Wirtschaft im Südwesten - Ausgabe September'22 -Südlicher Oberrhein
52 IHK-Zeitschrift Wirtschaft im Südwesten 9 | 2022 Themen & Trends Weltgeschehen » Weniger Ideologie, mehr Ehrlichkeit « Klima- und Energiekrise, Inflation und Rezession, Rohstoffmangel und gestörte Lieferketten, Kriegstreiberei und Coronavirus – Wie bekommen wir eine Welt in den Griff, die längst aus der Balance geraten ist? Ein provokantes Gespräch mit dem Globalisierungsexperten Franz-Josef Radermacher. Herr Radermacher, die Probleme der Welt nehmen zurzeit etwas überhand. Werden wir das alles stemmen können? Franz-Josef Radermacher: Im Sinne von „Erhalt unseres Wohlstandes und unserer Freiheit“? Da bin ich mir nicht sicher. Aber im Sinne von „Das Leben geht weiter“? Das Leben geht immer weiter. Unter Umständen aber auf einem sehr viel niedrigeren Zivilisa- tionsniveau und sehr viel ärmlicher. Und ob wir unsere Energiepreise wieder in vernünftige Bahnen bekommen…? Ich den- ke, dafür müsste man schnell Frieden mit Russland schließen. Ohne Russland können wir auch das Klimaproblem nicht lösen. Dafür ist das Land zu groß. Gespräche mit Russland sind für die meisten zurzeit aber gar nicht diskutabel. Und vielen kommt das auch zupass. Es geht ihnen um Mandate, politische Macht und das Ausle- ben von Ideologien. Viele machen mit der Situation Politik und drängen etwa auf den Turbo-Ausbau der erneuerbaren Energien mit dem Argument, wir müssten uns aus Abhän- gigkeiten lösen, egal was es kostet. Sind mehr Erneuerbare keine Lösung? Zumindest nicht in der aktuell einseitig ver- folgten Form. Windenergie und Photovoltaik allein lösen unser Problem nicht. Sie sind ausgesprochen volatil. Wir müssen offen blei- ben für weitere Lösungen und Technologien. Erneuerbare Energien sind zudem sehr teuer, wenn Stabilität der Versorgung das Ziel ist – aber das will niemand zugeben. Was schwebt Ihnen alternativ so vor? Eine zentrale Technologie ist meiner Meinung nach „Carbon Capture Usage Storage“: CO 2 einfangen, nutzen, verpressen. Die zweite wäre „Nature Based Solutions“: Aufforsten, Humusbildung, Regenwaldschutz und alles was dazugehört. FRANZ-JOSEF RADERMACHER ... leitet das Forschungsinstitut für anwen- dungsorientierte Wissensverarbeitung (FAW/n) an der Universität Ulm. Der Mathe- matiker, Wirtschaftswissenschaftler und In- formatiker ist als Fachmann für Technologie, Globalisierungsgestaltung und nachhaltige Entwicklung international anerkannt. Er ist einer der Vordenker der „Global Marshall Plan Initiative“ und der zugrunde liegen- den Zielvorstellung einer weltweiten Öko- sozialen Marktwirtschaft. Der 72-Jährige ist unter anderem Mitglied des Club of Rome, Ehrenpräsident des Senats der Wirtschaft und Mitglied des UN-Council of Engineers on the Energy Transition. Die dritte große Schiene sind synthetische Kraftstoffe, um den weltweiten Verkehr mit Pkw und Lkw klimaneutral zu stellen. Aktuell versuchen wir aber in Deutschland ganz etwas anderes. Über das Lieferkettensorgfaltspflich- tengesetz (siehe dazu auch S. 56) wollen wir unsere ausländischen Partner wie etwa Afri- ka in die Elektromobilität zwingen. Aber das kann nicht funktionieren. Die haben riesige Strecken im Land und zum Teil nicht mal ein Stromnetz. Sollen wir Stromleitungen durch die Wüsten ziehen? Nein, das Mobilitätsthema kann weltweit nur über synthetische Kraftstof- fe funktionieren. Sie kritisieren das Lieferkettensorgfalts- pflichtengesetz. Grundsätzlich wäre eine „saubere“ Lieferkette aber doch sinnvoll. Es gibt auf internationaler Ebene ohnehin seit Jahren den Konsens, dass Kinderarbeit und Verstoß gegen die Menschenrechte tabu sind. Daran zu arbeiten, ist völlig unstrittig. Aber mit den neuen Lieferkettengesetzen verkaufen wir dem Rest der Welt auch unsere Klima- und Wasserstofflogik als ultimative Lösung. Damit greifen wir einen seit Jahrzehnten ein- geübten und rechtlich fixierten Kompromiss in der Welthandelsordnung (WTO) an: Die armen Länder haben immer Wert daraufgelegt, dass die reichen ihnen ihre Standards nicht auf- zwingen dürfen. Weil die armen dann nämlich ihre Jobs verlieren. Der Export der eigenen Ansprüche ist eine Methode, die ökonomische Entwicklung der armen Länder klein zu halten, und Arbeit in die reichen zurückzuholen. In Wirklichkeit werden damit also die eigenen Interessen gefördert – und nicht die Welt gerettet. Wie sähe Ihre Alternative aus? Ein fairer und ehrlicher Deal: Die westliche Welt will, dass die anderen höhere Standards einhalten – dann sollten wir auch dafür zahlen. Sind wir hierzulande schon bereit, den Preis für echte Fairness in der Welt zu zahlen? Nein. Wir sehen gerade eine Konfrontation zwi- schen reich und arm, wo sich der Reiche mit Moralin aufplustert und auch noch einredet, er sei der Gute, während es an sich alles zu Lasten des Armen geht. Interview: uh Die Langversion des Interviews lesen Sie unter www.wirtschaft-im- suedwesten.de/themen-trends/ Radermacher Bilder: Adobe Stock/Fox_Dsig (ganz oben); Südwest Presse Ulm, Volkmar Könneke
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