Wirtschaft im Südwesten - Ausgabe Januar'23 -Südlicher Oberrhein
8 IHK-Zeitschrift Wirtschaft im Südwesten 1 | 2023 TITEL Die Änderungen kamen nicht über Nacht, sondern vielmehr Schritt für Schritt. Ein erster wichtiger Meilenstein sei die Einführung des Reklamationsma- nagements vor über zehn Jahren gewesen. Jeder „Mit- STREITer“ – ein Spiel mit dem Unternehmensnamen – trägt sowohl Kunden- und Lieferantenreklamationen als auch interne Reklamationen ein. Keine bahnbre- chende Erfindung, wichtig ist vielmehr die Haltung dahinter, betont Fuchs: „Hierbei geht es ganz klar nicht um Schuldzuweisungen, sondern darum, die Ursache für den Fehler zu finden, zu beheben und dafür zu sorgen, dass dieser in der Zukunft nicht nochmals auftritt.“ Das Reklamationsmanagement war der Beginn eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses, der nach Wunsch der Unternehmensführung fortan nicht nur die Kundenzufriedenheit, sondern auch interne Abläufe und das Wohlbefinden der Mitarbeiter umfassen sollte. Dafür hat das Unternehmen den „SOUL-Prozess“ etab- liert. Dabei bedient sich Streit bei dem Great-Place-to- Work-Modell, das Glaubwürdigkeit, Respekt, Fairness, Stolz und Teamgeist als wesentliche Faktoren für eine konstruktive Unternehmenskultur identifiziert. Doch wie funktioniert sowas konkret? Bei Streit tragen sie- ben „Soul-Teams“ in den verschiedenen Abteilungen zusammen, wo es gerade hakt. Sie setzen sich je nach Bereichsgröße aus drei bis sechs gewählten Vertretern zusammen, die sich alle zwei Monate für eine Stunde treffen. Hier werden Ideen gesammelt, Informationen ausgetauscht und gemeinsam mit der Führungskraft wird versucht, Lösungen für identifizierte Proble- me zu finden. Die einzelnen Teams werden durch einen Botschafter vertreten, der dann auch re- gelmäßig die Führungskraft an offene Punkte er- innern soll und, falls erforderlich, zum Handeln aufruft. „In einer wertebasierten Unternehmens- kultur wird offen über Missgeschicke gespro- chen, gemeinsam nach Lösungen gesucht. Die Eigenverantwortung wächst und das bringt uns als Unternehmen insgesamt weiter“, ist Fuchs überzeugt. Besonders viel Wert legt die Unternehmensführung der Streit Service & Solution nach eigenen Angaben auf offene und transparente Kommunikation. Alle Kom- munikationskanäle sind in einer Matrix erfasst: Klare Strukturen vermeiden unnötige Missverständnisse. Ganz wichtig: Alle „Spielregeln“ zum gemeinsamen Mit- einander wurden schriftlich festgehalten. Regelmäßig treffen sich alle Mitarbeiter – auch hier das Wortspiel – zum „Streit“gespräch. Die Mitglieder der Geschäftsleitung informieren dabei über aktuelle und strategische Themen. Die rund 250 Angestellten haben dann die Gelegenheit, in direkten Austausch mit der Geschäftsleitung zu treten, Fragen zu stellen und Meinungen kundzutun. Dies soll Vertrauen und eine Atmosphäre schaffen, in der sich auch unbequeme Themen offen ansprechen lassen. In regelmäßigen „TeamStartUps“, die jedes Team min- destens einmal pro Woche abhält, tauschen sich die Mitglieder zu aktuellen Themen, Erfolgserlebnissen und Zielen aus. Hier werden aber auch Fehler und Reklama- tionen besprochen. Gemeinsam legt man Maßnahmen zur Korrektur fest und sucht nach Lösungen, um künftig Ähnliches zu vermeiden. Wenn das Ego in die Quere kommt „Neben den Formaten ist eine Kommunikation ohne Schuldzuweisung wichtig, also die Sprache, die in den Meetings Anwendung findet“, merkt Managementbe- rater Ilg an. Um eine konstruktive Analyse zu fördern, sei es hilfreich, wenn beteiligte Personen vorwurfsfrei kommunizieren. Sätze wie ‚Wer ist für den Fehler verant- wortlich?‘ sollten demnach ersetzt werden durch ‚Wie konnte es dazu kommen?‘. Und aus ‚Wer ist Schuld?‘ wird ‚Was lernen wir daraus?‘. Ganz so einfach ist das alles natürlich nicht. Zum einen ist eine solche agile Arbeitsweise aufwendig und erfor- dert, individuell auf Bedürfnisse von Mitarbeitern ein- zugehen. Zum anderen macht unsere Psyche uns allzu oft einen Strich durch die Rechnung. „Es fällt Menschen sehr schwer, aus Fehlern zu lernen“, erläutern die US- amerikanischen Psychologinnen Lauren Eskreis-Winkler und Ayelet Fishbach in ihrer Überblicksarbeit „You Think Failure Is Hard? So Is Learning From It“ (zu Deutsch: „Sie denken, Scheitern ist hart? Daraus Lernen ist es eben- so“), die im Fachjournal Perspectives on Psychological Science erschienen ist. „In jedem Scheitern schlum- mern neue Informationen“, stellen Eskreis-Winkler und Fishbach zwar fest, aber „emotionale und kognitive Barrieren verhindern, dass Menschen überhaupt die Informationen wahrnehmen, die ein Scheitern bietet – »Allen ist bewusst: Es geht nicht um Schuldzuwei- sungen, son- dern darum, die Ursache für einen Fehler zu finden» Marc Fuchs Geschäftsführer Streit Service & Solution GmbH, Gengenbach WIE ETABLIERT MAN EINE OFFENE FEHLERKULTUR? Geduld und Offenheit mitbringen. Ohne diese beiden Eigenschaf- ten wird es schwer, kulturelle Veränderungen anzustoßen. Führungskräfte müssen Vorbilder sein und eine offene Fehler- kultur vorleben. Grundhaltung gegenüber Fehlern schriftlich festhalten, beispiels- weise imWertekodex oder einer Firmenphilosophie. Dies sorgt für Sicherheit und schafft Vertrauen. Andere Kommunikation: Vorwürfe haben keinen Platz mehr. Stattdessen wird wertschätzend miteinander gesprochen und Ursachen, Folgen und das Gelernte werden herausgearbeitet. Nur so kann eine Lernkurve entstehen, die Arbeit fehlerärmer werden lässt. Formate einführen, die ehrlich und mit der nötigen Ernsthaftig- keit durchgeführt werden. Das können erprobte Methoden wie Reflektionsmeetings oder Feedbackgespräche sein. Oder Formate in größerer Runde, wie „Lessons Learned“oder Fuckup Nights bei denen Personen öffentlichkeitswirksam und unterhaltsam über ein Scheitern berichten.
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