Wirtschaft im Südwesten - Ausgabe Juli/August'22 -Südlicher Oberrhein
9 7+8 | 2022 IHK-Zeitschrift Wirtschaft im Südwesten Gloria-Theater, Bad Säckingen Der Insolvenz mit Schwung von der Schippe gesprungen Ausverkauftes Haus im April, volle Ränge im Mai – kurz: Im Gloria-Theater in Bad Säckingen herrscht Aufbruchstimmung, auch wenn der Spielbe- trieb selbst 2020 und 2021 nicht komplett stillstand. „So oft es ging, sind wir auf die Bühne, was nicht immer wirtschaftlich war. Aber als Künstler sind wir davon getrieben, Menschen eine schöne Zeit zu schenken“, sagt Jochen Frank Schmidt , Co-Geschäftsführer, Komponist und Intendant. Rückblickend habe die Coronakrise sein unterneh- merisches Handeln fundamental verändert. „Als nicht-subventioniertes, privates Theater im länd- lichen Raum haben wir zunächst keine staatliche Förderung erhalten, 2021 drohte uns die Insolvenz.“ Ein Crowdfundingprojekt und neue Förderkriterien wendeten diese zwar ab, dennoch mussten Schmidt und sein Team „einige unschöne Entscheidungen treffen.“ Etwa soziales Engagement zurückzufahren, um sich auf das Kerngeschäft zu konzentrieren. Seit Kurzem finanziert das Gloria-Theater Investitionen auch eher über Kredite als über Rücklagen, da erstere in jüngster Vergan- genheit staatlich unterstützt wurden. Künftig möchten die Betreiber auch nicht mehr nur von einem Standort abhängig sein. Daher bauen sie derzeit das Kurhaus Badenweiler gemeinsam mit der Gemeinde zum Festspielhaus um. Schmidt rechnet mit Kosten von rund zwölf Millionen Euro in den nächsten zehn Jahren. Personalmangel, explodierende Heizkosten, fehlende Ersatzteile und steigende Übernachtungspreise für die Künstler: Trotz gro- ßer Herausforderungen blickt Jochen Frank Schmidt positiv in die Zukunft: „Als BWLer weiß ich, dass sich alles in Kurven bewegt.“ Damit es schnell wieder bergauf gehen kann, appelliert er an die Politik, mehr Werbung für die Kulturbranche zu machen, Coronaverordnungen differenzierter auszuge- stalten und nicht alle Veranstaltungshäuser gleich zu behandeln. ks Bild: Alexander Kaemmer Bild Flasche: Adobe Stock, jemastock benötigen eben ihre Vorlaufzeiten und kal- kulierbare Zusagen. „Da würden wir uns im Moment ein bisschen mehr Geduld und Ent- gegenkommen von allen Seiten wünschen“, bittet Könicke. (Mehr zum aktuellen Messe- geschehen im Anzeigenspecial ab Seite 59. Messetermine ab Seite 57.) Doch wie geht es mit den Unternehmen der Veranstaltungswirtschaft weiter, jenseits des Sommers, wenn der aktuelle Hype sich mal gelegt hat? Was braucht es, damit Auftrag- geber auch jenseits der coronafreundlichen Sommermonate wieder verbindlich und zu für beide Seiten akzeptablen Konditionen Veran- staltungen buchen? Damit sich die Branche finanziell von den strapaziösen Coronajahren erholen kann? – Planungssicherheit zualler- erst, so der einhellige Tenor. Genesung wird dauern „Die Begeisterung über den vermeintlichen Neustart gerät derzeit etwas in den Hinter- grund, weil keiner einschätzen kann, ob das dauerhaft so bleibt. Im schlimmsten Fall ist die jetzige Phase nur ein kurzes Aufatmen, ohne die Schäden der vergangenen Jahre auf- arbeiten zu können“, stellt Sandra Beckmann fest, zuständig für die politische Interessen- vertretung beim „fwd: Bundesvereinigung Veranstaltungswirtschaft e.V.“. Erneute Einschränkungen würden sich auch weiter auf die ohnehin schon fatale Personal- ausstattung und die Lage der Kleinstunter- Offline und Kulturaggregat, Freiburg Hip-Hop eine neue Bühne geben In Zeiten, in denen viele Akteure aus der Branche um ihre Zukunft bangen, sind Darwin Zulkifli und seine zwei Kompagnons mit ihrer neuen Veranstaltungsagentur Offline Concerts schon etwas Besonderes. Anfang April gingen sie mit ihrem ersten Event, einem Konzert des Wittener Rappers Lakmann One im Freiburger E-Werk an den Start. „Die Idee zu Offline ist während Corona entstanden“, berichtet Darwin Zulkifli, der im Brotberuf Produktionsleiter für eine Schweizer Veran- staltungsagentur ist und zudem mit einem Freund in Freiburg den Schlaf- und Rucksack- shop „7Sachen“ betreibt. „Zum einen tut sich beim Hip-Hop zurzeit enorm viel, und das Thema ist zwischen Karlsruhe und Zürich noch nicht so bespielt. Zum anderen wollen wir den Leuten zeigen, dass offline wieder was möglich ist. Daher auch der Name.“ Wie man kreativ und coronakonform Kulturevents on- und offline veranstaltet, weiß Zulkifli aus erster Hand vom Künstler- kollektiv Kulturaggregat, dessen Vorsitzender er ist. „Der Verein ist zwar zu zwei Dritteln institutionell gefördert, aber wenn wir den Rest nicht selbst erwirtschaften, können wir unsere Räume in der Hildastraße nicht finan- zieren“. Also überwand man zu Beginn der Pandemie zügig die Zukunftsangst und baute um. Die Location erhielt neue Lüftungsanla- gen, die Webseite neue Onlineformate, zum Beispiel Hildav5 – eine digitale Nachbildung der echten Ausstellungsfläche – inklusive Twitchkanal zum Streamen von Konzerten. „Und damit auch online ein gemeinschaftli- ches Erleben möglich ist, haben wir ein Tool adaptiert, mit dem man sich per Avatar vor Bildern oder im Konzertfoyer mit anderen tref- fen und unterhalten kann“, erklärt Zulkifli und berichtet von langen Vernissageabenden, an denen er alte Freunde getroffen hat, die aus ganz Deutschland virtuell vorbeigebummelt waren. Diese digitalen Möglichkeiten will man nach dem Restart weiter nutzen, um auch Menschen zuzuschalten, die wegen Krankheit, eines Handicaps oder weil sie an einen ande- ren Ort gebunden sind, sonst nicht dabei sein könnten. „So schaffen wir für mehr Menschen Teilhabe am kulturellen Leben.“ uh
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