Wirtschaft im Südwesten - Ausgabe Januar'23 -Südlicher Oberrhein

9 1 | 2023 IHK-Zeitschrift Wirtschaft im Südwesten und daraus lernen“, so die Wissenschaftlerinnen. Nur wer die kognitive und emotionale Kraft aufbringe, die- se wertvollen Signale zu beachten, lerne aus seinen Irrtümern. Das Problem: Wer etwas verbockt, verletzt damit sein Ego und sein Selbstbild. „Als Depp dazustehen“ ge- fällt niemanden, und dieses ungute Gefühl versuchen Menschen offenbar automatisch zu vermeiden. Einen Schnitzer einzugestehen, wirke wie eine Bedrohung für das Ich, schreiben Eskreis-Winkler und Fishbach. Ihr Fazit: „Meist scheint es wichtiger zu sein, negative Bot- schaften zu vermeiden, als zu lernen.“ Offenbar gehen viele Menschen Feedback systematisch aus dem Weg, wenn sie Kritik fürchten, selbst, wenn für sie sehr viel auf dem Spiel steht. Den Schmerz des Scheiterns aktiv angehen Doch nur wer sich fragt, warum etwas nicht lief wie geplant, hat eine Chance auf einen erfolgreichen zweiten Anlauf. Was also tun? Es brauche emotionale Distanz zum eigenen Scheitern, sagt der US-amerikanische Autor Daniel H. Pink, der für sein Buch „The Power of Regret“ 16.000 Menschen aus mehr als 100 Ländern zu Reuegefühlen befragt hat. Das eigene Ver- sagen aufzuschreiben, sei eine wirksame Technik, um diesen Zustand zu erreichen, argumentiert Pink. Zu sch- reiben, zwinge einen, zu denken, zu sortieren, zu analysieren. (Mehr zum Thema Scheitern siehe Interview, Seite 10.) Auch Reden hilft. Entweder mit Trainern, Psychologen, Freunden oder in einem freundlichen Rahmen wie ei- ner „Fuckup Night“ (deutsch: Nacht des Scheiterns). Das Format stammt aus Mexiko. Ein paar Freunde aus Mexiko-Stadt redeten vor zehn Jahren in einer geselligen Runde über ihr unternehmerisches Scheitern und merk- ten dabei, wie gut ihnen diese Gespräche taten. Daraus entwickelte sich das Konzept der Fuckup Night – eine Veranstaltung, die das Scheitern zelebriert und nach lizensiertem und standardisiertem Konzept mittlerweile weltweit stattfindet. Die Erfahrung, wie transformierend eine Teilnahme daran sein kann, hat auch Anna-Christina Baden ge- macht. Baden, heute Projektleiterin des Strukturför- derprojekts „Zukunft.Raum.Schwarzwald“ hatte vor 13 Jahren – mehr aus Pflichtgefühl als aus Leidenschaft – das Dentallabor ihres Vaters übernommen. Ein Nach- folger war nicht in Sicht für den etablierten Betrieb mit erfahrenen Mitarbeitern; die junge Frau brachte einen betriebswirtschaftlichen Hintergrund mit. „Ich dachte, das muss funktionieren.“ Um es kurz zu machen: Es ging nicht gut. Am Ende stand ein gesundheitlicher Zusammenbruch mit Burn- out. In der Folge beschäftigte sich Baden viel mit der Psychologie des Scheiterns und gab einige Jahre später schließlich in ihrer späteren Rolle als Geschäftsführerin der Startup Academie Lörrach den Impuls, dort eine Fuckup Night zu etablieren. Sarah Kiefer, Co-Veranstalterin der Fuckup Nights Lör- rach, berichtet, dass es gar nicht so ein- fach sei, Redner zu finden. „Es ist wirklich schwierig, Unternehmerinnen und Unter- nehmer zu erreichen, die bereit sind, offen und ehrlich über eigene Fehlentscheidun- gen zu sprechen. Dabei wäre das so wich- tig in einer Arbeitslandschaft, die immer mehr von Leistungsdruck geprägt wird“, sagt Kiefer. Auch Anna-Christina Baden haderte lange: „Ich dachte, ich sei noch nicht so weit.“ Als sie den Schritt dann doch wagte, habe ihr die Teilnahme noch einmal sehr geholfen, ihr Scheitern gewinnbringend zu verarbei- ten. „Mir ist während der Vorbereitung erst klargeworden, was eigentlich wirklich mein Fuckup war. Das hat mich nochmal richtig vorwärtsge- bracht hat.“ Ergo: Die Reflexion hat ihr einen weiteren Lernprozess ermöglicht. Baden geht es aber nicht nur um ihre eigene Persönlich- keitsentwicklung, sondern auch darum, dass sich durch die Fuckup Nights ein breitflächiger Mentalitätswandel anstoßen lassen könnte. „Es gibt immer noch viel zu viele Settings, bei denen man die Zähne zusammen- beißen und funktionieren muss.“ Offen über Scheitern, Fehler und Probleme zu sprechen, so ihre Hoffnung, ermögliche, wertschätzend mit Menschen umzugehen. Am Ende ein Gewinn für alle. Daniela Becker Clemens Imberi, Leiter der Business Unit Streit inhouse der Streit Service & Solution GmbH & Co. KG im „STREITgespräch“, einem monatlichen Format, bei dem Mitglieder der Geschäftsleitung über aktuelle und strategische Themen informieren und die Mitarbeiter die Möglichkeit haben, Stellung zu nehmen. »Es ist schwierig, Unternehmer zu finden, die bereit sind, über eigene Fehlentschei- dungen zu sprechen« Sarah Kiefer Co-Veranstalterin der Fuckup Nights Lörrach TIPPS Zum Lesen: Daniel H. Pink, The Power of Regret: How Looking Backward Moves Us Forward, Riverhead Books, 256 Seiten, ab 28 Euro Zum Hören: Podcast der ETH Zürich, „Benefits of Fai- ling“, kostenlos. Sascha Sto- cker, früher imVorstand des ETH Entrepreneur Club, und Manu Kapur, ETH-Professor und Erfinder des Konzepts „Productive Failure“, über die Vorteile des Scheiterns. www.listennotes.com ETH Zürich Benefit of Failing Zum Mitmachen: Fuck- up Night Lörrach. Aktuel- le Termine jeweils unter www.fuckupnights.com/ city/lorrach

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