Teil meiner Identität und den Betrieb schlie- ßen und Mitarbeiter entlassen zu müssen, hat mich in ein Riesenloch fallen lassen. Im Nachhinein muss ich sagen, dass ich da wohl eine Depression entwickelt habe. Keine tiefe klinische, ich funktionierte weiter. Aber gut ging es mir nicht. War Ihnen bewusst, wie schlecht es um Sie stand? Nein, diese Erkenntnis traf mich, als mein Sohn, damals zwölf Jahre alt, mit Neuroder- mitis bei einer Ärztin vorstellig wurde und die ihn sinngemäß fragte, was ihm ‚unter die Haut gehe‘. Er antwortete: „Mein Vater lacht gar nicht mehr.“ Das traf mich sehr. Ich hatte das Gefühl, ich sei ein weiteres Mal gescheitert – erst mit dem Unternehmen, dann mit der Art und Weise, wie ich versucht habe mit der Insolvenz fertig zu werden, und als Elternteil. Was hat Ihnen geholfen? Ich habe eingesehen, dass es keine gute Strategie ist, so eine Erfahrung mit sich selbst auszumachen. Mithilfe einer Psy- chologin habe ich schonungslos meine Entscheidungen als Unternehmer und mein Verhalten als Geschäftsführer analysiert und reflektiert. Vorher hatte ich nicht verstanden, dass der Satz ‚geteiltes Leid ist halbes Leid‘ wirklich stimmt. Ich bin durch meine Eltern geprägt, die im Nachkriegsdeutschland groß geworden sind. Wir wissen heute, dass ein wesentlicher Bestandteil der Verarbeitung des Kriegstraumas war, zu schweigen und zu verdrängen. Das wirkt sich auch auf mei- ne Generation aus. Glücklicherweise ändert sich das gerade. Alles auszusprechen zwingt, Ordnung in unsere Gedanken zu bringen; die Schuldgefühle und den Verlust zu verarbei- ten. Letztendlich ging es bei mir um das Wiedergewinnen von Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein, das natürlich erschüt- tert war. Inzwischen halten Sie Vorträge auf Fuckup Nights, haben ein Buch zum Thema Schei- tern geschrieben. Weshalb? Das erste Mal öffentlich über meine Erfah- rung ausgetauscht, habe ich mich 2015 bei einer EU-Konferenz zum Thema Second Chance Entrepreneurship. Dort kamen mehrere Unternehmer zusammen, die auf die eine oder andere Weise gescheitert sind. Das Ganze hat offiziell eine Stunde gedauert und ging dann auf dem Flur dreieinhalb Stun- den mit angeregten Gesprächen weiter. Das zeigte mir, dass es ein ehrliches und nicht nur voyeuristisches Interesse und einen echten Bedarf an Austausch gibt. Und ich hatte die Erkenntnis, dass wir viel mehr über unsere Fehler, unsere Ängste und unser Scheitern reden sollten und nicht nur über Erfolge. Natürlich lernen wir auch aus Erfolgen. Wir können aber genauso viel aus unseren Feh- lern lernen. Ich möchte eine Lanze für eine Anerkennung des Scheiterns als wertvolle Ressource für persönliche, berufliche und ge- sellschaftliche Weiterentwicklung brechen. Sie reden sehr offen über Ihre eigene Krise. Stößt das immer auf Verständnis? Ich bekomme viel positives Feedback, den- noch gibt schon auch Leute, die es nicht gut fanden, wie ich über die Insolvenz sprach. Aber: Ich kenne keinen einzigen Unterneh- mer 50 plus – und sei er oder sie noch so erfolgreich – der nicht irgendwann in seinem Leben mal eine ganz schwere Krise durchlebt hat. Das ist nicht ehrenrührig, sondern nor- mal. Aber dennoch hört man davon kaum. Deswegen erzähle ich meine Geschichte: Nicht, weil die so großartig ist, sondern, weil ich versuche, durch Authentizität anderen zu ermöglichen mit ihrer Krisenerfahrung anzu- docken. Über Scheiter-Erfahrungen muss viel mehr gesprochen werden. Und zwar nicht nur in der Start-up-Szene, sondern gerade auch bei ‚erwachsenen‘ Unternehmen. db ZUR PERSON Bert Overlack (55) ist heute selbstständi- ger Speaker, Coach, Sparringspartner und Beirat. Er arbeitet zu den Themen persön- liche Transformation, Krisenbewältigung, Nachfolge und strategische Entwicklung. Mit seinem Buch „FuckUp. Das Scheitern von heute sind die Erfolge von morgen“ (Wiley Verlag, 2018, 256 Seiten, 19,95 Euro) hat er seine persönlichen Erfahrun- gen mit dem Scheitern verarbeitet und möchte andere Unternehmer befähigen, eine drohende Krise zu erkennen, abzu- wenden oder zu verarbeiten. Bert Overlack musste Insolvenz anmelden. Eine schmerzhafte Erfahrung, über die er heute offen spricht, um anderen Unternehmern einen gesunden Umgang mit Krisen zu ermöglichen. „ Bild: Oliver Hurst

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